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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

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fand. Noch eine erwähnenswerthe Eigenthümlichkeit ist der Umstand, daß viele
Häuser und zwar nicht blos die neuentstandenen, statt der im Süden üblichen
Tünchung die nackte Ziegelwand zeigen. Dieser Geschmack, der wie manches
andre von den hiesigen Sitten an England denken läßt, würde den Gassen,
wo er vorherrscht, ein düsteres, ungemüthliches Aussehen verleihen, wenn nicht
jene großen, bisweilen auch zu großen Fenster mit ihren blendend weißen
Nahmen und den hübschen Vorhängen hinter den hellen Scheiben die Ein¬
tönigkeit in etwas ausglichen.

Die Stadtgemeinde ist reich. Sie hat beträchtlichen Landbesitz und die
Gelder, welche der Hafen in ihre Kasse fließen läßt, übersteigen die Ausgaben
für denselben alljährlich um ein Bedeutendes. Was aber noch erstaunlicher
ist, dieser Reichthum wird verständig angewendet. Sehr zu loben ist die nächt¬
liche Beleuchtung und das Pflaster der Straßen. Letzteres kommt in der That
dem Ideal eines guten Siraßenpflasters nahe. Breite Trottoirs mögen die
Verhältnisse nicht überall gestatten. Dagegen ist die Legung von Gasröhren
und der Bau einer Wasserleitung, welche das unentbehrliche Element allen
Wohnungen bis ins oberste Stockwerk zuführen wird, im Werke. Die Kais
sind geräumig und ein Dickens würde hier nicht wie in Neuyork Veranlassung
zu der Klage haben, die Klüverbäume der Schiffe stießen den Leuten am Hafen
die Fensterscheiben ein.

Das Treiben auf den Gassen ist ebenso lebhaft als mannigfaltig. Modisch
gekleidete Damen, watschelbeinige Matrosen in blauen Wollenhemden, über
deren umgelegte Kragen ungeheure Backenbärte sich kräuseln, Weiber mit
Männerhüten, welche Fische oder Grünwaaren ausschreien, Seeoffiziere und Zoll¬
beamte mit breiten Goldborten an den Mützen, krebsrothe Briefträger und
Postillione, dänische Soldaten in flausartig groben Jnterimsjacken, schlanke
Propstcierinnen in purpurfarbener Sammet- oder Brocatröcken schlendern durch
ein Gewimmel weniger auffallender Personen, unter denen auch der Stutzer
in Ballweste und Glanzstieseln nicht fehlt, auf den Hauptstraßen auf und ab.
Bauern in schlotternden Fersenpeitschern--oder manierlicher zu reden, Gotteö-
tischröcken -- führen Frauen mit Atlashüten und Seidenkleidern am Arme.
Hellblau oder roth angestrichne Leiterwagen, bespannt mit netten Pferden,
laden vor Speichern und Kellern Berge von Butterfässern und Hügel von
runden Käsen ab. Holsteiner Stuhlwagen, gezogen von noch stattlicheren
Rossen, rollen mit jenen Besuchern vom Lande den Thoren zu, und bisweilen
theilt sogar eine Staatskarosse mit blitzenden Laternen und Thürscheiben die
dahin strömende Menschenmenge. Des Mittags zieht, an der Spitze ein
Musikchor, geführt von einem martialisch dreinschauenden schwarzbärtigen Tam¬
bourmajor, die Wachtparade nach dem Markte, und deS Abends lockt mehr¬
mals in der Woche ein den Franzosen abgelernter Zapfenstreich die Ton-


fand. Noch eine erwähnenswerthe Eigenthümlichkeit ist der Umstand, daß viele
Häuser und zwar nicht blos die neuentstandenen, statt der im Süden üblichen
Tünchung die nackte Ziegelwand zeigen. Dieser Geschmack, der wie manches
andre von den hiesigen Sitten an England denken läßt, würde den Gassen,
wo er vorherrscht, ein düsteres, ungemüthliches Aussehen verleihen, wenn nicht
jene großen, bisweilen auch zu großen Fenster mit ihren blendend weißen
Nahmen und den hübschen Vorhängen hinter den hellen Scheiben die Ein¬
tönigkeit in etwas ausglichen.

Die Stadtgemeinde ist reich. Sie hat beträchtlichen Landbesitz und die
Gelder, welche der Hafen in ihre Kasse fließen läßt, übersteigen die Ausgaben
für denselben alljährlich um ein Bedeutendes. Was aber noch erstaunlicher
ist, dieser Reichthum wird verständig angewendet. Sehr zu loben ist die nächt¬
liche Beleuchtung und das Pflaster der Straßen. Letzteres kommt in der That
dem Ideal eines guten Siraßenpflasters nahe. Breite Trottoirs mögen die
Verhältnisse nicht überall gestatten. Dagegen ist die Legung von Gasröhren
und der Bau einer Wasserleitung, welche das unentbehrliche Element allen
Wohnungen bis ins oberste Stockwerk zuführen wird, im Werke. Die Kais
sind geräumig und ein Dickens würde hier nicht wie in Neuyork Veranlassung
zu der Klage haben, die Klüverbäume der Schiffe stießen den Leuten am Hafen
die Fensterscheiben ein.

Das Treiben auf den Gassen ist ebenso lebhaft als mannigfaltig. Modisch
gekleidete Damen, watschelbeinige Matrosen in blauen Wollenhemden, über
deren umgelegte Kragen ungeheure Backenbärte sich kräuseln, Weiber mit
Männerhüten, welche Fische oder Grünwaaren ausschreien, Seeoffiziere und Zoll¬
beamte mit breiten Goldborten an den Mützen, krebsrothe Briefträger und
Postillione, dänische Soldaten in flausartig groben Jnterimsjacken, schlanke
Propstcierinnen in purpurfarbener Sammet- oder Brocatröcken schlendern durch
ein Gewimmel weniger auffallender Personen, unter denen auch der Stutzer
in Ballweste und Glanzstieseln nicht fehlt, auf den Hauptstraßen auf und ab.
Bauern in schlotternden Fersenpeitschern—oder manierlicher zu reden, Gotteö-
tischröcken — führen Frauen mit Atlashüten und Seidenkleidern am Arme.
Hellblau oder roth angestrichne Leiterwagen, bespannt mit netten Pferden,
laden vor Speichern und Kellern Berge von Butterfässern und Hügel von
runden Käsen ab. Holsteiner Stuhlwagen, gezogen von noch stattlicheren
Rossen, rollen mit jenen Besuchern vom Lande den Thoren zu, und bisweilen
theilt sogar eine Staatskarosse mit blitzenden Laternen und Thürscheiben die
dahin strömende Menschenmenge. Des Mittags zieht, an der Spitze ein
Musikchor, geführt von einem martialisch dreinschauenden schwarzbärtigen Tam¬
bourmajor, die Wachtparade nach dem Markte, und deS Abends lockt mehr¬
mals in der Woche ein den Franzosen abgelernter Zapfenstreich die Ton-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/16>, abgerufen am 02.10.2024.