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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

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strationen zeugen von einer Bewegung des philiströsen Dünkels, wie der herz¬
lichen, naivfrischen Theilnahme, von selbstzufriednem Dilettantismus und kind¬
licher Empfänglichkeit, womit eine Menge gelungener Arbeiten von dem größern
Publicum begrüßt und unter demselben eingebürgert wurden. Die unendliche
Genügsamkeit in diesen Genüssen, welche die Majorität unsers Publicums, und
zwar nicht nur des fiebellesenden, noch vor einigen Jahrzehnten auszeichnete, ist
vollständig geschwunden.

Sieht man in der Reihe der Illustrationen von Ludwig Richters berühmten
Produktionen aus weiter zurück, so treffen wir sast im Anfang dieser so er¬
freulichen Bewegung ein kleines, liebenswürdiges Buch, die erste Ausgabe der
"fünfzig Fabeln mit Zeichnungen von Otto Speckter." So bescheiden die Auf¬
gabe gestellt war, so wird man doch wenig ähnliche populäre Arbeiten finden,
in denen sie vollkommen gelöst ward. Für alle Naturen, in denen der Drang
des Schaffens nicht eine unwiderstehliche und unversiegbare Schicksals¬
macht ist, die aber im Guten, Schönen, Wahren resolut zu leben mit ihren
beiden Beinen auf diese Erde gestellt sind, für diese sind ihr eignes Leben und
ihre irdische Umgebung der einzig gesunde Boden, aus denen sie in Liebe und
Haß die Anschauungen für ihre Kunst ziehen. Leider sieht man nur zu häufig
solche Talente in unablässigem Kampfe der Philiströsität gerade vor den Kopf
rennen, andere ihr endlich die unselige Concession der Eleganz und des Ge¬
schmackvollen machen und man würde wirklich meinen, daß nur das Genie den
Fluch künstlerischen Berufs ohne Verderben zu tragen vermöchte, wenn uns nicht
zuweilen glückliche Naturen begegneten, die unter des Nordens traurigen
Nebeln, ja mitten zwischen Börse und Bank, die Pfade künstlerischer Production
doch mit ernster Kraft zu wandeln nicht müde werden. Die entschiedenen Fort¬
schritte, welche das künstlerische Interesse in neuerer Zeit auch zu Hamburg gemacht,
sind zum Theil erreicht durch die glückliche Vereinigung solcher frischen und
unverzagten Menschen. Uns will es manchmal bedünken, als sei das Gebäude
der patriotischen Gesellschaft, Bünaus wunderliche, geistreiche und vielbekrittelte
Arbeit, jenes moderne Stück Quatrocento mitten in dem urpraktischen Hamburg,
mit seinen engen Pförtchen, mit seinen pittoresken, aber unpraktischen Treppen und
Bogen nur das Wahrzeichen für die heimliche Stelle, wo in Hamburg, unten in
der hochgurtigen Kellerstube, trotz alledem die deutsche Kunst ihr unverwüstliches
Bergmannsleben treibt. Es gehören hier freilich gesunde geistige Lungen, ein
scharfes Auge, sicherer Blick, die Lust am kleinsten Erfolg, Nüchternheit und
Beschränkung in den Aufgaben, Humor, Fleiß und Feuer für die Ausführung
zum guten Erfolg. Dann freilich ist an Stoffen kein Mangel. Der breite,
trübe Fluß mit seinen unförmigen Marschen und Haiden, die großen und
kleinen Städte des norddeutschen Protestantismus, die vierschrötige, schwerfällige
Bevölkerung, das gefegte und geputzte Haus selbst und Hund und Katze, das


strationen zeugen von einer Bewegung des philiströsen Dünkels, wie der herz¬
lichen, naivfrischen Theilnahme, von selbstzufriednem Dilettantismus und kind¬
licher Empfänglichkeit, womit eine Menge gelungener Arbeiten von dem größern
Publicum begrüßt und unter demselben eingebürgert wurden. Die unendliche
Genügsamkeit in diesen Genüssen, welche die Majorität unsers Publicums, und
zwar nicht nur des fiebellesenden, noch vor einigen Jahrzehnten auszeichnete, ist
vollständig geschwunden.

Sieht man in der Reihe der Illustrationen von Ludwig Richters berühmten
Produktionen aus weiter zurück, so treffen wir sast im Anfang dieser so er¬
freulichen Bewegung ein kleines, liebenswürdiges Buch, die erste Ausgabe der
„fünfzig Fabeln mit Zeichnungen von Otto Speckter." So bescheiden die Auf¬
gabe gestellt war, so wird man doch wenig ähnliche populäre Arbeiten finden,
in denen sie vollkommen gelöst ward. Für alle Naturen, in denen der Drang
des Schaffens nicht eine unwiderstehliche und unversiegbare Schicksals¬
macht ist, die aber im Guten, Schönen, Wahren resolut zu leben mit ihren
beiden Beinen auf diese Erde gestellt sind, für diese sind ihr eignes Leben und
ihre irdische Umgebung der einzig gesunde Boden, aus denen sie in Liebe und
Haß die Anschauungen für ihre Kunst ziehen. Leider sieht man nur zu häufig
solche Talente in unablässigem Kampfe der Philiströsität gerade vor den Kopf
rennen, andere ihr endlich die unselige Concession der Eleganz und des Ge¬
schmackvollen machen und man würde wirklich meinen, daß nur das Genie den
Fluch künstlerischen Berufs ohne Verderben zu tragen vermöchte, wenn uns nicht
zuweilen glückliche Naturen begegneten, die unter des Nordens traurigen
Nebeln, ja mitten zwischen Börse und Bank, die Pfade künstlerischer Production
doch mit ernster Kraft zu wandeln nicht müde werden. Die entschiedenen Fort¬
schritte, welche das künstlerische Interesse in neuerer Zeit auch zu Hamburg gemacht,
sind zum Theil erreicht durch die glückliche Vereinigung solcher frischen und
unverzagten Menschen. Uns will es manchmal bedünken, als sei das Gebäude
der patriotischen Gesellschaft, Bünaus wunderliche, geistreiche und vielbekrittelte
Arbeit, jenes moderne Stück Quatrocento mitten in dem urpraktischen Hamburg,
mit seinen engen Pförtchen, mit seinen pittoresken, aber unpraktischen Treppen und
Bogen nur das Wahrzeichen für die heimliche Stelle, wo in Hamburg, unten in
der hochgurtigen Kellerstube, trotz alledem die deutsche Kunst ihr unverwüstliches
Bergmannsleben treibt. Es gehören hier freilich gesunde geistige Lungen, ein
scharfes Auge, sicherer Blick, die Lust am kleinsten Erfolg, Nüchternheit und
Beschränkung in den Aufgaben, Humor, Fleiß und Feuer für die Ausführung
zum guten Erfolg. Dann freilich ist an Stoffen kein Mangel. Der breite,
trübe Fluß mit seinen unförmigen Marschen und Haiden, die großen und
kleinen Städte des norddeutschen Protestantismus, die vierschrötige, schwerfällige
Bevölkerung, das gefegte und geputzte Haus selbst und Hund und Katze, das


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/224>, abgerufen am 22.07.2024.