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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

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Präfectur, wie Gentz sagte, "eine Schimpf- und Spottconstitution aus drei
köstlichen Bestandtheilen, einem Sklavenvolke unter einem doppelten Herrn,
Despoten in erster Potenz, selbst Sklaven eines höheren Gebieters und einem
selbstgeschaffenen, alles verschlingenden Oberdespoten." Am 6. April legte
der letzte deutsche Kaiser die Kaiserkrone nieder und entband alle Stände des
Reichs von ihren Pflichten gegen das Reichsoberhaupt. Bald darauf wurde
der Buchhändler Palm, der eine Broschüre verbreitet hatte, welche in patrio¬
tischem Unwillen das bonapartistische Wesen in Deutschland bitter angriff,
durch eine französische Militärcommission zum Tode verurtheilt und erschossen.

Preußen hatte durch den Vertrag vom Is. Februar nur einen faulen
Frieden erlangt. Selbst Haugwitz erklärte: "Unser vorgeblicher Alliirter, Bo¬
naparte, hat keine andere Absicht, als uns zu unterwerfen und zu vernichten.
Sofort nach dem Vertrage nahm Murat, der neue Großherzog von Berg, die
preußischen Abteien Elten, Essen und Werden fort; Preußen, das um größerer
Dinge willen nicht zu den Waffen gegriffen, ließ diese Beraubung sich ge¬
fallen. Sodann stellte Napoleon bei seineu Friedensunterhandlungen mit
England und Rußland jenem Hannover, diesem Preußisch-Polen in Aussicht
und bestimmte die Hansestädte zu einer Entschädigung der neapolitanischen
Bourbons. In Murats Umgebung sprach man von bevorstehenden Vergrö¬
ßerungen des Großherzogthums Berg auf preußische Kosten; in den Haupt¬
quartieren der französischen Generale von einem bevorstehenden Siegeszuge
gegen Preußen. Als Friedrich Wilhelm hiervon Kunde erhielt, fuhr er auf
und verfügte am 9. August die Mobilmachung der ganzen preußischen Armee
zu einem Kriege gegen Frankreich. Es war ein Act der Verzweiflung, der
aus dem persönlichen Ehrgefühl des Königs und dem Glauben entsprang, daß
nur noch die Wahl bleibe zwischen Schande und dem Kampf zum Aeußersten.
Prophetisch hatte einst Prinz Louis gesagt: "Aus Liebe zum Frieden nimmt
Preußen gegen alle Mächte eine friedliche Stellung an und wird einmal in
derselben von einer Macht schonungslos überstürzt werden, wenn dieser der
Krieg grade recht ist. Dann fallen wir ohne Hilfe und vielleicht auch gar
noch ohne Ehre." Faul waren aber die innern Zustände Preußens. Der
König selbst 'äußerte in deu ersten Tagen des Feldzuges: "Es ist eine unbe¬
schreibliche Confustou im Heere." In der Umgebung des Königs blieben die
früheren unfähigen Persönlichkeiten, vor allen Haugwitz und Lombard. Ver¬
gebens hatte Stein im April 1806 in einer Denkschrift an die Königin die
Entfernung dieser Personen aus dem Cabinet verlangt. Stein hatte gesagt:
"Die neueren Ereignisse, wo wir feierlich sanctionirte Verträge im Augenblick
der Erfüllung eingegangen und bald darauf umgestoßen haben, sind ein fürch¬
terlich belehrendes Beispiel, wie nothwendig es ist, Personen zu ändern,
wenn man Maßregeln ändern will. Sollten Ew. Maj. Sich nicht ent-


Präfectur, wie Gentz sagte, „eine Schimpf- und Spottconstitution aus drei
köstlichen Bestandtheilen, einem Sklavenvolke unter einem doppelten Herrn,
Despoten in erster Potenz, selbst Sklaven eines höheren Gebieters und einem
selbstgeschaffenen, alles verschlingenden Oberdespoten." Am 6. April legte
der letzte deutsche Kaiser die Kaiserkrone nieder und entband alle Stände des
Reichs von ihren Pflichten gegen das Reichsoberhaupt. Bald darauf wurde
der Buchhändler Palm, der eine Broschüre verbreitet hatte, welche in patrio¬
tischem Unwillen das bonapartistische Wesen in Deutschland bitter angriff,
durch eine französische Militärcommission zum Tode verurtheilt und erschossen.

