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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

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schließen, die vorgeschlagenen Aenderungen vorzunehmen, so ist zu erwarten,
daß der preußische Staat entweder sich auslöst oder seine Unabhängigkeit ver¬
liert und daß die Achtung und Liebe der Unterthanen ganz verschwinden."
Die alte CabinetSeinrichtung blieb, der Cabinetsrath gab in allen wichtigen
Angelegenheiten die letzte Entscheidung und war doch unverantwortlich; er hatte
keine Verbindung mit der Verwaltungsbehörde, keine Theilnahme an der Aus¬
führung, das Ministerium aber bildete keine Gesammtheit. Das Volk lag in
dumpfer Apathie. Die Armee, in selbstgenugsamer Abgeschlossenheit, außer
Verkehr mit den Weltereignissen des letzten Jahrzehnts, war in Selbstüber¬
schätzung verfallen^ "Wären bei Ulm und Austerlitz Preußen gewesen," sagte"
die Offiziere, "die Sache hätte anders geendet." Der adelig-soldatische Ueber¬
muth der Offiziere ging damals förmlich ins Unglaubliche; weder Stand, noch
Bildung, noch Alter schützte vor Kränkung und Geringschätzung, die gegen alle
andern an den Tag zu legen ein Privilegium des Soldatenvolkes war. Da¬
bei war die obere Leitung der Armee ohne Geist und Kriegserfahrung; die
höheren Offiziere bis zu den Hauptleuten herab alt und gebrechlich, die Be¬
waffnung war unzulänglich, der Sold spärlich, die Bekleidung der Soldaten
elend. Die Armee bestand zum Theil aus Landeskindern, zum Theil aus schlech¬
ten Subjecten, die im Auslande geworben waren. Von Inländern waren so
viele Kategorien dienstfrei, daß weder Adel, noch Beamtenstand, noch Bürgerthum,
noch selbst der eigentliche Bauernstand im Heere vertreten waren: der Soldaten¬
dienst lastete wesentlich nur aus dem ärmeren Theile des Volkes. Und doch
wurde Knesebecks Plan zu einer volksthümlichen Umbildung der preußischen
Wehrverfassung durch die Militärorganisationscommission imj Sommer 1803
mit dem Bemerken zurückgewiesen: "es erscheine ganz unbegreiflich, wie jemand
einer siegreichen Armee, die, solange für ganz Europa, ein unerreichtes Muster
gewesen ist und bleiben wird, eine totale Veränderung ihrer Verfassung zu-
muthen kann, welche sie zu einer bloßen Landmiliz reduciren werde." Auch
die preußischen Finanzen standen schlecht. Es war zwar unter Friedrich Wil¬
helm Hi. gespart, aber die Frucht dieser Ersparniß durch die nutzlose Mobil¬
machung von 1803 großentheils verschlungen worden.

Bei der Unzulänglichkeit der eignen Mittel mußte Preußen sich nach
Allianzen umsehen. Es wendete sich zunächst an Oestreich. Oestreich er¬
innerte an die Wandelungen der preußischen Politik vom Potsdamer bis zum
schönbrunner Vertrag und daß der verantwortliche Träger dieser Politik immer
noch am Ruder sei. Der König von Preußen erklärte hierauf bei seinem
königlichen Wort, das gegenwärtige System der preußischen Politik werde
nicht verlassen werden. Oestreich erklärte sich aber außer Stande, jetzt
von seiner Neutralität abzugehen; es werde aber zur Behauptung derselben
70,000 Mann nach Böhmen schicken und den Durchmarsch der Franzosen durch


Grenzboten. IV. 18so. 4 g

schließen, die vorgeschlagenen Aenderungen vorzunehmen, so ist zu erwarten,
daß der preußische Staat entweder sich auslöst oder seine Unabhängigkeit ver¬
liert und daß die Achtung und Liebe der Unterthanen ganz verschwinden."
Die alte CabinetSeinrichtung blieb, der Cabinetsrath gab in allen wichtigen
Angelegenheiten die letzte Entscheidung und war doch unverantwortlich; er hatte
keine Verbindung mit der Verwaltungsbehörde, keine Theilnahme an der Aus¬
führung, das Ministerium aber bildete keine Gesammtheit. Das Volk lag in
dumpfer Apathie. Die Armee, in selbstgenugsamer Abgeschlossenheit, außer
Verkehr mit den Weltereignissen des letzten Jahrzehnts, war in Selbstüber¬
schätzung verfallen^ „Wären bei Ulm und Austerlitz Preußen gewesen," sagte»
die Offiziere, „die Sache hätte anders geendet." Der adelig-soldatische Ueber¬
muth der Offiziere ging damals förmlich ins Unglaubliche; weder Stand, noch
Bildung, noch Alter schützte vor Kränkung und Geringschätzung, die gegen alle
andern an den Tag zu legen ein Privilegium des Soldatenvolkes war. Da¬
bei war die obere Leitung der Armee ohne Geist und Kriegserfahrung; die
höheren Offiziere bis zu den Hauptleuten herab alt und gebrechlich, die Be¬
waffnung war unzulänglich, der Sold spärlich, die Bekleidung der Soldaten
elend. Die Armee bestand zum Theil aus Landeskindern, zum Theil aus schlech¬
ten Subjecten, die im Auslande geworben waren. Von Inländern waren so
viele Kategorien dienstfrei, daß weder Adel, noch Beamtenstand, noch Bürgerthum,
noch selbst der eigentliche Bauernstand im Heere vertreten waren: der Soldaten¬
dienst lastete wesentlich nur aus dem ärmeren Theile des Volkes. Und doch
wurde Knesebecks Plan zu einer volksthümlichen Umbildung der preußischen
Wehrverfassung durch die Militärorganisationscommission imj Sommer 1803
mit dem Bemerken zurückgewiesen: „es erscheine ganz unbegreiflich, wie jemand
einer siegreichen Armee, die, solange für ganz Europa, ein unerreichtes Muster
gewesen ist und bleiben wird, eine totale Veränderung ihrer Verfassung zu-
muthen kann, welche sie zu einer bloßen Landmiliz reduciren werde." Auch
die preußischen Finanzen standen schlecht. Es war zwar unter Friedrich Wil¬
helm Hi. gespart, aber die Frucht dieser Ersparniß durch die nutzlose Mobil¬
machung von 1803 großentheils verschlungen worden.

Bei der Unzulänglichkeit der eignen Mittel mußte Preußen sich nach
Allianzen umsehen. Es wendete sich zunächst an Oestreich. Oestreich er¬
innerte an die Wandelungen der preußischen Politik vom Potsdamer bis zum
schönbrunner Vertrag und daß der verantwortliche Träger dieser Politik immer
noch am Ruder sei. Der König von Preußen erklärte hierauf bei seinem
königlichen Wort, das gegenwärtige System der preußischen Politik werde
nicht verlassen werden. Oestreich erklärte sich aber außer Stande, jetzt
von seiner Neutralität abzugehen; es werde aber zur Behauptung derselben
70,000 Mann nach Böhmen schicken und den Durchmarsch der Franzosen durch


Grenzboten. IV. 18so. 4 g
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/121>, abgerufen am 15.01.2025.