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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

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sagte; denn nach seiner Stärke hätte er, um in ansprechende Proportion
zu treten, fast noch einmal so hoch werden müssen, als er wirklich ist. An
ihm findet sich noch eine Sonnenuhr von Kopernicus Hand, der an diesem
Dome einst Propst gewesen. Auch enthält die Kirche noch ein Bildniß von
ihm, auf einer sast zwei Ellen hohen hölzernen Tafel gemalt, doch ohne allen
Werth. Bei weitem mehr Eindruck macht die erste und älteste Kirche der Stadt,
die Marienkirche, 1239--von den deutschen Rittern erbaut, deren edle, kühn-
aufstrebende gothische Form stark an die um 33 Jahre später von Dietrich von
Altenburg zu Markenburg erbaute Schloßkirche erinnert; es gehört dieser Dom
mithin zu den ersten Bauwerken des in Preußen sich festsetzenden deutschen
Ordens. -- Ein eignes Interesse gewährt die um'1300 gebaute Jacobskirche
aus der Neustadt durch ihre gleichsam zusammengewachsenen, 150 Fuß hohen
Zwillingsthürme, die nach oben zu breiter werden, sowie durch die äußeren
Wandstrebepfeiler und einen überaus schön geschmückten Giebel hinten. Recht
freundlich nimmt sich das neue Stadttheater am Markte aus, mit seinen
jonischen Pilastern. Sein oberes Stockwerk enthält das Local der Ressource
"Geselligkeit", das untere "Thalias Tempel", hübsch decorirt und recht geräumig.
Früher stand hier der alte "Arthushof", erbaut 1309 unter Siegfried von
Feuchtwangcn, fünf Etagen hoch, mit thurmhohen, schönbemaltem Giebel und
zwei Seltenthürmen geschmückt. In ihm versammelte sich die Blüte der Aristokratie
Thorrs in Gemeinschaft mit der Gilde der Kaufleute und Schiffer, weshalb
drei Bänke im Sale standen; Handwerker waren davon ausgeschlossen. Der
Zweck dieser Brüderschaft war Armenpflege und geselliges Vergnügen. Ein
originelles Baukunststück besitzt die Stadt im schiefen Thurm am Anfang der
Bäckergasse, der an Visa und Bologna erinnert und den der Sage nach ein
gottloser Kreuzherr also erbauen ließ. Ebenso merkwürdig ist das kulmer Thor
geworden durch eine Figur darauf mit einem Kochlöffel in der Hand, die als
Wetterfahne dient. Die Sage berichtet nämlich, daß bei der Sprengung der
alten Burg, nach dem Abfall der Stadt vom Orden, der dortige Koch mit in
die Lust gesprengt und aus dieses Thor geworfen sei, weshalb zum Andenken
noch jene Figur. Neste der Ordensburg erblickt man zu Füßen der schön
gelegenen Weichselterrasse. Aus ihnen hervor ragt noch ein stattlicher Thurm
mit einem Schwibbogen, der zum Capitelsale führte. -- Eine merkwürdige Sage
knüpft sich an das Augstinsche Haus in der breiten Straße, das gegenwärtig in
moderner Verjüngung prangt und die ich nach or. Brandstätters inhaltsreichem
Werke "die Weichsel" wiedergebe. Jahrhunderte lang war das Haus in seinem
oberen Theile ein Bild der Verwüstung gewesen, indem den abgerissenen
Giebel eine kahle Breterwand vertrat. Das Volk kam bei dieser auffallenden
Erscheinung auf die Idee, hier müsse der Teufel im Spiele sein und ans Furcht
vor seinem Einsprüche sei der Neubau unterblieben. Ein reicher Rathsherr,


sagte; denn nach seiner Stärke hätte er, um in ansprechende Proportion
zu treten, fast noch einmal so hoch werden müssen, als er wirklich ist. An
ihm findet sich noch eine Sonnenuhr von Kopernicus Hand, der an diesem
Dome einst Propst gewesen. Auch enthält die Kirche noch ein Bildniß von
ihm, auf einer sast zwei Ellen hohen hölzernen Tafel gemalt, doch ohne allen
Werth. Bei weitem mehr Eindruck macht die erste und älteste Kirche der Stadt,
die Marienkirche, 1239—von den deutschen Rittern erbaut, deren edle, kühn-
aufstrebende gothische Form stark an die um 33 Jahre später von Dietrich von
Altenburg zu Markenburg erbaute Schloßkirche erinnert; es gehört dieser Dom
mithin zu den ersten Bauwerken des in Preußen sich festsetzenden deutschen
Ordens. — Ein eignes Interesse gewährt die um'1300 gebaute Jacobskirche
aus der Neustadt durch ihre gleichsam zusammengewachsenen, 150 Fuß hohen
Zwillingsthürme, die nach oben zu breiter werden, sowie durch die äußeren
Wandstrebepfeiler und einen überaus schön geschmückten Giebel hinten. Recht
freundlich nimmt sich das neue Stadttheater am Markte aus, mit seinen
jonischen Pilastern. Sein oberes Stockwerk enthält das Local der Ressource
„Geselligkeit", das untere „Thalias Tempel", hübsch decorirt und recht geräumig.
Früher stand hier der alte „Arthushof", erbaut 1309 unter Siegfried von
Feuchtwangcn, fünf Etagen hoch, mit thurmhohen, schönbemaltem Giebel und
zwei Seltenthürmen geschmückt. In ihm versammelte sich die Blüte der Aristokratie
Thorrs in Gemeinschaft mit der Gilde der Kaufleute und Schiffer, weshalb
drei Bänke im Sale standen; Handwerker waren davon ausgeschlossen. Der
Zweck dieser Brüderschaft war Armenpflege und geselliges Vergnügen. Ein
originelles Baukunststück besitzt die Stadt im schiefen Thurm am Anfang der
Bäckergasse, der an Visa und Bologna erinnert und den der Sage nach ein
gottloser Kreuzherr also erbauen ließ. Ebenso merkwürdig ist das kulmer Thor
geworden durch eine Figur darauf mit einem Kochlöffel in der Hand, die als
Wetterfahne dient. Die Sage berichtet nämlich, daß bei der Sprengung der
alten Burg, nach dem Abfall der Stadt vom Orden, der dortige Koch mit in
die Lust gesprengt und aus dieses Thor geworfen sei, weshalb zum Andenken
noch jene Figur. Neste der Ordensburg erblickt man zu Füßen der schön
gelegenen Weichselterrasse. Aus ihnen hervor ragt noch ein stattlicher Thurm
mit einem Schwibbogen, der zum Capitelsale führte. — Eine merkwürdige Sage
knüpft sich an das Augstinsche Haus in der breiten Straße, das gegenwärtig in
moderner Verjüngung prangt und die ich nach or. Brandstätters inhaltsreichem
Werke „die Weichsel" wiedergebe. Jahrhunderte lang war das Haus in seinem
oberen Theile ein Bild der Verwüstung gewesen, indem den abgerissenen
Giebel eine kahle Breterwand vertrat. Das Volk kam bei dieser auffallenden
Erscheinung auf die Idee, hier müsse der Teufel im Spiele sein und ans Furcht
vor seinem Einsprüche sei der Neubau unterblieben. Ein reicher Rathsherr,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/180>, abgerufen am 26.08.2024.