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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

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Aussätzige behandelt und sie von allen Annehmlichkeiten der Gesellschaft aus¬
schließt, im höchsten Grade unbequem ist, und daß sie die Versetzung nach
Kiel infolge dessen als eine Art Erilirung betrachten, ist begreiflich. Daß
auch Ausnahmen von der "fratzenhaften Eitelkeit" der Kopenhagener -- ich
weiß wenigstens eine -- davon betroffen werden, mag zu bedauern sein. Wir
im Süden können dazu nur "Bravo! Da Capo'. Man to, Jungens'. So fortgefah¬
ren!" rufen, und daß so fortgefahren werden wird, dafür ist uns der ausdauernde,
nicht leicht von dem einmal angenommenen Systeme abweichende Charakter
des Niederdeutschen Bürge. Möge dieser wackern Gesinnung bald der Lohn
werden, die lästigen Gäste mitsammt ihren Danebrogsfahnen sich dahin trollen
zu sehen, wohin sie von Rechtswegen gehören, und wo sie auf alle Fälle eine
weniger traurige Rolle spielen werden als hier, über Deutschlands Grenzen
und den Bell hinaus nach ihren Inseln!

Möge niemand hier dreinreden mit Erinnerungen an die Pflicht allge¬
meiner Menschenliebe. Jedes an seinen Ort, und jener Haß und dieser Wunsch
sind hier wahrlich am rechten Orte. Wenn wir aber auch jene Ausdauer im
Hassen nicht in Anschlag bringen, gehört eine allmälige Ausgleichung der
Kluft zwischen den beiden Nationalitäten schlechterdings ins Reich der Un¬
möglichkeiten.

Erstens hat der Däne oder mindestens der von Kopenhagen aus be¬
stimmte Jnseldäne, wie ich später weiter darzulegen vielleicht Gelegenheit
nehme, eine andere Moral und überhaupt einen andern Tenor als der Deutsche.
Was jener für erlaubt hält, gilt diesem als ungehörig und bisweilen als
schändlich. Wo jener unbedenklich zugreift, fühlt dieser sich verbrannt wie
von Scheidewasser. Wo dieser nur nach Pflicht und Gewissen zu handeln
meint, steht jener ein außerordentliches Opfer. Wo dieser das Wesen ver¬
langt, ist jener zufrieden gestellt, wenn ihm der Schein wird. Ein deutscher
Knecht, der -- si von e vsro, e den trovaw -- beim Kornreinigen in der
Scheune mit einem engen Siebe nicht zu Gange kommen konnte, rief, nach
einem weitern zeigend, seinem Kameraden zu: "Gip mi man Samvittighed
her!" Samvittighed heißt im Dänischen "Gewissen", und wie schön ist hier¬
durch der Unterschied zwischen dem Rechtsbewußtsein beider Theile bezeichnet!
Daß es Ausnahmen von der Regel gibt, mag zugestanden werden. Häufig
scheinen sie indeß nicht zu sein. Ob das Wort: "'s ist etwas faul im Staate
Dänemark" schon früher eine Wahrheit gewesen ist, lasse ich dahingestellt,
daß es jetzt zutrifft, wird von allen behauptet, welche in Kopenhagen gelebt
haben. Daß diese Fäulniß aber dem gesunden Körper der deutschen Herzog¬
tümer eingeimpft werden soll, ist das Grauenvollste an den hiesigen Zustän¬
den, und nun spreche noch jemand von der Anwendbarkeit des Gebots allge¬
meiner Menschenliebe aus die, welche unter diesen Zuständen seufzen.


Aussätzige behandelt und sie von allen Annehmlichkeiten der Gesellschaft aus¬
schließt, im höchsten Grade unbequem ist, und daß sie die Versetzung nach
Kiel infolge dessen als eine Art Erilirung betrachten, ist begreiflich. Daß
auch Ausnahmen von der „fratzenhaften Eitelkeit" der Kopenhagener — ich
weiß wenigstens eine — davon betroffen werden, mag zu bedauern sein. Wir
im Süden können dazu nur „Bravo! Da Capo'. Man to, Jungens'. So fortgefah¬
ren!" rufen, und daß so fortgefahren werden wird, dafür ist uns der ausdauernde,
nicht leicht von dem einmal angenommenen Systeme abweichende Charakter
des Niederdeutschen Bürge. Möge dieser wackern Gesinnung bald der Lohn
werden, die lästigen Gäste mitsammt ihren Danebrogsfahnen sich dahin trollen
zu sehen, wohin sie von Rechtswegen gehören, und wo sie auf alle Fälle eine
weniger traurige Rolle spielen werden als hier, über Deutschlands Grenzen
und den Bell hinaus nach ihren Inseln!

Möge niemand hier dreinreden mit Erinnerungen an die Pflicht allge¬
meiner Menschenliebe. Jedes an seinen Ort, und jener Haß und dieser Wunsch
sind hier wahrlich am rechten Orte. Wenn wir aber auch jene Ausdauer im
Hassen nicht in Anschlag bringen, gehört eine allmälige Ausgleichung der
Kluft zwischen den beiden Nationalitäten schlechterdings ins Reich der Un¬
möglichkeiten.

Erstens hat der Däne oder mindestens der von Kopenhagen aus be¬
stimmte Jnseldäne, wie ich später weiter darzulegen vielleicht Gelegenheit
nehme, eine andere Moral und überhaupt einen andern Tenor als der Deutsche.
Was jener für erlaubt hält, gilt diesem als ungehörig und bisweilen als
schändlich. Wo jener unbedenklich zugreift, fühlt dieser sich verbrannt wie
von Scheidewasser. Wo dieser nur nach Pflicht und Gewissen zu handeln
meint, steht jener ein außerordentliches Opfer. Wo dieser das Wesen ver¬
langt, ist jener zufrieden gestellt, wenn ihm der Schein wird. Ein deutscher
Knecht, der — si von e vsro, e den trovaw — beim Kornreinigen in der
Scheune mit einem engen Siebe nicht zu Gange kommen konnte, rief, nach
einem weitern zeigend, seinem Kameraden zu: „Gip mi man Samvittighed
her!" Samvittighed heißt im Dänischen „Gewissen", und wie schön ist hier¬
durch der Unterschied zwischen dem Rechtsbewußtsein beider Theile bezeichnet!
Daß es Ausnahmen von der Regel gibt, mag zugestanden werden. Häufig
scheinen sie indeß nicht zu sein. Ob das Wort: „'s ist etwas faul im Staate
Dänemark" schon früher eine Wahrheit gewesen ist, lasse ich dahingestellt,
daß es jetzt zutrifft, wird von allen behauptet, welche in Kopenhagen gelebt
haben. Daß diese Fäulniß aber dem gesunden Körper der deutschen Herzog¬
tümer eingeimpft werden soll, ist das Grauenvollste an den hiesigen Zustän¬
den, und nun spreche noch jemand von der Anwendbarkeit des Gebots allge¬
meiner Menschenliebe aus die, welche unter diesen Zuständen seufzen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/21>, abgerufen am 15.01.2025.