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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

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bietet uns Finnland, um uns in den Kampf hineinzuziehen. Wenn die Stürme
um mich herumtoben, kann ich nicht neutral bleiben; aber noch ist unsere
Wahl frei, es hängt vom Kaiser Alerander ab, sie zu bestimmen. Wenn er
mein aufrichtiger Freund (6g Lasur vt l'am-z) sein will, so sind die Geschicke
Europas in unsern Händen." Alerander schrieb dem Kronprinzen eigenhändig,
er wolle sein aufrichtiger Freund sein. So wurde der erste Grundstein zur
Politik von -18-12 gelegt.

Der zweite Grundstein dieser Politik war das System, welches Norwegen
für Schweden bestimmte, als Ersatz für Finnland, dessen ungestörter Besitz
von Schweden selbst Rußland garantirt werden sollte. Finnland war für
Schweden durch die Fehler Gustavs IV. verloren; Bernadotte mußte, um seine
Dynastie zu befestigen, darauf denken, dem Lande für diesen Verlust eine
Entschädigung zu verschaffen.

Noch aber hatte Bernadotte die Allianz mit Rußland nicht abgeschlossen; er
unterhandelte nur mit Nußland. Noch im Januar -18-11 machte er Napoleon die¬
selben Anerbietungen wie dem Kaiser Alerander; er bot ihm für Norwegen seine
Dienste an. Aber Napoleon setzte alle Rücksichten gegen ihn aus den Augen; bald
drohte er, ihm sein Wohlwollen zu entziehen, ohne das er nicht bestehen könne,
bald wies er seine Anerbietungen zurück und ließ ihm verachtende Noten zu-
fertigen. Freilich konnte Napoleon Norwegen dem Könige von Dänemark,
seinem frühern Alliirten, nicht nehmen. Bernadotte wollte sich inzwischen mit
dem Bisthum Throndjem, der alten schwedischen Grenze, begnügen, um wenig¬
stens eine Grenze gegen Norwegen zu haben. Er wünschte ferner, daß Pommern,
damals ein Besitzthum Schwedens, unter die Rheinbundsstaaten aufgenommen
werde, um auf diese Weise das Band zwischen Schweden und Frankreich enger
zu knüpfen. Napoleon, um das Bündniß Schwedens mit Rußland zu verei¬
teln, bot nunmehr Bernadotte Finnland; aber er verweigerte die von Berna¬
dotte geforderten Garantien und Subsidien, und die betreffenden Unterhand¬
lungen blieben daher ohne Resultat.

Seit dem August -I8-I-I erwartete Bernadotte nichts mehr von Frankreich,
der Beistand Englands und Rußlands schien ihm sicherer. Im October -I-Z-U
ließ der Gras Armfelt, ein Schwede von Geburt, der in russischen Diensten
stand, in Stockholm einen Plan überreichen, nach welchem zwischen Rußland
und der Türkei der Friede vermittelt, zwischen Rußland, Schweden und Eng¬
land eine sechste Coalition gegen Frankreich geschlossen werden, Finnland bei
Rußland bleiben und Norwegen an Schweden fallen sollte. Der Plan kam
zur Kenntniß des französischen Gesandten in Stockholm und im Januar -18-12
besetzten plötzlich französische Truppen schwedisch-Pommern. Als Bernadotte
die Nachricht erhielt, rief er aus: "Man wirft mir den Handschuh hin, ich
nehme ihn auf!" Sofort sendete er den Grasen Löwenhclm nach Petersburg,


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bietet uns Finnland, um uns in den Kampf hineinzuziehen. Wenn die Stürme
um mich herumtoben, kann ich nicht neutral bleiben; aber noch ist unsere
Wahl frei, es hängt vom Kaiser Alerander ab, sie zu bestimmen. Wenn er
mein aufrichtiger Freund (6g Lasur vt l'am-z) sein will, so sind die Geschicke
Europas in unsern Händen." Alerander schrieb dem Kronprinzen eigenhändig,
er wolle sein aufrichtiger Freund sein. So wurde der erste Grundstein zur
Politik von -18-12 gelegt.

Der zweite Grundstein dieser Politik war das System, welches Norwegen
für Schweden bestimmte, als Ersatz für Finnland, dessen ungestörter Besitz
von Schweden selbst Rußland garantirt werden sollte. Finnland war für
Schweden durch die Fehler Gustavs IV. verloren; Bernadotte mußte, um seine
Dynastie zu befestigen, darauf denken, dem Lande für diesen Verlust eine
Entschädigung zu verschaffen.

Noch aber hatte Bernadotte die Allianz mit Rußland nicht abgeschlossen; er
unterhandelte nur mit Nußland. Noch im Januar -18-11 machte er Napoleon die¬
selben Anerbietungen wie dem Kaiser Alerander; er bot ihm für Norwegen seine
Dienste an. Aber Napoleon setzte alle Rücksichten gegen ihn aus den Augen; bald
drohte er, ihm sein Wohlwollen zu entziehen, ohne das er nicht bestehen könne,
bald wies er seine Anerbietungen zurück und ließ ihm verachtende Noten zu-
fertigen. Freilich konnte Napoleon Norwegen dem Könige von Dänemark,
seinem frühern Alliirten, nicht nehmen. Bernadotte wollte sich inzwischen mit
dem Bisthum Throndjem, der alten schwedischen Grenze, begnügen, um wenig¬
stens eine Grenze gegen Norwegen zu haben. Er wünschte ferner, daß Pommern,
damals ein Besitzthum Schwedens, unter die Rheinbundsstaaten aufgenommen
werde, um auf diese Weise das Band zwischen Schweden und Frankreich enger
zu knüpfen. Napoleon, um das Bündniß Schwedens mit Rußland zu verei¬
teln, bot nunmehr Bernadotte Finnland; aber er verweigerte die von Berna¬
dotte geforderten Garantien und Subsidien, und die betreffenden Unterhand¬
lungen blieben daher ohne Resultat.

Seit dem August -I8-I-I erwartete Bernadotte nichts mehr von Frankreich,
der Beistand Englands und Rußlands schien ihm sicherer. Im October -I-Z-U
ließ der Gras Armfelt, ein Schwede von Geburt, der in russischen Diensten
stand, in Stockholm einen Plan überreichen, nach welchem zwischen Rußland
und der Türkei der Friede vermittelt, zwischen Rußland, Schweden und Eng¬
land eine sechste Coalition gegen Frankreich geschlossen werden, Finnland bei
Rußland bleiben und Norwegen an Schweden fallen sollte. Der Plan kam
zur Kenntniß des französischen Gesandten in Stockholm und im Januar -18-12
besetzten plötzlich französische Truppen schwedisch-Pommern. Als Bernadotte
die Nachricht erhielt, rief er aus: „Man wirft mir den Handschuh hin, ich
nehme ihn auf!" Sofort sendete er den Grasen Löwenhclm nach Petersburg,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/358>, abgerufen am 28.06.2024.