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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

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zu Potsdam einen Vertrag, in welchem er sich zum Kriege gegen Bonaparte ver¬
pflichtete, wenn dieser die ihm von Preußen gestellten Friedensbedingungen
nicht annehme. Besonders drängten am preußischen Hofe zum Kriege gegen
Frankreich die Königin Louise und der Prinz Louis Ferdinand; der Konigin
aber fehlte die Energie eines männlichen Charakters, dem Prinzen die sittliche
Wurde und Autorität. Die Masse des preußischen Volkes war in dumpfe
Thatenlosigkeit versunken. Stein mit seinen Bestrebungen, durch gleichmäßige
Besteuerung, durch Beseitigung der Verkehrsschranken, durch Aushebung der
Grenzen zwischen Stadt und Land, einen regen Gemeinsinn zu wecken, blieb
ungehört.

Durch die Gefangennehmung des östreichischen Heeres zu Ulm am
21. October 1803 entschied sich das militärische Uebergewicht Napoleons über
die Coalition. Es folgte das Mißgeschick und Ungeschick der Oestreicher in Tirol,
der Einzug der Franzosen in Wien, die Niederlage der Oestreicher und Russen
bei Austerlitz am 2. December, der Rückzug der Russen, endlich der Friede von
Preßburg am 26. December, in welchem Oestreich alle Uebergriffe, die Frank¬
reich seit dem lüneviller Frieden in Europa gemacht, als zu Recht bestehend
anerkannte, sein venetianisches Gebiet an das Königreich Italien abtrat, über¬
haupt 11 i0 Quadratmeilen mit 2,800,000 Einwohnern verlor, 40 Millionen
Kriegskosten zahlte und seinen Zusammenhang mit Deutschland, der Schweiz
und Italien einbüßte.

Preußen ward mit seiner Friedensvermittelung, welche der erbärmliche
Haugwitz ins Hauptquartier Napoleons trug, von dem siegreichen Imperator
natürlich zurückgewiesen; schon am 1ö, December unterzeichnete Haugwitz zu
Schönbrunn die Unterwerfung Preußens unter das Protectorat Bonapartes.
Preußen ging ein Schutz- und Trutzbündniß mit Frankreich ein, trat an
Baiern Ansbach, an Frankreich Neufchatel, den Rest von Eleve und die
Festung Wesel ab und erhielt dafür den souveränen Besitz von Hannover.
Es hatte nur die Wahl, fast isolirt in einen Kampf mit dem Sieger von Ulm
und Austerlitz sich zu stürzen oder mit der hannöverschen Beute belohnt der
erste der Rheinbundstaaten zu werden. Die preußischen Patrioten knirschten
vor Zorn und Scham, das Heer fühlte sich gedemüthigt, der König zögerte,
den Vertrag von Schönbrunn zu ratificiren und reizte dadurch noch mehr den
Groll Napoleons, der, über den Potsdamer Vertrag höchst erbittert, zu
Haugwitz am 13. December gesagt hatte: "Ihr wollt die Freunde von aller
Welt sein, das ist nicht möglich, man muß zwischen mir und meinen Gegnern
wählen. Ich will Aufrichtigkeit, offene Feinde sind mir lieber als falsche
Freunde!" Dabei versäumte Preußen, sich gegen Napoleons Rachsucht zu
rüsten, es setzte seine Armee auf den Friedensfuß. Da Preußen den Vertrag
von Schönbrunn noch im Februar 1806 nicht ratisicirt hatte, so betrachtete


zu Potsdam einen Vertrag, in welchem er sich zum Kriege gegen Bonaparte ver¬
pflichtete, wenn dieser die ihm von Preußen gestellten Friedensbedingungen
nicht annehme. Besonders drängten am preußischen Hofe zum Kriege gegen
Frankreich die Königin Louise und der Prinz Louis Ferdinand; der Konigin
aber fehlte die Energie eines männlichen Charakters, dem Prinzen die sittliche
Wurde und Autorität. Die Masse des preußischen Volkes war in dumpfe
Thatenlosigkeit versunken. Stein mit seinen Bestrebungen, durch gleichmäßige
Besteuerung, durch Beseitigung der Verkehrsschranken, durch Aushebung der
Grenzen zwischen Stadt und Land, einen regen Gemeinsinn zu wecken, blieb
ungehört.

Durch die Gefangennehmung des östreichischen Heeres zu Ulm am
21. October 1803 entschied sich das militärische Uebergewicht Napoleons über
die Coalition. Es folgte das Mißgeschick und Ungeschick der Oestreicher in Tirol,
der Einzug der Franzosen in Wien, die Niederlage der Oestreicher und Russen
bei Austerlitz am 2. December, der Rückzug der Russen, endlich der Friede von
Preßburg am 26. December, in welchem Oestreich alle Uebergriffe, die Frank¬
reich seit dem lüneviller Frieden in Europa gemacht, als zu Recht bestehend
anerkannte, sein venetianisches Gebiet an das Königreich Italien abtrat, über¬
haupt 11 i0 Quadratmeilen mit 2,800,000 Einwohnern verlor, 40 Millionen
Kriegskosten zahlte und seinen Zusammenhang mit Deutschland, der Schweiz
und Italien einbüßte.

Preußen ward mit seiner Friedensvermittelung, welche der erbärmliche
Haugwitz ins Hauptquartier Napoleons trug, von dem siegreichen Imperator
natürlich zurückgewiesen; schon am 1ö, December unterzeichnete Haugwitz zu
Schönbrunn die Unterwerfung Preußens unter das Protectorat Bonapartes.
Preußen ging ein Schutz- und Trutzbündniß mit Frankreich ein, trat an
Baiern Ansbach, an Frankreich Neufchatel, den Rest von Eleve und die
Festung Wesel ab und erhielt dafür den souveränen Besitz von Hannover.
Es hatte nur die Wahl, fast isolirt in einen Kampf mit dem Sieger von Ulm
und Austerlitz sich zu stürzen oder mit der hannöverschen Beute belohnt der
erste der Rheinbundstaaten zu werden. Die preußischen Patrioten knirschten
vor Zorn und Scham, das Heer fühlte sich gedemüthigt, der König zögerte,
den Vertrag von Schönbrunn zu ratificiren und reizte dadurch noch mehr den
Groll Napoleons, der, über den Potsdamer Vertrag höchst erbittert, zu
Haugwitz am 13. December gesagt hatte: „Ihr wollt die Freunde von aller
Welt sein, das ist nicht möglich, man muß zwischen mir und meinen Gegnern
wählen. Ich will Aufrichtigkeit, offene Feinde sind mir lieber als falsche
Freunde!" Dabei versäumte Preußen, sich gegen Napoleons Rachsucht zu
rüsten, es setzte seine Armee auf den Friedensfuß. Da Preußen den Vertrag
von Schönbrunn noch im Februar 1806 nicht ratisicirt hatte, so betrachtete


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/118>, abgerufen am 27.08.2024.