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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

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einfache, klarere oder dunklere Gefühle, Scenen und Geschichten, deren kindliche
Darstellung, wenn auch noch so national, doch leicht und gern nachempfunden
wird. Die Kunstlyrik dagegen, in der ganze, großartige Menschen ihr so
oder so gewordenes Ich wiederspiegeln, ist sehr schwer noch einmal zu wieder¬
holen. Homer wurde beliebt in weiten Kreisen, aber noch kein Pindar; Shake¬
speare, aber noch kein Byron (und was wäre an diesem anders gut, als was
lyrisch ist?); Ariost, aber kein Petrarca. Hier begegnen wir der all erkühnsten
und doch allerfestesten Form, dem allertiefsten Gedanken und dem allerglänzend-
sten Ausdruck und nirgend ist das Verwachsensein dieser Elemente inniger. Denn ,
die Seele der Lyrik ist die sinnliche Empfindung. Diese ist fast nur in und mit
der einen Sprache möglich und wie bei °einer Umsetzung eines Gemäldes in
ein andres Bildungsmittel, z. B. von Oel in Pastell, die Meister der Fär¬
bung mehr leiden würden, als die der Zeichnung und Composition, ein Titian
mehr als ein Rafael, so muß auch beim Uebersetzen ein Lyriker unendlich mehr
einbüßen, als ein Epiker oder Dramatiker. Endlich ist die komische Muse
unendlich spröder, als die ernste. Der Scherz wurzelt im Augenblick; er
gehört der Zeit, dem Ort, den Personen an; wenn diese fremd geworden sind,
ist seine Bedeutung verloren. Soll man sich das nun gar noch von einem
fremden' Boden her verpflanzen, so ist es doppelt fremd und bedarf der glück¬
lichsten Kühnheit, um zu gedeihen. Weder die Satire und Epistel der Römer
noch irgend eines andern Volkes, noch die Sinnsprüche verschiedener Völker kamen
(obwol durch zahllose Nachbildungen verunstaltet) anders als im Original zur Gel¬
tung, sie sielen und standen zu sehr mit dem eignen sprachlichen Ausdruck; der seine
Dust der ariostischen und calderonschen Ironie', so anmuthig im Original, ging,
weil sie fast allein auf dem Klänge beruhte, in der Uebersetzung fast ganz
verloren und diese wurde dadurch viel langweiliger; Goethe blieb gleich im An¬
fang des byronschen Don JUan stecken. Besser stellte sich die Aufgabe immer
noch für das Drama, wo der Wortwitz nur eine Zuthat war und die eigent¬
liche Komik sich an Handlungen und Gestalten knüpfte.

Vor allen Dingen aber ist es die Sprache des Originals, deren ver¬
schiedene Uebersetzungsschwierigkeit eine Verschiedenheit des Gelingens bedingt
und zwar nach Gruppen verschieden; die germanischen, die romanischen, die
classischen und orientalischen haben jede verschiedene Schwierigkeiten.

Es liegt auf der Hand, daß, je verwandter die Sprache ist, desto leichter
aus ihr übersetzt'wird. Das Dänische, Holländische und Schwedische, welche
im ganzen dieselben Stämme, Biegungen und Satzformen und mit Ausnahme
der altnordischen Maße auch denselben Versbau haben, leisten geringen'Wider¬
stand. Es ist z. B. keine Kunst, Oehlenschlägerö Gedicht auf den Tod des
Naturforschers Vahl zu übersetzen:


einfache, klarere oder dunklere Gefühle, Scenen und Geschichten, deren kindliche
Darstellung, wenn auch noch so national, doch leicht und gern nachempfunden
wird. Die Kunstlyrik dagegen, in der ganze, großartige Menschen ihr so
oder so gewordenes Ich wiederspiegeln, ist sehr schwer noch einmal zu wieder¬
holen. Homer wurde beliebt in weiten Kreisen, aber noch kein Pindar; Shake¬
speare, aber noch kein Byron (und was wäre an diesem anders gut, als was
lyrisch ist?); Ariost, aber kein Petrarca. Hier begegnen wir der all erkühnsten
und doch allerfestesten Form, dem allertiefsten Gedanken und dem allerglänzend-
sten Ausdruck und nirgend ist das Verwachsensein dieser Elemente inniger. Denn ,
die Seele der Lyrik ist die sinnliche Empfindung. Diese ist fast nur in und mit
der einen Sprache möglich und wie bei °einer Umsetzung eines Gemäldes in
ein andres Bildungsmittel, z. B. von Oel in Pastell, die Meister der Fär¬
bung mehr leiden würden, als die der Zeichnung und Composition, ein Titian
mehr als ein Rafael, so muß auch beim Uebersetzen ein Lyriker unendlich mehr
einbüßen, als ein Epiker oder Dramatiker. Endlich ist die komische Muse
unendlich spröder, als die ernste. Der Scherz wurzelt im Augenblick; er
gehört der Zeit, dem Ort, den Personen an; wenn diese fremd geworden sind,
ist seine Bedeutung verloren. Soll man sich das nun gar noch von einem
fremden' Boden her verpflanzen, so ist es doppelt fremd und bedarf der glück¬
lichsten Kühnheit, um zu gedeihen. Weder die Satire und Epistel der Römer
noch irgend eines andern Volkes, noch die Sinnsprüche verschiedener Völker kamen
(obwol durch zahllose Nachbildungen verunstaltet) anders als im Original zur Gel¬
tung, sie sielen und standen zu sehr mit dem eignen sprachlichen Ausdruck; der seine
Dust der ariostischen und calderonschen Ironie', so anmuthig im Original, ging,
weil sie fast allein auf dem Klänge beruhte, in der Uebersetzung fast ganz
verloren und diese wurde dadurch viel langweiliger; Goethe blieb gleich im An¬
fang des byronschen Don JUan stecken. Besser stellte sich die Aufgabe immer
noch für das Drama, wo der Wortwitz nur eine Zuthat war und die eigent¬
liche Komik sich an Handlungen und Gestalten knüpfte.

