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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

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Kinder in Stoll wurden im Januar vom Prediger vernommen,
weil sie behauptet hatten, im Ellernholze Militär mit nicht dänischen Fahnen
gesehen zu haben. Desgleichen stießen im April zwei Mädchen aus

Toll zwischen diesem Dorfe und Kattenhund auf so dichte Massen von Soldaten
in weißen Uniformen, daß sie nicht durchkommen konnten. Ferner sah ein
Mann, der in Schleswig Brot feil trägt, zwischen Johann Peters Haus und
den Hühnerhäusern im Norden der Stadt Rothröcke die Dänen schlagen. Eine
ähnliche Erscheinung wollte eine Hebamme zwischen Eckeberg und Thumbve ge¬
habt haben.

Die interessanteste Geschichte aus diesem Bereiche endlich ließ ich mir in Jd-
stedt erzählen, und zwar von dem Seher selbst. Wir machten hier einen Besuch
bei einem Käthner, der früher Schullehrer gewesen, nach dem Kriege als deutsch
gesinnt abgesetzt worden und jetzt in ziemlich behaglichen Verhältnissen als
Landmann thätig war. Er empfing uns freundlich und wiederholte bereitwillig,
was er dem einen meiner Begleiter früher in Betreff seiner Gesichte mitgetheilt hatte.
Gesund, kräftig, leidlich gebildet und weder geistig noch körperlich zur Nachtseite
der Natur hinneigend, hatte er doch schon als Knabe jedes Mal, wenn in
Wenbörm, seinem damaligen Wohnorte, ein Todesfall bevorstand, den Deckel
des Koffers, in dem neben seiner Schlafkammer das Todtengewand verwahrt
wurde, zuschlagen hören. Später hatte sich diese Eigenschaft verloren, als sie
im Jahre 18i9 in etwas anderer Weise sich wieder einstellte. In der Pfingst-
nacht dieses Jahres erwachte er plötzlich von einem furchtbare" Gebrüll von
Kanonen. Er traute zuerst, da durchaus keine Soldaten in der Nähe lagen,
seinen Ohren nicht und ging, unbekleidet wie er war, vor die Thür. Hier
hörte er den Geschützdonner noch deutlicher und unterschied zugleich mehre
Salven von Kleingewehrfeuer. Das letztere aber ebenso wie der erstere kam
genau aus den Gegenden, wo im Jahre darauf Kanonen, und wo Jnfanterie-
colonnen standen. Die Nacht war sonst still, weder an Wind noch an ein
Gewitter war zu denken. Er kehrte endlich ins Haus zurück, erzählte seiner
Frau, die inzwischen erwacht war und ihn um die Ursache seines Hinausgehens
fragte, von dem Lärm draußen und bat sie, selbst aufzuhorchen. Sie hörte
aber nichts. Er theilte sein Erlebniß mehre Monate vor der Schlacht bei Jv-
stedt dem einen meiner Begleiter mit, und versicherte, vollkommen wach gewesen
zu sein. Später, einen Tag vor der Ankunft der Schleswig-Holsteiner in Jv-
stedt sah er am Morgen einen großen Wagen mit zwei braunen Pferden an
seinem Hause vorüberfahren. Seine Frau erblickte denselben gleichfalls und
forderte ihn, als der Wagen einige Schritte hinter dem Hause hielt, auf, hin¬
zugehen und sich nach dem Begehren der dabei beschäftigten Menschen zu er¬
kundigen. Als er sich dazu anschickte, zerfloß die Erscheinung, Tags daraus
aber hielt wirklich ein Marketenderwagen mit braunen Pferden an der Stelle,


Kinder in Stoll wurden im Januar vom Prediger vernommen,
weil sie behauptet hatten, im Ellernholze Militär mit nicht dänischen Fahnen
gesehen zu haben. Desgleichen stießen im April zwei Mädchen aus

Toll zwischen diesem Dorfe und Kattenhund auf so dichte Massen von Soldaten
in weißen Uniformen, daß sie nicht durchkommen konnten. Ferner sah ein
Mann, der in Schleswig Brot feil trägt, zwischen Johann Peters Haus und
den Hühnerhäusern im Norden der Stadt Rothröcke die Dänen schlagen. Eine
ähnliche Erscheinung wollte eine Hebamme zwischen Eckeberg und Thumbve ge¬
habt haben.

