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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

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auch gesagt, daß Rußland gegen Jnvasionsheere nicht wehrlos ist, denn von dem
Augenblicke an, wo die feindlichen Truppen die Meeresküste oder die Grenzen
des eignen Landes verlassen, reagiren dieselben Gefahren des Landes und Kli¬
mas auch gegen sie.

Es war zu erwarten, daß die letzten Erfolge der Verbündeten aus die
auswärtige Politik Preußens und Oestreichs mächtig influiren würden; und in
der That, um einen frivolen Vergleich zu brauchen, gleicht die Politik beider
Staaten der Taktik koketter Damen, welche stille Antipathien gegeneinander
nicht verbergen können und beide ihre Artigkeit bald diesem, bald jenem Be¬
werber gönnen, der grade in dem Salon gute Erfolge davongetragen hat. Es ist
anzunehmen, daß beide nicht die Absicht haben, sich für einen der Freier, weder für
den Osten, noch Westen, im Ernst zu entscheiden; auf die eine Seite zieht alte
Freundschaft, auf die andere junge Unwiderstehlichkeit, und noch dazu die Kälte,
welche durch früheres sprödes oder launisches Wesen der Damen verursacht ist. Es
scheint, als wenn die Phantasie beider in diesem Augenblick der Kälte einer
siegreichen Kraft nicht widerstehen könnte. Preußen sowol als Oestreich haben,
wie sich bei solcher Politik erwarten ließ, in der letzten Zeit stille oder officielle
Annäherungen an Frankreich gesucht, und wenn die Zeichen nicht trügen, so
find beide darin nicht unglücklich gewesen. Freilich stehen sie auch zu den
Westmächten nicht ganz auf demselben Fuße. Oestreich ist formell durch Ver¬
träge an die Wcstmächte gebunven, aber sein Rückzug im entscheidenden Augen¬
blick hat eine innere Kälte hervorgerufen, welche sich nur schwer durch diplo¬
matische Annäherung in neue entönts oorätalö umwandeln wird, Preußen hat
trotz allem Schaukeln im Ganzen betrachtet bis jetzt mehr die Haltung eines
Gegners, als eines Freundes gehabt, und wenn seine jetzigen Annäherungen
auch kein volles Vertrauen einflößen, so ist doch kein stark verletztes Gefühl in
Paris und London zu bekämpfen. Und als ein kleines Zeichen einer größern
Connivenz zwischen Preußen und Frankreich kann betrachtet werden, daß Preu¬
ßen, wie die Zeitungen melden, durch den Kaiser aufgefordert worden ist, auch
seinerseits einen Deputaten sür die Commission zu ernennen, welche wegen
Durchstechung der Landenge von Suez verhandeln soll. Es steht zu erwarten,
daß eine ernsthafte Betheiligung bei diesen naheliegenden Interessen ganz im
Sinne des berliner Cabinets sein wird.

Unterdeß ist in Deutschland" selbst das stagnirende Wasser unsres politischen
Lebens durch verschiedene Ereignisse in Bewegung gesetzt worden. Zwei Abenteurer
der Reaction, die Herren Fischer und Hassenpflug haben ihre Ministerien ver¬
loren, sie sind ruhmlos gefallen, ruhmlos auch für das deutsche Volk, denn ihr
Sturz wurde nicht durch die thätige Mitwirkung des verletzten sittlichen Selblt-
gesühls unsrer Nation herbeigeführt, sondern durch kleine Zänkereien und viel¬
leicht dadurch, daß ihre Landesherren froh waren, zu diensteifrige Werkzeuge, wei-


auch gesagt, daß Rußland gegen Jnvasionsheere nicht wehrlos ist, denn von dem
Augenblicke an, wo die feindlichen Truppen die Meeresküste oder die Grenzen
des eignen Landes verlassen, reagiren dieselben Gefahren des Landes und Kli¬
mas auch gegen sie.

Es war zu erwarten, daß die letzten Erfolge der Verbündeten aus die
auswärtige Politik Preußens und Oestreichs mächtig influiren würden; und in
der That, um einen frivolen Vergleich zu brauchen, gleicht die Politik beider
Staaten der Taktik koketter Damen, welche stille Antipathien gegeneinander
nicht verbergen können und beide ihre Artigkeit bald diesem, bald jenem Be¬
werber gönnen, der grade in dem Salon gute Erfolge davongetragen hat. Es ist
anzunehmen, daß beide nicht die Absicht haben, sich für einen der Freier, weder für
den Osten, noch Westen, im Ernst zu entscheiden; auf die eine Seite zieht alte
Freundschaft, auf die andere junge Unwiderstehlichkeit, und noch dazu die Kälte,
welche durch früheres sprödes oder launisches Wesen der Damen verursacht ist. Es
scheint, als wenn die Phantasie beider in diesem Augenblick der Kälte einer
siegreichen Kraft nicht widerstehen könnte. Preußen sowol als Oestreich haben,
wie sich bei solcher Politik erwarten ließ, in der letzten Zeit stille oder officielle
Annäherungen an Frankreich gesucht, und wenn die Zeichen nicht trügen, so
find beide darin nicht unglücklich gewesen. Freilich stehen sie auch zu den
Westmächten nicht ganz auf demselben Fuße. Oestreich ist formell durch Ver¬
träge an die Wcstmächte gebunven, aber sein Rückzug im entscheidenden Augen¬
blick hat eine innere Kälte hervorgerufen, welche sich nur schwer durch diplo¬
matische Annäherung in neue entönts oorätalö umwandeln wird, Preußen hat
trotz allem Schaukeln im Ganzen betrachtet bis jetzt mehr die Haltung eines
Gegners, als eines Freundes gehabt, und wenn seine jetzigen Annäherungen
auch kein volles Vertrauen einflößen, so ist doch kein stark verletztes Gefühl in
Paris und London zu bekämpfen. Und als ein kleines Zeichen einer größern
Connivenz zwischen Preußen und Frankreich kann betrachtet werden, daß Preu¬
ßen, wie die Zeitungen melden, durch den Kaiser aufgefordert worden ist, auch
seinerseits einen Deputaten sür die Commission zu ernennen, welche wegen
Durchstechung der Landenge von Suez verhandeln soll. Es steht zu erwarten,
daß eine ernsthafte Betheiligung bei diesen naheliegenden Interessen ganz im
Sinne des berliner Cabinets sein wird.

Unterdeß ist in Deutschland" selbst das stagnirende Wasser unsres politischen
Lebens durch verschiedene Ereignisse in Bewegung gesetzt worden. Zwei Abenteurer
der Reaction, die Herren Fischer und Hassenpflug haben ihre Ministerien ver¬
loren, sie sind ruhmlos gefallen, ruhmlos auch für das deutsche Volk, denn ihr
Sturz wurde nicht durch die thätige Mitwirkung des verletzten sittlichen Selblt-
gesühls unsrer Nation herbeigeführt, sondern durch kleine Zänkereien und viel¬
leicht dadurch, daß ihre Landesherren froh waren, zu diensteifrige Werkzeuge, wei-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/200>, abgerufen am 22.07.2024.