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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

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unwahr; so bleibt wieder nichts übrig, als Verdächtigung. Wir tragen per¬
sönlich kein Verlangen, von solcher Freiheit Gebrauch zu machen, aber der
Consequenzen wegen darf man sich dieselbe nie verkümmern lassen. Wohin
gerathen wir endlich, wenn, wie hier (S. 209) geschieht, den Priestern die
"Kraft zu verdammen", Sünden zu vergeben und nicht zu vergeben, den Men¬
schen "das Himmelreich auf- und zuzuschließen" und dergleichen mehr zuerkannt
wird!

Was hiernach für die "Gemeinde" (drittes Buch) übrigbleibt, läßt sich
errathen. Vielleicht kommt manchem folgende Definition dennoch etwas uner¬
wartet: "Die Gemeinde und die Kirche, sofern sie Gemeinde ist, ist absolut
das Weibliche, das Empfangende, das Befruchtetwerdende, die Braut gegen¬
über ihrem Bräutigam und Herrn, der sich in seiner Heilsanstalt zu ihr thut,
sie sich vermählend, sie befruchtend, ihr gebend." (S. 240). Höchst geschmack¬
voll und sehr erbaulich! Eine Gemeinde aber, die "ein sich autonom geberden¬
des Wesen "annimmt, verliert "ihre Bräutlichkeit", wie solches den "modernen"
Gemeinden passtrt ist, wird also ein Blaustrumpf. Nach tiefsinniger Erörterung
faßt Klicfath es S. 349 dahin zusammen, daß am Leibe der Kirche Christus
den Kopf, die Gemeinde den Rumpf, die Gnadenmittel das blutlreibende Herz,
das Gnadenmittel- oder Prediglamt aber die Hände vorzustellen haben. Dem¬
nach wird das Kirchenregiment wol die Füße agiren müssen, wie es ja auch
seine Ueberzeugung ist, daß eine Kirche ohne Regiment und Priesterschaft weder
Hand noch Fuß hat.

Dieses "Kirchenregiment" nun, das auserlesenste und liebste Stück seiner
theologischen Weisheit wird des Weiten und Breiten im vierten Buch behandelt.
Kliefath stellt sich löblicherweise "von vornherein in entschiedenen Gegensatz zu
dem Irrthum, der die Kirche als Gesellschaft begreift und ihren Organismus schlecht¬
hin auf Selbstgestaltung und Selbstconstruirung, auf Vereinbarung der zu ihr ge¬
hörenden Menschen zurückführt." (S. 374). Vielmehr hat die Kirche eine "ständi¬
sche" Gliederung, auch darin dem schönen Land Mecklenburg ähnlich. Demzufolge
"ist die Presbyterial- und Synodalverfassung auf kirchlichem Gebiete in der¬
selben Weise eine Lüge, wie der Constitutionalismus aus politischem Gebiete
eine Lüge ist." (S. 410.) Die Kirche ist ein "Organismus", sie hat "von
vornherein Leiblichkeit", denn sie zählt Menschen zu ihren Gliedern, die auch
kirchlich in gewissen Berufen leben, folglich hat die Kirche organische Gestalt
und Gliederung nach anfänglicher Bestimmung von oben, die feststeht; und
weil das Ganze mehr ist, als die Summe der Glieder, folglich ist es nicht
Gemache dieser, folglich ist das obere Amt der Kirche nicht Product der Ge¬
meinde, folglich ist das Kirchenregiment etwas Uebergeordnetes, seinem Ur¬
sprünge nach Supranaturales. Seh einer diese greuliche, eigennützige
Logik!


Grenzboten. IV. -I8so. 53

unwahr; so bleibt wieder nichts übrig, als Verdächtigung. Wir tragen per¬
sönlich kein Verlangen, von solcher Freiheit Gebrauch zu machen, aber der
Consequenzen wegen darf man sich dieselbe nie verkümmern lassen. Wohin
gerathen wir endlich, wenn, wie hier (S. 209) geschieht, den Priestern die
„Kraft zu verdammen", Sünden zu vergeben und nicht zu vergeben, den Men¬
schen „das Himmelreich auf- und zuzuschließen" und dergleichen mehr zuerkannt
wird!

Was hiernach für die „Gemeinde" (drittes Buch) übrigbleibt, läßt sich
errathen. Vielleicht kommt manchem folgende Definition dennoch etwas uner¬
wartet: „Die Gemeinde und die Kirche, sofern sie Gemeinde ist, ist absolut
das Weibliche, das Empfangende, das Befruchtetwerdende, die Braut gegen¬
über ihrem Bräutigam und Herrn, der sich in seiner Heilsanstalt zu ihr thut,
sie sich vermählend, sie befruchtend, ihr gebend." (S. 240). Höchst geschmack¬
voll und sehr erbaulich! Eine Gemeinde aber, die „ein sich autonom geberden¬
des Wesen „annimmt, verliert „ihre Bräutlichkeit", wie solches den „modernen"
Gemeinden passtrt ist, wird also ein Blaustrumpf. Nach tiefsinniger Erörterung
faßt Klicfath es S. 349 dahin zusammen, daß am Leibe der Kirche Christus
den Kopf, die Gemeinde den Rumpf, die Gnadenmittel das blutlreibende Herz,
das Gnadenmittel- oder Prediglamt aber die Hände vorzustellen haben. Dem¬
nach wird das Kirchenregiment wol die Füße agiren müssen, wie es ja auch
seine Ueberzeugung ist, daß eine Kirche ohne Regiment und Priesterschaft weder
Hand noch Fuß hat.

