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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

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hatte. Als die Dienstmädchen das Versteck derselben nicht zu wissen vorgaben,
machte sich der' Plünderer auf eigne Faust ans Suchen und entblödete sich
schließlich nicht, mit aufgestreiften Aermeln in den Kehrichtkasten zu tauchen.
Der Gegenstand seiner Sehnsucht lag indeß zu tief begraben, um auf diese
Weise zur Auferstehung gefördert zu werden, und der Herr Lieutenant mußte
unverrichteter Sache abziehen. Natürlich blieb die Geschichte nicht verschwie¬
gen. Umsonst versuchte der Angreifer des siebenten Gebots die Angelegen¬
heit so anzustellen, als habe er in Erinnerung alter Freundschaft dem Obersten
die Pfeifen zu retten beabsichtigt. Kein Verständiger maß seiner Entschuldigung
Glauben bei; denn man wußte nur zu gut, daß es ihm bekannt gewesen sein
mußte, wie die Erlaubniß zu einer allgemeinen Plünderung bei KroghS Den-
kungsart eine Unmöglichkeit war. So ging sein kühner Griff in den Aschen¬
kasten allmälig in den Anckdotenschatz des Volkes, als das, was er war, über.
Er wurde eine öffentliche Person im übelsten Sinne und mußte, als er später
zu Kiel in Garnison lag, um seine Versetzung einkommen, da ihm dort, wo er
sich blicken ließ, das malitiöse "Pipendeef! Pipendeef!" der Straßenjungen in
die Ohren klang.

Der Krieg hatte der Stadt schwere Opfer auferlegt, aber man hatte sie
gern gebracht, und man hätte sich zu ihrer Verdopplung verstanden, wäre man
gewiß gewesen, dadurch den faulen Frieden vermeiden zu können, der dem
Kriege folgte, und der, wenn auch nicht unmittelbar über den Beutel, doch über
die Herzen der Schleswiger schwerere Lasten verhängte, als jener. Es schien,
als habe man es in Kopenhagen darauf abgesehen, die Stadt völlig zu ruiniren.
Nach der Schlacht bei Jdstedt verließen die meisten wohlhabenden Familien
Schleswig. Dann drückte monatelang der Belagcrungsstand wie ein Alp aus
allen Verkehr. Dann kamen die Peitschen des Herrn von Tillisch und die
Skorpionen des Grasen Moltke, eine Willkürherrschaft von Beamten, welche
fast so schlimm wie der Belagerungsstand war. Dann wurden sämmtliche
Oberbehörden von hier nach Flensburg versetzt, wodurch die Stadt einerseits
eine beträchtliche Einbuße an ihren Nahrungsquellen erlitt, andrerseits aber
eine Anzahl intelligenter und das geistige Leben fördernder Personen verlor.
Man entzog ferner allen Advocaten Schleswigs, mit Ausnahme von dreien,
ihre Bestallung. Man hob die zahlreichen Vereine, die sich in der Zeit vor
der Erhebung und während derselben für Zwecke der Bildung oder der Wohl¬
thätigkeit zusammengefunden, ohne Rücksicht daraus, ob sie sich verdächtig ge¬
macht oder nicht, plötzlich auf und gestattete erst spät den Wiederzusammentritt
einiger von ihnen. Man führte, wie bereits bemerkt, die Eisenbahn seitwärts
an der Stadt vorbei und baute, womit allerdings einiger Verdienst für die
Bürger verbunden war, die Zierde und den Stolz Schleswigs, Gottorp, das
alte Herzogsschloß, in eine Kaserne um. Es befanden sich in der Stadt ge-


hatte. Als die Dienstmädchen das Versteck derselben nicht zu wissen vorgaben,
machte sich der' Plünderer auf eigne Faust ans Suchen und entblödete sich
schließlich nicht, mit aufgestreiften Aermeln in den Kehrichtkasten zu tauchen.
Der Gegenstand seiner Sehnsucht lag indeß zu tief begraben, um auf diese
Weise zur Auferstehung gefördert zu werden, und der Herr Lieutenant mußte
unverrichteter Sache abziehen. Natürlich blieb die Geschichte nicht verschwie¬
gen. Umsonst versuchte der Angreifer des siebenten Gebots die Angelegen¬
heit so anzustellen, als habe er in Erinnerung alter Freundschaft dem Obersten
die Pfeifen zu retten beabsichtigt. Kein Verständiger maß seiner Entschuldigung
Glauben bei; denn man wußte nur zu gut, daß es ihm bekannt gewesen sein
mußte, wie die Erlaubniß zu einer allgemeinen Plünderung bei KroghS Den-
kungsart eine Unmöglichkeit war. So ging sein kühner Griff in den Aschen¬
kasten allmälig in den Anckdotenschatz des Volkes, als das, was er war, über.
Er wurde eine öffentliche Person im übelsten Sinne und mußte, als er später
zu Kiel in Garnison lag, um seine Versetzung einkommen, da ihm dort, wo er
sich blicken ließ, das malitiöse „Pipendeef! Pipendeef!" der Straßenjungen in
die Ohren klang.

Der Krieg hatte der Stadt schwere Opfer auferlegt, aber man hatte sie
gern gebracht, und man hätte sich zu ihrer Verdopplung verstanden, wäre man
gewiß gewesen, dadurch den faulen Frieden vermeiden zu können, der dem
Kriege folgte, und der, wenn auch nicht unmittelbar über den Beutel, doch über
die Herzen der Schleswiger schwerere Lasten verhängte, als jener. Es schien,
als habe man es in Kopenhagen darauf abgesehen, die Stadt völlig zu ruiniren.
Nach der Schlacht bei Jdstedt verließen die meisten wohlhabenden Familien
Schleswig. Dann drückte monatelang der Belagcrungsstand wie ein Alp aus
allen Verkehr. Dann kamen die Peitschen des Herrn von Tillisch und die
Skorpionen des Grasen Moltke, eine Willkürherrschaft von Beamten, welche
fast so schlimm wie der Belagerungsstand war. Dann wurden sämmtliche
Oberbehörden von hier nach Flensburg versetzt, wodurch die Stadt einerseits
eine beträchtliche Einbuße an ihren Nahrungsquellen erlitt, andrerseits aber
eine Anzahl intelligenter und das geistige Leben fördernder Personen verlor.
Man entzog ferner allen Advocaten Schleswigs, mit Ausnahme von dreien,
ihre Bestallung. Man hob die zahlreichen Vereine, die sich in der Zeit vor
der Erhebung und während derselben für Zwecke der Bildung oder der Wohl¬
thätigkeit zusammengefunden, ohne Rücksicht daraus, ob sie sich verdächtig ge¬
macht oder nicht, plötzlich auf und gestattete erst spät den Wiederzusammentritt
einiger von ihnen. Man führte, wie bereits bemerkt, die Eisenbahn seitwärts
an der Stadt vorbei und baute, womit allerdings einiger Verdienst für die
Bürger verbunden war, die Zierde und den Stolz Schleswigs, Gottorp, das
alte Herzogsschloß, in eine Kaserne um. Es befanden sich in der Stadt ge-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/300>, abgerufen am 23.07.2024.