Die interessanteste Geschichte aus diesem Bereiche endlich ließ ich mir in Jd-
stedt erzählen, und zwar von dem Seher selbst. Wir machten hier einen Besuch
bei einem Käthner, der früher Schullehrer gewesen, nach dem Kriege als deutsch
gesinnt abgesetzt worden und jetzt in ziemlich behaglichen Verhältnissen als
Landmann thätig war. Er empfing uns freundlich und wiederholte bereitwillig,
was er dem einen meiner Begleiter früher in Betreff seiner Gesichte mitgetheilt hatte.
Gesund, kräftig, leidlich gebildet und weder geistig noch körperlich zur Nachtseite
der Natur hinneigend, hatte er doch schon als Knabe jedes Mal, wenn in
Wenbörm, seinem damaligen Wohnorte, ein Todesfall bevorstand, den Deckel
des Koffers, in dem neben seiner Schlafkammer das Todtengewand verwahrt
wurde, zuschlagen hören. Später hatte sich diese Eigenschaft verloren, als sie
im Jahre 18i9 in etwas anderer Weise sich wieder einstellte. In der Pfingst-
nacht dieses Jahres erwachte er plötzlich von einem furchtbare» Gebrüll von
Kanonen. Er traute zuerst, da durchaus keine Soldaten in der Nähe lagen,
seinen Ohren nicht und ging, unbekleidet wie er war, vor die Thür. Hier
hörte er den Geschützdonner noch deutlicher und unterschied zugleich mehre
Salven von Kleingewehrfeuer. Das letztere aber ebenso wie der erstere kam
genau aus den Gegenden, wo im Jahre darauf Kanonen, und wo Jnfanterie-
colonnen standen. Die Nacht war sonst still, weder an Wind noch an ein
Gewitter war zu denken. Er kehrte endlich ins Haus zurück, erzählte seiner
Frau, die inzwischen erwacht war und ihn um die Ursache seines Hinausgehens
fragte, von dem Lärm draußen und bat sie, selbst aufzuhorchen. Sie hörte
aber nichts. Er theilte sein Erlebniß mehre Monate vor der Schlacht bei Jv-
stedt dem einen meiner Begleiter mit, und versicherte, vollkommen wach gewesen
zu sein. Später, einen Tag vor der Ankunft der Schleswig-Holsteiner in Jv-
stedt sah er am Morgen einen großen Wagen mit zwei braunen Pferden an
seinem Hause vorüberfahren. Seine Frau erblickte denselben gleichfalls und
forderte ihn, als der Wagen einige Schritte hinter dem Hause hielt, auf, hin¬
zugehen und sich nach dem Begehren der dabei beschäftigten Menschen zu er¬
kundigen. Als er sich dazu anschickte, zerfloß die Erscheinung, Tags daraus
aber hielt wirklich ein Marketenderwagen mit braunen Pferden an der Stelle,


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[0506] Kinder in Stoll wurden im Januar vom Prediger vernommen, weil sie behauptet hatten, im Ellernholze Militär mit nicht dänischen Fahnen gesehen zu haben. Desgleichen stießen im April zwei Mädchen aus Toll zwischen diesem Dorfe und Kattenhund auf so dichte Massen von Soldaten in weißen Uniformen, daß sie nicht durchkommen konnten. Ferner sah ein Mann, der in Schleswig Brot feil trägt, zwischen Johann Peters Haus und den Hühnerhäusern im Norden der Stadt Rothröcke die Dänen schlagen. Eine ähnliche Erscheinung wollte eine Hebamme zwischen Eckeberg und Thumbve ge¬ habt haben. Die interessanteste Geschichte aus diesem Bereiche endlich ließ ich mir in Jd- stedt erzählen, und zwar von dem Seher selbst. Wir machten hier einen Besuch bei einem Käthner, der früher Schullehrer gewesen, nach dem Kriege als deutsch gesinnt abgesetzt worden und jetzt in ziemlich behaglichen Verhältnissen als Landmann thätig war. Er empfing uns freundlich und wiederholte bereitwillig, was er dem einen meiner Begleiter früher in Betreff seiner Gesichte mitgetheilt hatte. Gesund, kräftig, leidlich gebildet und weder geistig noch körperlich zur Nachtseite der Natur hinneigend, hatte er doch schon als Knabe jedes Mal, wenn in Wenbörm, seinem damaligen Wohnorte, ein Todesfall bevorstand, den Deckel des Koffers, in dem neben seiner Schlafkammer das Todtengewand verwahrt wurde, zuschlagen hören. Später hatte sich diese Eigenschaft verloren, als sie im Jahre 18i9 in etwas anderer Weise sich wieder einstellte. In der Pfingst- nacht dieses Jahres erwachte er plötzlich von einem furchtbare» Gebrüll von Kanonen. Er traute zuerst, da durchaus keine Soldaten in der Nähe lagen, seinen Ohren nicht und ging, unbekleidet wie er war, vor die Thür. Hier hörte er den Geschützdonner noch deutlicher und unterschied zugleich mehre Salven von Kleingewehrfeuer. Das letztere aber ebenso wie der erstere kam genau aus den Gegenden, wo im Jahre darauf Kanonen, und wo Jnfanterie- colonnen standen. Die Nacht war sonst still, weder an Wind noch an ein Gewitter war zu denken. Er kehrte endlich ins Haus zurück, erzählte seiner Frau, die inzwischen erwacht war und ihn um die Ursache seines Hinausgehens fragte, von dem Lärm draußen und bat sie, selbst aufzuhorchen. Sie hörte aber nichts. Er theilte sein Erlebniß mehre Monate vor der Schlacht bei Jv- stedt dem einen meiner Begleiter mit, und versicherte, vollkommen wach gewesen zu sein. Später, einen Tag vor der Ankunft der Schleswig-Holsteiner in Jv- stedt sah er am Morgen einen großen Wagen mit zwei braunen Pferden an seinem Hause vorüberfahren. Seine Frau erblickte denselben gleichfalls und forderte ihn, als der Wagen einige Schritte hinter dem Hause hielt, auf, hin¬ zugehen und sich nach dem Begehren der dabei beschäftigten Menschen zu er¬ kundigen. Als er sich dazu anschickte, zerfloß die Erscheinung, Tags daraus aber hielt wirklich ein Marketenderwagen mit braunen Pferden an der Stelle,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/506>, abgerufen am 22.07.2024.