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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

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ganze nüchterne, Hausbackene und wohlhäbige^Leben wird für die specifisch
norddeutsche Künstlernatur zu einer unergründlichen Fundgrube gesunder Stoffe.
Es ist nicht die aristokratische Stall- und Boudoiratmosphäre der englischen,
nicht der traditionelle Humor und Vortrag der niederländischen Kunst, es ist
ihr Schaffen mitten aus der Bürgerlichkeit ohne Reminiscenzen herausge-
schöpft. Hier ist die Popularität ein natürliches Resultat. Wenn wir die
Arbeiten von Kauffmann, Hardorf, Häselich, die Zeichnungen von Speckter,
die Mappen der Gebrüder Gentzler durchgehen, so wird es wahrscheinlich, daß
diese tüchtigen und fleißigen Kräfte sich verzehren und verflachen würden, wenn
sie eben nicht diese Stoffe so derb zu packen und zu verarbeiten Luft und Muth
behielten.

Man mag sich leicht vergegenwärtigen, mit welchem Behagen grade in
diesen Kreisen Klaus Groths plattdeutsche Gedichte begrüßt wurden. Es war
ein überaus glücklicher Gedanke der Verleger, für die Illustration derselben in
dem nächsten heimischen Künstlerkreis sich nach einer passenden Kraft umzusehen.
Das Resultat der getroffenen Wahl liegt jetzt zum Theil vor in

Quickborn von Klaus Groth. Mit Holzschnitten nach Zeichnungen von
O. Speckter. Erste Abtheilung. Hamburg, Perthes, Besser K Manate.
1836. 26 Bogen 8. --

Groths Arbeit hat sofort bei ihrem Erscheinen sehr häusig den Vergleich
mit Hebels alemannischen Gedichten aushalten müssen, hier wird auch der
Vergleich mit Richters Illustrationen unabweisbar zur Hand liegen. ES
würde ungerecht sein, nicht vorweg erinnern zu wollen, welche Schwierigkeiten
der technischen Behandlung für ein solches Werk in Hamburg zunächst zu
überwinden waren- Wie sehr man darüber Herr geworden, das muß der
Referent den Technikern anzuerkennen überlassen. .

Schon bei Vergleichung der Dichter, Groth und Hebel, stellt sich heraus, daß,
so scheinbar gleich beider Unternehmen ist, die Lösung sich nicht nur durch die Ver¬
schiedenheit des Materials anders gestalten mußte. Es ist mit den Dialekten wie mit
den Menschen: für das Alltagsleben hat jeder Sterbliche sein Signalemem!
es bildet sich von ihm als Bild ein Compler von Urtheilen, in dem die öffent¬
liche Meinung mit ungeschickter Hand solange herumtappt, bis nur einige leicht¬
faßliche Züge stehen bleiben, aber so gewiß diese Züge irgendwie aus seinem
Wesen stammen, so gewiß sind sie vies Wesen nicht ganz. Doch wird das
Publicum immer mit besonderer Genugthuung den von ihm Signalisirten in
einer dem Signalement entsprechenden Thätigkeit sehen. Hebel nur hat mit gra¬
ziösen Geist den alemannischen Dialekt für den Charakter von Treuherzigkeit und
Schalkhaftigkeit verwandt, den der Süd- und norddeutsche einmal als das
Signalement dieses Stammes acceptirt haben. Man vergißt, daß in derselben


Grenzboten. IV. -1866. 28

ganze nüchterne, Hausbackene und wohlhäbige^Leben wird für die specifisch
norddeutsche Künstlernatur zu einer unergründlichen Fundgrube gesunder Stoffe.
Es ist nicht die aristokratische Stall- und Boudoiratmosphäre der englischen,
nicht der traditionelle Humor und Vortrag der niederländischen Kunst, es ist
ihr Schaffen mitten aus der Bürgerlichkeit ohne Reminiscenzen herausge-
schöpft. Hier ist die Popularität ein natürliches Resultat. Wenn wir die
Arbeiten von Kauffmann, Hardorf, Häselich, die Zeichnungen von Speckter,
die Mappen der Gebrüder Gentzler durchgehen, so wird es wahrscheinlich, daß
diese tüchtigen und fleißigen Kräfte sich verzehren und verflachen würden, wenn
sie eben nicht diese Stoffe so derb zu packen und zu verarbeiten Luft und Muth
behielten.

Man mag sich leicht vergegenwärtigen, mit welchem Behagen grade in
diesen Kreisen Klaus Groths plattdeutsche Gedichte begrüßt wurden. Es war
ein überaus glücklicher Gedanke der Verleger, für die Illustration derselben in
dem nächsten heimischen Künstlerkreis sich nach einer passenden Kraft umzusehen.
Das Resultat der getroffenen Wahl liegt jetzt zum Theil vor in

Quickborn von Klaus Groth. Mit Holzschnitten nach Zeichnungen von
O. Speckter. Erste Abtheilung. Hamburg, Perthes, Besser K Manate.
1836. 26 Bogen 8. —

Groths Arbeit hat sofort bei ihrem Erscheinen sehr häusig den Vergleich
mit Hebels alemannischen Gedichten aushalten müssen, hier wird auch der
Vergleich mit Richters Illustrationen unabweisbar zur Hand liegen. ES
würde ungerecht sein, nicht vorweg erinnern zu wollen, welche Schwierigkeiten
der technischen Behandlung für ein solches Werk in Hamburg zunächst zu
überwinden waren- Wie sehr man darüber Herr geworden, das muß der
Referent den Technikern anzuerkennen überlassen. .

