Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.überflüssige Acten anzulegen und suchte durch mündliche Rücksprache manches Der Superintendent bewies die Talente eines routinirten Archivars. Tauf- Der Gottesdienst begann und der Geistliche hielt seine Predigt. Wenn 41 *
überflüssige Acten anzulegen und suchte durch mündliche Rücksprache manches Der Superintendent bewies die Talente eines routinirten Archivars. Tauf- Der Gottesdienst begann und der Geistliche hielt seine Predigt. Wenn 41 *
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überflüssige Acten anzulegen und suchte durch mündliche Rücksprache manches
zu beseitigen und zu ordnen, was in andern Synoden mit der Feder abgemacht
wurde. Jedoch hielt er genau auf die sorgfältigste Führung der Kirchenbücher,
und hier ließ er keine Nachlässigkeit durchgehen,'In der frühern Zeit war das
Material, auf welches Urkunden und Documente, Contracte und Verhandlungen
geschrieben und gedruckt wurden, solid und tüchtig, Tinte und Druckerschwärze
behielten Jahrhunderte lang ihre Farbe und ein Blick in die stille Todtenkam-
mer alter Archive zeigt deutlich den leichtfertigen Sinn unsers Geschlechtes.
Dort muß der. Feind aller Geschichte, der Tvdtenwurm mit seinen ihn be¬
gleitenden Insekten respectvoll sein Zerstörungswerk ausgeben, seine Werkzeuge
sind zu schwach, um leicht Eingang zu finden, aber die Schriftstücke neuer
Archive mit ihren liederlichen Papieren und ihrer noch liederlicheren Tinte
bieten diesem Gesindel leichte Nahrung.
Der Superintendent bewies die Talente eines routinirten Archivars. Tauf-
Sterbe- und Hochzeitsbücher mußten einer genauen Revision sich unterwerfen,
was die Amtsvorgänger verschuldet, mußte annähernd wieder verbessert werden,
und die Bitte wurde stets erneuert, mit der größten Gewissenhaftigkeit daS
Pfarrarchiv zu verwalten. Dann ging es an die Kirchenrechnungen und die
Revision der Kirchenkasse. Die Geistlichen hatten öfter Monika durch die Cal-
culatur veranlaßt, der alterthümliche Kirchcnkasten mit seinen Decorationen
des früheren Schlossergewerkes, oft dem Meisterstück eines jungen Handwerkers,
öffnete sich knarrend, die Pfandbriefe wurden angesehen, endlich schloß sich der
Kasten wieder und mehr als einmal mußte der Revisor in einer stillen Privat¬
stunde über die Geheimnisse der Buchführung einen belehrenden Vortrag halten.
Dann ging es an die Interna.
Der Gottesdienst begann und der Geistliche hielt seine Predigt. Wenn
es in früherer Zeit Sitte war, mit dem Concept die Kanzel zu besteigen und
mit stillen Li.ebcsblicken in dasselbe die Rede zu halten, so war dieser Gebrauch
jetzt seinem Absterben nahe. Das Kirchenregiment beschützte jenen Gebrauch
ehemals, um die Pfarrer vor, dem Salbadern, dem planlosen Hin- und Her¬
reden zu bewahren, das Concept bot, selbst wenn es etwas vergelbt war, doch
immer eine Garantie, daß die Predigt einmal ausgearbeitet worden. Jetzt
wurde dagegen kein Pfarrer oder Kandidat zu einer Stelle königlichen Patro¬
nates berufen, wenn die Fertigkeit, ohne Concept zu sprechen, nicht vorhanden
war. Wie sehr manche Geistliche in der frühern Zeit sich verwöhnt hatten,
zeigte sich auch in dem Umstande, daß sie das Vaterunser nicht einmal frei
sprechen konnten und wir sahen einen beliebten.Kanzelredner einer großen Stadt
einst in der größten Verlegenheit, als bei einem späten Begräbnisse die herein-'
brechende Dämmerung den Redner ganz auf eignen Füßen zu stehen und das
Gebet frei zu sprechen nöthigte. Das Gefühl, daß jeder Anwesende das Gebet
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