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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

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meint er damit doch nicht, persönlich Eins, sondern im Wesen Eins. Die
Scheidung dieser beiden göttlichen Personen ist das Ursprüngliche; das Dogma
der Dreieinigkeit wird erst darauf ausgebaut, nach dem Grundsatz, daß zu jeder
Gliederung drei gehören. Für das dritte Glied fand man den heiligen Geist,
der im Pfingstfest über die Jünger gekommen war und den man nun als dritte
Person der Gottheit zu begreifen suchte, freilich nicht in der bestimmten plasti¬
schen Abrundung, wie die beiden ersten Personen. In der Bibel selbst kommt
der Begriff der Dreieinigkeit nur in der einen bekannten Stelle vor (drei sind,
die da zeugen u. s. w.) und mag diese Stelle nun zum Urtext gehören, oder,
wie manche Theologen behaupten, später eingeschoben sein, auf alle Fälle drückt
sie eine erst nachträglich eingeschobene Reflexion aus. In seinen Reden und
Offenbarungen hebt Christus immer uur diejenigen Seiten der göttlichen Natur
hervor, die eine unmittelbare praktische Bedeutung haben; auf die Metaphysik
dieses Wesens geht er nicht ein.

Eine Religionsphilosophie im subjectiven Sinn zu schreiben, halten wir
kaum mehr sür möglich, weder unter den Protestanten, noch unter den Katho¬
liken. Für den Protestantismus ist die Productivität der Religion mit den
drei ersten Jahrhunderten erschöpft; sie ist fertig und völlig abgeschlossen. Man
untersucht ihre Glaubwürdigkeit nach äußern oder nach innern Kriterien,
aber man muß sie ganz wie sie ist annehmen oder verwerfen; sie schöpferisch
fortzubilden ist den Epigonen versagt. Nach der Lehre der Katholiken dauert
zwar die produktive Kraft der Religion ununterbrochen und ungeschwächt fort,
aber sie ist an die Autorität der höchsten Kirchenwürde gebunden. Die In¬
spiration kann im Gemüth des Einzelnen nur einen individuellen Inhalt haben,
er kann erweckt werden zum Glauben, er kann allenfalls auch schauen (und
darin liegt die Abweichung vom Protestantismus), aber der Inhalt seines
Glaubens Und Schauens kann Nur der fertige, auf Schrift, Ueberlieferung und
Autorität gestützte Inhalt der Kirche sein.

Was aber die objective, wissenschaftliche Philosophie deö Christenthums
betrifft, so kann diese nur in einer streng historisch-kritischen Form gedacht
werden. Bevor man untersucht, inwieweit die Lehre'des Christenthums mit
den historischen Thatsachen übereinstimmt, muß man vorher erst feststellen: Was
ist die christliche Lehre? Ist sie sich immer gleichgeblieben? Welchen Einflüssen
war sie unterworfen? Welche Verwandlungen hat sie durchgemacht? Unsre
Quelle ist theils die christliche Literatur, theils die Geschichte der Kirche. Was
die erste betrifft, so muß man zuerst feststellen, was der einzelne Schriftsteller
sagen wollte, wie er selber den Gegenstand seiner Schilderung auffaßte; ferner
was seine Geltung innerhalb der Kirche war. -- Erst wenn man dazu gekom¬
men sein wird, diese positive, realistische Grundlage der historischen Kenntniß
vollkommen festgestellt zu haben d. h. festgestellt, was man weiß und was


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meint er damit doch nicht, persönlich Eins, sondern im Wesen Eins. Die
Scheidung dieser beiden göttlichen Personen ist das Ursprüngliche; das Dogma
der Dreieinigkeit wird erst darauf ausgebaut, nach dem Grundsatz, daß zu jeder
Gliederung drei gehören. Für das dritte Glied fand man den heiligen Geist,
der im Pfingstfest über die Jünger gekommen war und den man nun als dritte
Person der Gottheit zu begreifen suchte, freilich nicht in der bestimmten plasti¬
schen Abrundung, wie die beiden ersten Personen. In der Bibel selbst kommt
der Begriff der Dreieinigkeit nur in der einen bekannten Stelle vor (drei sind,
die da zeugen u. s. w.) und mag diese Stelle nun zum Urtext gehören, oder,
wie manche Theologen behaupten, später eingeschoben sein, auf alle Fälle drückt
sie eine erst nachträglich eingeschobene Reflexion aus. In seinen Reden und
Offenbarungen hebt Christus immer uur diejenigen Seiten der göttlichen Natur
hervor, die eine unmittelbare praktische Bedeutung haben; auf die Metaphysik
dieses Wesens geht er nicht ein.

Eine Religionsphilosophie im subjectiven Sinn zu schreiben, halten wir
kaum mehr sür möglich, weder unter den Protestanten, noch unter den Katho¬
liken. Für den Protestantismus ist die Productivität der Religion mit den
drei ersten Jahrhunderten erschöpft; sie ist fertig und völlig abgeschlossen. Man
untersucht ihre Glaubwürdigkeit nach äußern oder nach innern Kriterien,
aber man muß sie ganz wie sie ist annehmen oder verwerfen; sie schöpferisch
fortzubilden ist den Epigonen versagt. Nach der Lehre der Katholiken dauert
zwar die produktive Kraft der Religion ununterbrochen und ungeschwächt fort,
aber sie ist an die Autorität der höchsten Kirchenwürde gebunden. Die In¬
spiration kann im Gemüth des Einzelnen nur einen individuellen Inhalt haben,
er kann erweckt werden zum Glauben, er kann allenfalls auch schauen (und
darin liegt die Abweichung vom Protestantismus), aber der Inhalt seines
Glaubens Und Schauens kann Nur der fertige, auf Schrift, Ueberlieferung und
Autorität gestützte Inhalt der Kirche sein.

Was aber die objective, wissenschaftliche Philosophie deö Christenthums
betrifft, so kann diese nur in einer streng historisch-kritischen Form gedacht
werden. Bevor man untersucht, inwieweit die Lehre'des Christenthums mit
den historischen Thatsachen übereinstimmt, muß man vorher erst feststellen: Was
ist die christliche Lehre? Ist sie sich immer gleichgeblieben? Welchen Einflüssen
war sie unterworfen? Welche Verwandlungen hat sie durchgemacht? Unsre
Quelle ist theils die christliche Literatur, theils die Geschichte der Kirche. Was
die erste betrifft, so muß man zuerst feststellen, was der einzelne Schriftsteller
sagen wollte, wie er selber den Gegenstand seiner Schilderung auffaßte; ferner
was seine Geltung innerhalb der Kirche war. — Erst wenn man dazu gekom¬
men sein wird, diese positive, realistische Grundlage der historischen Kenntniß
vollkommen festgestellt zu haben d. h. festgestellt, was man weiß und was


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/443>, abgerufen am 22.07.2024.