Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.buntbemalten Kanal- und Küstenfahrern, Jachten, Lust- und Fischerbooten Es schien sich von selbst zu verstehen, daß ein Vogel, der erst kürzlich dem Kiel mit der Vorstadt hat nach der neusten Zählung reichlich 16,000 Ein¬ Der Grundzug in der Physiognomie Kiels ist Behäbigkeit und Sauber¬ buntbemalten Kanal- und Küstenfahrern, Jachten, Lust- und Fischerbooten Es schien sich von selbst zu verstehen, daß ein Vogel, der erst kürzlich dem Kiel mit der Vorstadt hat nach der neusten Zählung reichlich 16,000 Ein¬ Der Grundzug in der Physiognomie Kiels ist Behäbigkeit und Sauber¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0015" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/100469"/> <p xml:id="ID_29" prev="#ID_28"> buntbemalten Kanal- und Küstenfahrern, Jachten, Lust- und Fischerbooten<lb/> durchfurcht, ist diese tiefste und sicherste der Buchten Nordalbingiens ein Bild<lb/> des regsten Verkehrs/ des lebendigsten Treibens. Sie ist die erste Station<lb/> des Hamburger Handels nach dem Norden. Sie ist gegenwärtig ein beliebter<lb/> Sammelplatz für die Seeungeheuer der englisch-französischen Geschwader in der<lb/> Ostsee. Was wird sie und was wird Kiel sein, wenn dereinst die baltische<lb/> Flotte Deutschlands hier ihre Ankerplätze und Werften hat'.</p><lb/> <p xml:id="ID_30"> Es schien sich von selbst zu verstehen, daß ein Vogel, der erst kürzlich dem<lb/> Käfig der Studierstube entflohen war, zuerst die Punkte besuchte, wo das frische<lb/> Grün des Mai die so lange mit schwarz auf weiß gequälten Augen erquickte. Bis<lb/> dieser Hunger nach Naturgenuß gestillt war, kümmerte mich das Innere der<lb/> Stadt nicht viel mehr als es einen durchfliegenden Kanonenschuß gekümmert<lb/> haben würde und erst nach einigen Tagen begann ich auch hier mit dem<lb/> Blicke des Beobachters zu sehen, der sich bestimmter Zwecke bewußt ist.</p><lb/> <p xml:id="ID_31"> Kiel mit der Vorstadt hat nach der neusten Zählung reichlich 16,000 Ein¬<lb/> wohner. Das alte Kiel ist nicht groß. ES liegt auf einer Halbinsel zwischen<lb/> der Bai und einer mit dieser in Verbindung stehenden, jetzt bis auf einen<lb/> engen Kanal völlig eingedämmten Wasserfläche, dem bereits genannten Kleinen<lb/> Kiel. Den hochgelegenen Mittelpunkt der Halbinsel nimmt der Marktplatz ein,<lb/> vor welchem sich das Rathhaus und diesem gegenüber die Hauptwache befindet,<lb/> und von wo acht ziemlich gerade Gassen nach den vier Himmelsgegenden laufen.<lb/> Hart unter dem Schlosse liegt das Hauptgebäude der Universität, hinter jenem<lb/> ein Garten mit schönen Baumgängen, von denen der eine nach Brunöwik,<lb/> der andre nach Düsternbrook führt. Als die wichtigste Verkehrsader der Stadt<lb/> ist die Holstenstraße anzusehen, die nach der Eisenbahn geht und wo sich die<lb/> meisten und die stattlichsten Läden und Verkaufögewölbe finden.</p><lb/> <p xml:id="ID_32" next="#ID_33"> Der Grundzug in der Physiognomie Kiels ist Behäbigkeit und Sauber¬<lb/> keit. Oeffentliche Gebäude von irgendwelcher Großartigkeit, Kirchen von In¬<lb/> teresse, Privathäuser von auffallender Eleganz sieht man nirgends. Dagegen<lb/> macht die Stadt den Eindruck eines fast allgemeinen Wohlstandes. Die Wohn¬<lb/> häuser, meist zweistöckig, häusig mit einer Art Vorbau versehen, den ich als<lb/> Parterreerker bezeichnen möchte, haben mit Ausnahme einiger weniger Ueber-<lb/> bleibsel aus älterer Zeit, die sich windschief und gichtbrüchig in den Neben¬<lb/> gassen verstecken, sämmtlich große schöne Fenster mit schmucken weißen Nahmen<lb/> und spiegelblank gehaltenen Scheiben. Die Mehrzahl blickt mit dem Giebel<lb/> nach der Straße hinaus, eine Bauart, die unendlichen Variationen, als ein¬<lb/> faches Dreieck auf einem Quadrat, als oben abgerundeter, als an den Seiten<lb/> treppenartig abgestufter, als vorn mit Nischen verzierter Giebel u. s. w. sich<lb/> wiederholt und bei der ich mich, Gott weiß wodurch, stets an die gute alt¬<lb/> bürgerliche Zeit erinnert finde, wo einer unsrer Urgroßväter den Dreispitz er-</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0015]