Preußen hatte durch den Vertrag vom Is. Februar nur einen faulen
Frieden erlangt. Selbst Haugwitz erklärte: „Unser vorgeblicher Alliirter, Bo¬
naparte, hat keine andere Absicht, als uns zu unterwerfen und zu vernichten.
Sofort nach dem Vertrage nahm Murat, der neue Großherzog von Berg, die
preußischen Abteien Elten, Essen und Werden fort; Preußen, das um größerer
Dinge willen nicht zu den Waffen gegriffen, ließ diese Beraubung sich ge¬
fallen. Sodann stellte Napoleon bei seineu Friedensunterhandlungen mit
England und Rußland jenem Hannover, diesem Preußisch-Polen in Aussicht
und bestimmte die Hansestädte zu einer Entschädigung der neapolitanischen
Bourbons. In Murats Umgebung sprach man von bevorstehenden Vergrö¬
ßerungen des Großherzogthums Berg auf preußische Kosten; in den Haupt¬
quartieren der französischen Generale von einem bevorstehenden Siegeszuge
gegen Preußen. Als Friedrich Wilhelm hiervon Kunde erhielt, fuhr er auf
und verfügte am 9. August die Mobilmachung der ganzen preußischen Armee
zu einem Kriege gegen Frankreich. Es war ein Act der Verzweiflung, der
aus dem persönlichen Ehrgefühl des Königs und dem Glauben entsprang, daß
nur noch die Wahl bleibe zwischen Schande und dem Kampf zum Aeußersten.
Prophetisch hatte einst Prinz Louis gesagt: „Aus Liebe zum Frieden nimmt
Preußen gegen alle Mächte eine friedliche Stellung an und wird einmal in
derselben von einer Macht schonungslos überstürzt werden, wenn dieser der
Krieg grade recht ist. Dann fallen wir ohne Hilfe und vielleicht auch gar
noch ohne Ehre." Faul waren aber die innern Zustände Preußens. Der
König selbst 'äußerte in deu ersten Tagen des Feldzuges: „Es ist eine unbe¬
schreibliche Confustou im Heere." In der Umgebung des Königs blieben die
früheren unfähigen Persönlichkeiten, vor allen Haugwitz und Lombard. Ver¬
gebens hatte Stein im April 1806 in einer Denkschrift an die Königin die
Entfernung dieser Personen aus dem Cabinet verlangt. Stein hatte gesagt:
„Die neueren Ereignisse, wo wir feierlich sanctionirte Verträge im Augenblick
der Erfüllung eingegangen und bald darauf umgestoßen haben, sind ein fürch¬
terlich belehrendes Beispiel, wie nothwendig es ist, Personen zu ändern,
wenn man Maßregeln ändern will. Sollten Ew. Maj. Sich nicht ent-


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[0120] Präfectur, wie Gentz sagte, „eine Schimpf- und Spottconstitution aus drei köstlichen Bestandtheilen, einem Sklavenvolke unter einem doppelten Herrn, Despoten in erster Potenz, selbst Sklaven eines höheren Gebieters und einem selbstgeschaffenen, alles verschlingenden Oberdespoten." Am 6. April legte der letzte deutsche Kaiser die Kaiserkrone nieder und entband alle Stände des Reichs von ihren Pflichten gegen das Reichsoberhaupt. Bald darauf wurde der Buchhändler Palm, der eine Broschüre verbreitet hatte, welche in patrio¬ tischem Unwillen das bonapartistische Wesen in Deutschland bitter angriff, durch eine französische Militärcommission zum Tode verurtheilt und erschossen. Preußen hatte durch den Vertrag vom Is. Februar nur einen faulen Frieden erlangt. Selbst Haugwitz erklärte: „Unser vorgeblicher Alliirter, Bo¬ naparte, hat keine andere Absicht, als uns zu unterwerfen und zu vernichten. Sofort nach dem Vertrage nahm Murat, der neue Großherzog von Berg, die preußischen Abteien Elten, Essen und Werden fort; Preußen, das um größerer Dinge willen nicht zu den Waffen gegriffen, ließ diese Beraubung sich ge¬ fallen. Sodann stellte Napoleon bei seineu Friedensunterhandlungen mit England und Rußland jenem Hannover, diesem Preußisch-Polen in Aussicht und bestimmte die Hansestädte zu einer Entschädigung der neapolitanischen Bourbons. In Murats Umgebung sprach man von bevorstehenden Vergrö¬ ßerungen des Großherzogthums Berg auf preußische Kosten; in den Haupt¬ quartieren der französischen Generale von einem bevorstehenden Siegeszuge gegen Preußen. Als Friedrich Wilhelm hiervon Kunde erhielt, fuhr er auf und verfügte am 9. August die Mobilmachung der ganzen preußischen Armee zu einem Kriege gegen Frankreich. Es war ein Act der Verzweiflung, der aus dem persönlichen Ehrgefühl des Königs und dem Glauben entsprang, daß nur noch die Wahl bleibe zwischen Schande und dem Kampf zum Aeußersten. Prophetisch hatte einst Prinz Louis gesagt: „Aus Liebe zum Frieden nimmt Preußen gegen alle Mächte eine friedliche Stellung an und wird einmal in derselben von einer Macht schonungslos überstürzt werden, wenn dieser der Krieg grade recht ist. Dann fallen wir ohne Hilfe und vielleicht auch gar noch ohne Ehre." Faul waren aber die innern Zustände Preußens. Der König selbst 'äußerte in deu ersten Tagen des Feldzuges: „Es ist eine unbe¬ schreibliche Confustou im Heere." In der Umgebung des Königs blieben die früheren unfähigen Persönlichkeiten, vor allen Haugwitz und Lombard. Ver¬ gebens hatte Stein im April 1806 in einer Denkschrift an die Königin die Entfernung dieser Personen aus dem Cabinet verlangt. Stein hatte gesagt: „Die neueren Ereignisse, wo wir feierlich sanctionirte Verträge im Augenblick der Erfüllung eingegangen und bald darauf umgestoßen haben, sind ein fürch¬ terlich belehrendes Beispiel, wie nothwendig es ist, Personen zu ändern, wenn man Maßregeln ändern will. Sollten Ew. Maj. Sich nicht ent-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/120>, abgerufen am 27.08.2024.