Schon bei Vergleichung der Dichter, Groth und Hebel, stellt sich heraus, daß,
so scheinbar gleich beider Unternehmen ist, die Lösung sich nicht nur durch die Ver¬
schiedenheit des Materials anders gestalten mußte. Es ist mit den Dialekten wie mit
den Menschen: für das Alltagsleben hat jeder Sterbliche sein Signalemem!
es bildet sich von ihm als Bild ein Compler von Urtheilen, in dem die öffent¬
liche Meinung mit ungeschickter Hand solange herumtappt, bis nur einige leicht¬
faßliche Züge stehen bleiben, aber so gewiß diese Züge irgendwie aus seinem
Wesen stammen, so gewiß sind sie vies Wesen nicht ganz. Doch wird das
Publicum immer mit besonderer Genugthuung den von ihm Signalisirten in
einer dem Signalement entsprechenden Thätigkeit sehen. Hebel nur hat mit gra¬
ziösen Geist den alemannischen Dialekt für den Charakter von Treuherzigkeit und
Schalkhaftigkeit verwandt, den der Süd- und norddeutsche einmal als das
Signalement dieses Stammes acceptirt haben. Man vergißt, daß in derselben


Grenzboten. IV. -1866. 28
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[0225] ganze nüchterne, Hausbackene und wohlhäbige^Leben wird für die specifisch norddeutsche Künstlernatur zu einer unergründlichen Fundgrube gesunder Stoffe. Es ist nicht die aristokratische Stall- und Boudoiratmosphäre der englischen, nicht der traditionelle Humor und Vortrag der niederländischen Kunst, es ist ihr Schaffen mitten aus der Bürgerlichkeit ohne Reminiscenzen herausge- schöpft. Hier ist die Popularität ein natürliches Resultat. Wenn wir die Arbeiten von Kauffmann, Hardorf, Häselich, die Zeichnungen von Speckter, die Mappen der Gebrüder Gentzler durchgehen, so wird es wahrscheinlich, daß diese tüchtigen und fleißigen Kräfte sich verzehren und verflachen würden, wenn sie eben nicht diese Stoffe so derb zu packen und zu verarbeiten Luft und Muth behielten. Man mag sich leicht vergegenwärtigen, mit welchem Behagen grade in diesen Kreisen Klaus Groths plattdeutsche Gedichte begrüßt wurden. Es war ein überaus glücklicher Gedanke der Verleger, für die Illustration derselben in dem nächsten heimischen Künstlerkreis sich nach einer passenden Kraft umzusehen. Das Resultat der getroffenen Wahl liegt jetzt zum Theil vor in Quickborn von Klaus Groth. Mit Holzschnitten nach Zeichnungen von O. Speckter. Erste Abtheilung. Hamburg, Perthes, Besser K Manate. 1836. 26 Bogen 8. — Groths Arbeit hat sofort bei ihrem Erscheinen sehr häusig den Vergleich mit Hebels alemannischen Gedichten aushalten müssen, hier wird auch der Vergleich mit Richters Illustrationen unabweisbar zur Hand liegen. ES würde ungerecht sein, nicht vorweg erinnern zu wollen, welche Schwierigkeiten der technischen Behandlung für ein solches Werk in Hamburg zunächst zu überwinden waren- Wie sehr man darüber Herr geworden, das muß der Referent den Technikern anzuerkennen überlassen. . Schon bei Vergleichung der Dichter, Groth und Hebel, stellt sich heraus, daß, so scheinbar gleich beider Unternehmen ist, die Lösung sich nicht nur durch die Ver¬ schiedenheit des Materials anders gestalten mußte. Es ist mit den Dialekten wie mit den Menschen: für das Alltagsleben hat jeder Sterbliche sein Signalemem! es bildet sich von ihm als Bild ein Compler von Urtheilen, in dem die öffent¬ liche Meinung mit ungeschickter Hand solange herumtappt, bis nur einige leicht¬ faßliche Züge stehen bleiben, aber so gewiß diese Züge irgendwie aus seinem Wesen stammen, so gewiß sind sie vies Wesen nicht ganz. Doch wird das Publicum immer mit besonderer Genugthuung den von ihm Signalisirten in einer dem Signalement entsprechenden Thätigkeit sehen. Hebel nur hat mit gra¬ ziösen Geist den alemannischen Dialekt für den Charakter von Treuherzigkeit und Schalkhaftigkeit verwandt, den der Süd- und norddeutsche einmal als das Signalement dieses Stammes acceptirt haben. Man vergißt, daß in derselben Grenzboten. IV. -1866. 28

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/225>, abgerufen am 24.08.2024.