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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

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Musik meinen wir nicht: der wahrhaft schöne Cultus kann solcher Effecte
entrathen, der lutherisch restaurirte nicht, wie die Erfahrung lehrt. Womit
widerlegt nun Kliefath diese ihm unbequemen Forderungen des reinen, ver¬
nunftgemäßen Schönheitssinnes? Mit Schimpfen. Das ist freilich auch ein
Argument. Den Verlauf der Reformen können wir zwar ruhig abwarten,
doch ist es traurig zu sehen, wie umfängliche Mittel dazu verwandt, wie man¬
cherlei Hoffnungen dadurch erweckt und wie viele Köpfe dadurch verdreht
werden. Zur weiteren Durcharbeitung solcher Sachen und zum Polemisiren
gibt Kliefath seit Mitte 18Si gemeinschaftlich mit O. Mejer eine "Kirch¬
liche Zeitschrift" (Schwerin, Stiller) heraus, wo er besonders in der Epistel
an die sanfimüthigen Göttinger den Beweis lieferte, daß er, trotz der Standes¬
heiligkeit, die Rolle eines litterarischen Klopffechters mit Anstand zu spielen
vermag. Das erste Heft ist außerdem noch geziert mit seiner Recension über
Lrit sicut. veus, welcher Roman hiernach die hegelsche Philosophie sür die
Gegenwart "praktisch" überwunden und vernichtet hätte!

Damit ist über diese und eine ganze Reihe ähnlicher Schriften genug
gesagt. Etwas näher müssen wir uns auf die "Acht Bücher von der
Kirche" von Kliefath (Erster Band-I85i. Schwerin, Stiller) einlassen, weil sie
in raisonnirender, demonstrirendcr Weise -Grundfragen der Kirche behandeln
und Herzensgelüste der Partei ausplaudern. In welchem Sinne ihr Verfasser
an das Dogma glaubt, setzen wir als bekannt voraus, doch kann folgende
Probe nicht schaden:

"Dieser Kosmos, wie er sein Da- und Sosein nicht aus sich selber,' son¬
dern durch causale obere Mächte hat, ist auch in seinem Werden und Wan¬
deln allewege durch diese oberen Mächte bestimmt, bedingt und beherrscht.
Diese persönlichen oberen Mächte sind eben Gott Vater., Sohn und heiliger Geist,
und neben eingekommen und in seinen Grenzen jener Fürst dieser Welt. Das
Verhältniß dieser oberen Mächte zum Kosmos ist wesentlich das der Herrschaft,
welche sie theils unmittelbar, theils durch der guten und bösen Engel mannig-
faltiges Heer üben; und jede Phase in der Entwicklung dieses Kosmos, jede
neue Lage, in die derselbe tritt, jeder Aeon, den er durchläuft, ist durch vor¬
gängige causale Thaten dieser oberen Mächte und durch eine verschiedene
Stellung derselben zueinander und zu dem Kosmos bedingt, so daß jede ge¬
gebene Weltlage nur aus der betreffenden That und Stellung der den Kosmos
beherrschenden oberen Mächte zu begreifen ist." (S. 8.)"

Niemand erschrecke, daß hier das geschaffene Weltganze "Kosmos ge¬
nannt wird. Es braucht nur irgendeine Wissenschaft voranzureiten, die Theo¬
logie ist gleich bei der Hand nachzusetzen, das, ist nun schon von Kants Tagen
und länger her ihre Manier so. Noch baut Humboldt mit andern am Kosmos
der Natur, und stehe da! schon hat ein Pfäfflein seinen Theolygenkosmos


Musik meinen wir nicht: der wahrhaft schöne Cultus kann solcher Effecte
entrathen, der lutherisch restaurirte nicht, wie die Erfahrung lehrt. Womit
widerlegt nun Kliefath diese ihm unbequemen Forderungen des reinen, ver¬
nunftgemäßen Schönheitssinnes? Mit Schimpfen. Das ist freilich auch ein
Argument. Den Verlauf der Reformen können wir zwar ruhig abwarten,
doch ist es traurig zu sehen, wie umfängliche Mittel dazu verwandt, wie man¬
cherlei Hoffnungen dadurch erweckt und wie viele Köpfe dadurch verdreht
werden. Zur weiteren Durcharbeitung solcher Sachen und zum Polemisiren
gibt Kliefath seit Mitte 18Si gemeinschaftlich mit O. Mejer eine „Kirch¬
liche Zeitschrift" (Schwerin, Stiller) heraus, wo er besonders in der Epistel
an die sanfimüthigen Göttinger den Beweis lieferte, daß er, trotz der Standes¬
heiligkeit, die Rolle eines litterarischen Klopffechters mit Anstand zu spielen
vermag. Das erste Heft ist außerdem noch geziert mit seiner Recension über
Lrit sicut. veus, welcher Roman hiernach die hegelsche Philosophie sür die
Gegenwart „praktisch" überwunden und vernichtet hätte!

Damit ist über diese und eine ganze Reihe ähnlicher Schriften genug
gesagt. Etwas näher müssen wir uns auf die „Acht Bücher von der
Kirche" von Kliefath (Erster Band-I85i. Schwerin, Stiller) einlassen, weil sie
in raisonnirender, demonstrirendcr Weise -Grundfragen der Kirche behandeln
und Herzensgelüste der Partei ausplaudern. In welchem Sinne ihr Verfasser
an das Dogma glaubt, setzen wir als bekannt voraus, doch kann folgende
Probe nicht schaden:

„Dieser Kosmos, wie er sein Da- und Sosein nicht aus sich selber,' son¬
dern durch causale obere Mächte hat, ist auch in seinem Werden und Wan¬
deln allewege durch diese oberen Mächte bestimmt, bedingt und beherrscht.
Diese persönlichen oberen Mächte sind eben Gott Vater., Sohn und heiliger Geist,
und neben eingekommen und in seinen Grenzen jener Fürst dieser Welt. Das
Verhältniß dieser oberen Mächte zum Kosmos ist wesentlich das der Herrschaft,
welche sie theils unmittelbar, theils durch der guten und bösen Engel mannig-
faltiges Heer üben; und jede Phase in der Entwicklung dieses Kosmos, jede
neue Lage, in die derselbe tritt, jeder Aeon, den er durchläuft, ist durch vor¬
gängige causale Thaten dieser oberen Mächte und durch eine verschiedene
Stellung derselben zueinander und zu dem Kosmos bedingt, so daß jede ge¬
gebene Weltlage nur aus der betreffenden That und Stellung der den Kosmos
beherrschenden oberen Mächte zu begreifen ist." (S. 8.)"

Niemand erschrecke, daß hier das geschaffene Weltganze „Kosmos ge¬
nannt wird. Es braucht nur irgendeine Wissenschaft voranzureiten, die Theo¬
logie ist gleich bei der Hand nachzusetzen, das, ist nun schon von Kants Tagen
und länger her ihre Manier so. Noch baut Humboldt mit andern am Kosmos
der Natur, und stehe da! schon hat ein Pfäfflein seinen Theolygenkosmos


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/422>, abgerufen am 26.06.2024.