Dieses „Kirchenregiment" nun, das auserlesenste und liebste Stück seiner
theologischen Weisheit wird des Weiten und Breiten im vierten Buch behandelt.
Kliefath stellt sich löblicherweise „von vornherein in entschiedenen Gegensatz zu
dem Irrthum, der die Kirche als Gesellschaft begreift und ihren Organismus schlecht¬
hin auf Selbstgestaltung und Selbstconstruirung, auf Vereinbarung der zu ihr ge¬
hörenden Menschen zurückführt." (S. 374). Vielmehr hat die Kirche eine „ständi¬
sche" Gliederung, auch darin dem schönen Land Mecklenburg ähnlich. Demzufolge
„ist die Presbyterial- und Synodalverfassung auf kirchlichem Gebiete in der¬
selben Weise eine Lüge, wie der Constitutionalismus aus politischem Gebiete
eine Lüge ist." (S. 410.) Die Kirche ist ein „Organismus", sie hat „von
vornherein Leiblichkeit", denn sie zählt Menschen zu ihren Gliedern, die auch
kirchlich in gewissen Berufen leben, folglich hat die Kirche organische Gestalt
und Gliederung nach anfänglicher Bestimmung von oben, die feststeht; und
weil das Ganze mehr ist, als die Summe der Glieder, folglich ist es nicht
Gemache dieser, folglich ist das obere Amt der Kirche nicht Product der Ge¬
meinde, folglich ist das Kirchenregiment etwas Uebergeordnetes, seinem Ur¬
sprünge nach Supranaturales. Seh einer diese greuliche, eigennützige
Logik!


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[0425] unwahr; so bleibt wieder nichts übrig, als Verdächtigung. Wir tragen per¬ sönlich kein Verlangen, von solcher Freiheit Gebrauch zu machen, aber der Consequenzen wegen darf man sich dieselbe nie verkümmern lassen. Wohin gerathen wir endlich, wenn, wie hier (S. 209) geschieht, den Priestern die „Kraft zu verdammen", Sünden zu vergeben und nicht zu vergeben, den Men¬ schen „das Himmelreich auf- und zuzuschließen" und dergleichen mehr zuerkannt wird! Was hiernach für die „Gemeinde" (drittes Buch) übrigbleibt, läßt sich errathen. Vielleicht kommt manchem folgende Definition dennoch etwas uner¬ wartet: „Die Gemeinde und die Kirche, sofern sie Gemeinde ist, ist absolut das Weibliche, das Empfangende, das Befruchtetwerdende, die Braut gegen¬ über ihrem Bräutigam und Herrn, der sich in seiner Heilsanstalt zu ihr thut, sie sich vermählend, sie befruchtend, ihr gebend." (S. 240). Höchst geschmack¬ voll und sehr erbaulich! Eine Gemeinde aber, die „ein sich autonom geberden¬ des Wesen „annimmt, verliert „ihre Bräutlichkeit", wie solches den „modernen" Gemeinden passtrt ist, wird also ein Blaustrumpf. Nach tiefsinniger Erörterung faßt Klicfath es S. 349 dahin zusammen, daß am Leibe der Kirche Christus den Kopf, die Gemeinde den Rumpf, die Gnadenmittel das blutlreibende Herz, das Gnadenmittel- oder Prediglamt aber die Hände vorzustellen haben. Dem¬ nach wird das Kirchenregiment wol die Füße agiren müssen, wie es ja auch seine Ueberzeugung ist, daß eine Kirche ohne Regiment und Priesterschaft weder Hand noch Fuß hat. Dieses „Kirchenregiment" nun, das auserlesenste und liebste Stück seiner theologischen Weisheit wird des Weiten und Breiten im vierten Buch behandelt. Kliefath stellt sich löblicherweise „von vornherein in entschiedenen Gegensatz zu dem Irrthum, der die Kirche als Gesellschaft begreift und ihren Organismus schlecht¬ hin auf Selbstgestaltung und Selbstconstruirung, auf Vereinbarung der zu ihr ge¬ hörenden Menschen zurückführt." (S. 374). Vielmehr hat die Kirche eine „ständi¬ sche" Gliederung, auch darin dem schönen Land Mecklenburg ähnlich. Demzufolge „ist die Presbyterial- und Synodalverfassung auf kirchlichem Gebiete in der¬ selben Weise eine Lüge, wie der Constitutionalismus aus politischem Gebiete eine Lüge ist." (S. 410.) Die Kirche ist ein „Organismus", sie hat „von vornherein Leiblichkeit", denn sie zählt Menschen zu ihren Gliedern, die auch kirchlich in gewissen Berufen leben, folglich hat die Kirche organische Gestalt und Gliederung nach anfänglicher Bestimmung von oben, die feststeht; und weil das Ganze mehr ist, als die Summe der Glieder, folglich ist es nicht Gemache dieser, folglich ist das obere Amt der Kirche nicht Product der Ge¬ meinde, folglich ist das Kirchenregiment etwas Uebergeordnetes, seinem Ur¬ sprünge nach Supranaturales. Seh einer diese greuliche, eigennützige Logik! Grenzboten. IV. -I8so. 53

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/425>, abgerufen am 24.08.2024.