Vor allen Dingen aber ist es die Sprache des Originals, deren ver¬
schiedene Uebersetzungsschwierigkeit eine Verschiedenheit des Gelingens bedingt
und zwar nach Gruppen verschieden; die germanischen, die romanischen, die
classischen und orientalischen haben jede verschiedene Schwierigkeiten.

Es liegt auf der Hand, daß, je verwandter die Sprache ist, desto leichter
aus ihr übersetzt'wird. Das Dänische, Holländische und Schwedische, welche
im ganzen dieselben Stämme, Biegungen und Satzformen und mit Ausnahme
der altnordischen Maße auch denselben Versbau haben, leisten geringen'Wider¬
stand. Es ist z. B. keine Kunst, Oehlenschlägerö Gedicht auf den Tod des
Naturforschers Vahl zu übersetzen:


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[0376] einfache, klarere oder dunklere Gefühle, Scenen und Geschichten, deren kindliche Darstellung, wenn auch noch so national, doch leicht und gern nachempfunden wird. Die Kunstlyrik dagegen, in der ganze, großartige Menschen ihr so oder so gewordenes Ich wiederspiegeln, ist sehr schwer noch einmal zu wieder¬ holen. Homer wurde beliebt in weiten Kreisen, aber noch kein Pindar; Shake¬ speare, aber noch kein Byron (und was wäre an diesem anders gut, als was lyrisch ist?); Ariost, aber kein Petrarca. Hier begegnen wir der all erkühnsten und doch allerfestesten Form, dem allertiefsten Gedanken und dem allerglänzend- sten Ausdruck und nirgend ist das Verwachsensein dieser Elemente inniger. Denn , die Seele der Lyrik ist die sinnliche Empfindung. Diese ist fast nur in und mit der einen Sprache möglich und wie bei °einer Umsetzung eines Gemäldes in ein andres Bildungsmittel, z. B. von Oel in Pastell, die Meister der Fär¬ bung mehr leiden würden, als die der Zeichnung und Composition, ein Titian mehr als ein Rafael, so muß auch beim Uebersetzen ein Lyriker unendlich mehr einbüßen, als ein Epiker oder Dramatiker. Endlich ist die komische Muse unendlich spröder, als die ernste. Der Scherz wurzelt im Augenblick; er gehört der Zeit, dem Ort, den Personen an; wenn diese fremd geworden sind, ist seine Bedeutung verloren. Soll man sich das nun gar noch von einem fremden' Boden her verpflanzen, so ist es doppelt fremd und bedarf der glück¬ lichsten Kühnheit, um zu gedeihen. Weder die Satire und Epistel der Römer noch irgend eines andern Volkes, noch die Sinnsprüche verschiedener Völker kamen (obwol durch zahllose Nachbildungen verunstaltet) anders als im Original zur Gel¬ tung, sie sielen und standen zu sehr mit dem eignen sprachlichen Ausdruck; der seine Dust der ariostischen und calderonschen Ironie', so anmuthig im Original, ging, weil sie fast allein auf dem Klänge beruhte, in der Uebersetzung fast ganz verloren und diese wurde dadurch viel langweiliger; Goethe blieb gleich im An¬ fang des byronschen Don JUan stecken. Besser stellte sich die Aufgabe immer noch für das Drama, wo der Wortwitz nur eine Zuthat war und die eigent¬ liche Komik sich an Handlungen und Gestalten knüpfte. Vor allen Dingen aber ist es die Sprache des Originals, deren ver¬ schiedene Uebersetzungsschwierigkeit eine Verschiedenheit des Gelingens bedingt und zwar nach Gruppen verschieden; die germanischen, die romanischen, die classischen und orientalischen haben jede verschiedene Schwierigkeiten. Es liegt auf der Hand, daß, je verwandter die Sprache ist, desto leichter aus ihr übersetzt'wird. Das Dänische, Holländische und Schwedische, welche im ganzen dieselben Stämme, Biegungen und Satzformen und mit Ausnahme der altnordischen Maße auch denselben Versbau haben, leisten geringen'Wider¬ stand. Es ist z. B. keine Kunst, Oehlenschlägerö Gedicht auf den Tod des Naturforschers Vahl zu übersetzen:

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/376>, abgerufen am 23.07.2024.