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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

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und hätten in manchen Fällen nicht gewußt, ob nicht der neue Philosoph besser
in ihren eignen Gedanken gelesen, als sie selbst.

Es ist also in dieser Religionsphilosophie nicht blos ein außerordentlicher
Scharfsinn entwickelt worden, sondern wir haben ihr auch in der That viele
neue, überraschende Aufschlüsse über das Wesen des Christenthums zu verdanken.
Trotzdem müssen wir behaupten, daß diese Art, die Dogmatik zurechtzumachen,
nicht die rechte christliche Philosophie ist, und daß eine weitere Fortbildung der
Methode zu keinen erheblichen Resultaten führen wird. Die Theologie ist darin
unsrer Meinung, sie hat sich von ihrem neuen seltsamen Verbündeten ent¬
schieden losgesagt, und die Philosophie oder die Wissenschaft wird wol auch
nicht anders handeln können.

Die neue Religionsphilosophie ist weder in subjectiven, noch in objectiven
Sinne christliche Philosophie; es ist weder das Christenthum, das in ihr Philo¬
sophie, noch daS Christenthum, über das sie philosophirt. , Sie ist nicht, wie
die Theologie der Kirchenväter und die Scholastik des Mittelalters, ein orga¬
nisches Erzeugniß des christlichen Geistes/ sondern sie ist ein Erzeugnis; der
humanistischen Bildung, welche sich das Christenthum wie einen fremden Gegen¬
stand vorgesetzt hat. Sie behandelt aber diesen Gegenstand auf der andern
Seite nicht in der Art und Weise, wie die Wissenschaft jeden Gegen¬
stand behandeln muß, gleichviel ob sie ihn im Himmel oder auf Erden sucht.
Sie täuscht sich über ihre eigne Natur auf eine doppelte Weise, sowol wenn
sie glaubt, auf dem Wege der reinen Speculation zu den Lehrsätzen gekommen
zu sein, die sie doch dem christlichen Katechismus entnommen hat, als auch
wenn sie glaubt, die Glaubensartikel des Katechismus correct wiederzugeben,
da sie durch ihre Umwandlung der Vorstellungen in Begriffe aus denselben
etwas ganz Andres gemacht hat.

Fast alle modernen Religionsphilosophen legen ihrem System die Drei¬
einigkeit zu Grunde, auch die beiden vorliegenden. Nun liegt es allerdings
sehr nahe, die Triplicität der menschlichen Geisteskräfte auf die göttliche Natur
anzuwenden und, wie Herr Weiße es will, Vater, Sohn und heiligen Geist
durch Vernunft, Gemüth und Wille, oder wie Herr Fischer es versucht, durch
Substantialität, Subjektivität und Objectivität auszudrücken, aber eS liegt auf
der Hand, daß damit das Wesen der christlichen Dreifaltigkeit nicht getroffen
ist, denn Vernunft, Gemüth und Wille, Substantialitut, Subjectivität und
Objectivität sind nicht drei Personen, sondern drei Eigenschaften. Bei der
christlichen Dreifaltigkeit ist es aber augenscheinlich, daß es grade auf die
Scheidung der Persönlichkeiten ankommt. Christus, der Gott, der Mensch
wurde, um die Menschheit zu erlösen, spricht fortwährend von seinem Vater,
dein Gott des alten Testaments, der Mose persönlich im feurigen Busch erschie¬
nen war und wenn er auch stets hinzusetzt, daß er mit ihm Eins sei, so.


und hätten in manchen Fällen nicht gewußt, ob nicht der neue Philosoph besser
in ihren eignen Gedanken gelesen, als sie selbst.

Es ist also in dieser Religionsphilosophie nicht blos ein außerordentlicher
Scharfsinn entwickelt worden, sondern wir haben ihr auch in der That viele
neue, überraschende Aufschlüsse über das Wesen des Christenthums zu verdanken.
Trotzdem müssen wir behaupten, daß diese Art, die Dogmatik zurechtzumachen,
nicht die rechte christliche Philosophie ist, und daß eine weitere Fortbildung der
Methode zu keinen erheblichen Resultaten führen wird. Die Theologie ist darin
unsrer Meinung, sie hat sich von ihrem neuen seltsamen Verbündeten ent¬
schieden losgesagt, und die Philosophie oder die Wissenschaft wird wol auch
nicht anders handeln können.

Die neue Religionsphilosophie ist weder in subjectiven, noch in objectiven
Sinne christliche Philosophie; es ist weder das Christenthum, das in ihr Philo¬
sophie, noch daS Christenthum, über das sie philosophirt. , Sie ist nicht, wie
die Theologie der Kirchenväter und die Scholastik des Mittelalters, ein orga¬
nisches Erzeugniß des christlichen Geistes/ sondern sie ist ein Erzeugnis; der
humanistischen Bildung, welche sich das Christenthum wie einen fremden Gegen¬
stand vorgesetzt hat. Sie behandelt aber diesen Gegenstand auf der andern
Seite nicht in der Art und Weise, wie die Wissenschaft jeden Gegen¬
stand behandeln muß, gleichviel ob sie ihn im Himmel oder auf Erden sucht.
Sie täuscht sich über ihre eigne Natur auf eine doppelte Weise, sowol wenn
sie glaubt, auf dem Wege der reinen Speculation zu den Lehrsätzen gekommen
zu sein, die sie doch dem christlichen Katechismus entnommen hat, als auch
wenn sie glaubt, die Glaubensartikel des Katechismus correct wiederzugeben,
da sie durch ihre Umwandlung der Vorstellungen in Begriffe aus denselben
etwas ganz Andres gemacht hat.

Fast alle modernen Religionsphilosophen legen ihrem System die Drei¬
einigkeit zu Grunde, auch die beiden vorliegenden. Nun liegt es allerdings
sehr nahe, die Triplicität der menschlichen Geisteskräfte auf die göttliche Natur
anzuwenden und, wie Herr Weiße es will, Vater, Sohn und heiligen Geist
durch Vernunft, Gemüth und Wille, oder wie Herr Fischer es versucht, durch
Substantialität, Subjektivität und Objectivität auszudrücken, aber eS liegt auf
der Hand, daß damit das Wesen der christlichen Dreifaltigkeit nicht getroffen
ist, denn Vernunft, Gemüth und Wille, Substantialitut, Subjectivität und
Objectivität sind nicht drei Personen, sondern drei Eigenschaften. Bei der
christlichen Dreifaltigkeit ist es aber augenscheinlich, daß es grade auf die
Scheidung der Persönlichkeiten ankommt. Christus, der Gott, der Mensch
wurde, um die Menschheit zu erlösen, spricht fortwährend von seinem Vater,
dein Gott des alten Testaments, der Mose persönlich im feurigen Busch erschie¬
nen war und wenn er auch stets hinzusetzt, daß er mit ihm Eins sei, so.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/442>, abgerufen am 22.07.2024.