buntbemalten Kanal- und Küstenfahrern, Jachten, Lust- und Fischerbooten
durchfurcht, ist diese tiefste und sicherste der Buchten Nordalbingiens ein Bild
des regsten Verkehrs/ des lebendigsten Treibens. Sie ist die erste Station
des Hamburger Handels nach dem Norden. Sie ist gegenwärtig ein beliebter
Sammelplatz für die Seeungeheuer der englisch-französischen Geschwader in der
Ostsee. Was wird sie und was wird Kiel sein, wenn dereinst die baltische
Flotte Deutschlands hier ihre Ankerplätze und Werften hat'.
Es schien sich von selbst zu verstehen, daß ein Vogel, der erst kürzlich dem
Käfig der Studierstube entflohen war, zuerst die Punkte besuchte, wo das frische
Grün des Mai die so lange mit schwarz auf weiß gequälten Augen erquickte. Bis
dieser Hunger nach Naturgenuß gestillt war, kümmerte mich das Innere der
Stadt nicht viel mehr als es einen durchfliegenden Kanonenschuß gekümmert
haben würde und erst nach einigen Tagen begann ich auch hier mit dem
Blicke des Beobachters zu sehen, der sich bestimmter Zwecke bewußt ist.
Kiel mit der Vorstadt hat nach der neusten Zählung reichlich 16,000 Ein¬
wohner. Das alte Kiel ist nicht groß. ES liegt auf einer Halbinsel zwischen
der Bai und einer mit dieser in Verbindung stehenden, jetzt bis auf einen
engen Kanal völlig eingedämmten Wasserfläche, dem bereits genannten Kleinen
Kiel. Den hochgelegenen Mittelpunkt der Halbinsel nimmt der Marktplatz ein,
vor welchem sich das Rathhaus und diesem gegenüber die Hauptwache befindet,
und von wo acht ziemlich gerade Gassen nach den vier Himmelsgegenden laufen.
Hart unter dem Schlosse liegt das Hauptgebäude der Universität, hinter jenem
ein Garten mit schönen Baumgängen, von denen der eine nach Brunöwik,
der andre nach Düsternbrook führt. Als die wichtigste Verkehrsader der Stadt
ist die Holstenstraße anzusehen, die nach der Eisenbahn geht und wo sich die
meisten und die stattlichsten Läden und Verkaufögewölbe finden.
Der Grundzug in der Physiognomie Kiels ist Behäbigkeit und Sauber¬
keit. Oeffentliche Gebäude von irgendwelcher Großartigkeit, Kirchen von In¬
teresse, Privathäuser von auffallender Eleganz sieht man nirgends. Dagegen
macht die Stadt den Eindruck eines fast allgemeinen Wohlstandes. Die Wohn¬
häuser, meist zweistöckig, häusig mit einer Art Vorbau versehen, den ich als
Parterreerker bezeichnen möchte, haben mit Ausnahme einiger weniger Ueber-
bleibsel aus älterer Zeit, die sich windschief und gichtbrüchig in den Neben¬
gassen verstecken, sämmtlich große schöne Fenster mit schmucken weißen Nahmen
und spiegelblank gehaltenen Scheiben. Die Mehrzahl blickt mit dem Giebel
nach der Straße hinaus, eine Bauart, die unendlichen Variationen, als ein¬
faches Dreieck auf einem Quadrat, als oben abgerundeter, als an den Seiten
treppenartig abgestufter, als vorn mit Nischen verzierter Giebel u. s. w. sich
wiederholt und bei der ich mich, Gott weiß wodurch, stets an die gute alt¬
bürgerliche Zeit erinnert finde, wo einer unsrer Urgroßväter den Dreispitz er-
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