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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band.

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Neue Romane.
Deutsche Bibliothek. Sammlung auserlesener Originalromane, herausgegeben von
Otto Müller. Frankfurt a. M., Meidinger Sohn. -- 2. Band: Char¬
lotte Ackermann, Roman von Otto Müller. --

Es ist nicht zum ersten Mal, daß Herr Müller sich in einer Gattung
versucht, welche mehr für eine literarhistorische, als für eine epische Behandlung
geeignet zu sein scheint. Sein früherer Roman, der das Leben Bürgers zum
Gegenstand hatte, und ans dem das Drama von Mvseuthal hervorgegangen ist,
wird dem Lesepnblicum noch in Erinnerung sein. Wenn sich schon gegen den
historischen Roman überhaupt, insofern er sich nicht mit einer Schilderung
der Zeit im allgemeinen, sondern mit der Charakteristik bestimmter historischer
Persönlichkeiten beschäftigt, sehr erhebliche Einwendungen machen lassen, so gibt
das noch vielmehr vom literarhistorischen Roman. ES wird dem historischen
Novellisten leichter werden, Männer, die sich im militärischen oder im
Staatsleben ausgezeichnet haben, im Dialog so zu charakterisiren, daß unser
historisches Wissen nicht beleidigt wird: denn bei diesen kommt es mehr darauf
an, was sie gethan, als was sie gesprochen haben, und dem Dichter wird in
letzterer Beziehung eine gewisse Freiheit zugestanden werden können, nament¬
lich wenn es sich um Personen handelt, die unserem Gedächtniß uicht
detaillirt überliefert sind. Anders ist es mit Dichtern und Schriftstellern. Bei
ihnen erschöpft sich fast das ganze Interesse in ihren Werken, die uns vorliegen,
die wir vergleichen können, von denen wir keine Abweichung dulden, und so bleibt
dem Romanschreiber dann nur die-Wahl, sich entweder knechtisch seinen Quellen
anzuschließen,- was jede freie poetische Schöpfung unmöglich macht, oder uns
unter bekannten Namen fremde Personen einzuführen. Diejenigen, welche der
Literaturgeschichte wirklich im Detail mächtig sind, werden durch eine solche halb
novellistische Darstellung niemals befriedigt werden und für'die übrigen wird durch
das literarhistorische Costüm nicht der geringste Reiz hinzugefügt. Herr Müller
scheint für den gegenwärtigen Roman, der sich mit den Hamburger Literatur- und
Theaterzuständen seit dem Jahre -I 77i beschäftigt, recht umfassende Studien gemacht
zu haben, warum hat er dieselben nicht zu einer' literarhistorischen Monographie
benutzt? Innere Wahrheit und Uebereinstimmung ist nicht erreicht worden, nicht
einmal im Stil ist der Ton der Zeit wiedergegeben. Hören wir z. B., wie der
berühmte Eckhof sich S. 38 über die Heldin des Romans ausspricht: "So sehr
ich die kleine Ackermann als geniale Künstlerin schätze, so mehr noch beuge ich
mich vor ihrer genialen Weiblichkeit. Ich habe kein Wort dafür, aber in diesem
Mädchen ruht etwas wie dämonische Gewalt, womit sie es uns anthut..... Die
Seele, diese wunderbare, tiefe, aller innigen und gewaltigen Gluten volle Seele,


Neue Romane.
Deutsche Bibliothek. Sammlung auserlesener Originalromane, herausgegeben von
Otto Müller. Frankfurt a. M., Meidinger Sohn. — 2. Band: Char¬
lotte Ackermann, Roman von Otto Müller. —

Es ist nicht zum ersten Mal, daß Herr Müller sich in einer Gattung
versucht, welche mehr für eine literarhistorische, als für eine epische Behandlung
geeignet zu sein scheint. Sein früherer Roman, der das Leben Bürgers zum
Gegenstand hatte, und ans dem das Drama von Mvseuthal hervorgegangen ist,
wird dem Lesepnblicum noch in Erinnerung sein. Wenn sich schon gegen den
historischen Roman überhaupt, insofern er sich nicht mit einer Schilderung
der Zeit im allgemeinen, sondern mit der Charakteristik bestimmter historischer
Persönlichkeiten beschäftigt, sehr erhebliche Einwendungen machen lassen, so gibt
das noch vielmehr vom literarhistorischen Roman. ES wird dem historischen
Novellisten leichter werden, Männer, die sich im militärischen oder im
Staatsleben ausgezeichnet haben, im Dialog so zu charakterisiren, daß unser
historisches Wissen nicht beleidigt wird: denn bei diesen kommt es mehr darauf
an, was sie gethan, als was sie gesprochen haben, und dem Dichter wird in
letzterer Beziehung eine gewisse Freiheit zugestanden werden können, nament¬
lich wenn es sich um Personen handelt, die unserem Gedächtniß uicht
detaillirt überliefert sind. Anders ist es mit Dichtern und Schriftstellern. Bei
ihnen erschöpft sich fast das ganze Interesse in ihren Werken, die uns vorliegen,
die wir vergleichen können, von denen wir keine Abweichung dulden, und so bleibt
dem Romanschreiber dann nur die-Wahl, sich entweder knechtisch seinen Quellen
anzuschließen,- was jede freie poetische Schöpfung unmöglich macht, oder uns
unter bekannten Namen fremde Personen einzuführen. Diejenigen, welche der
Literaturgeschichte wirklich im Detail mächtig sind, werden durch eine solche halb
novellistische Darstellung niemals befriedigt werden und für'die übrigen wird durch
das literarhistorische Costüm nicht der geringste Reiz hinzugefügt. Herr Müller
scheint für den gegenwärtigen Roman, der sich mit den Hamburger Literatur- und
Theaterzuständen seit dem Jahre -I 77i beschäftigt, recht umfassende Studien gemacht
zu haben, warum hat er dieselben nicht zu einer' literarhistorischen Monographie
benutzt? Innere Wahrheit und Uebereinstimmung ist nicht erreicht worden, nicht
einmal im Stil ist der Ton der Zeit wiedergegeben. Hören wir z. B., wie der
berühmte Eckhof sich S. 38 über die Heldin des Romans ausspricht: „So sehr
ich die kleine Ackermann als geniale Künstlerin schätze, so mehr noch beuge ich
mich vor ihrer genialen Weiblichkeit. Ich habe kein Wort dafür, aber in diesem
Mädchen ruht etwas wie dämonische Gewalt, womit sie es uns anthut..... Die
Seele, diese wunderbare, tiefe, aller innigen und gewaltigen Gluten volle Seele,


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[0096] Neue Romane. Deutsche Bibliothek. Sammlung auserlesener Originalromane, herausgegeben von Otto Müller. Frankfurt a. M., Meidinger Sohn. — 2. Band: Char¬ lotte Ackermann, Roman von Otto Müller. — Es ist nicht zum ersten Mal, daß Herr Müller sich in einer Gattung versucht, welche mehr für eine literarhistorische, als für eine epische Behandlung geeignet zu sein scheint. Sein früherer Roman, der das Leben Bürgers zum Gegenstand hatte, und ans dem das Drama von Mvseuthal hervorgegangen ist, wird dem Lesepnblicum noch in Erinnerung sein. Wenn sich schon gegen den historischen Roman überhaupt, insofern er sich nicht mit einer Schilderung der Zeit im allgemeinen, sondern mit der Charakteristik bestimmter historischer Persönlichkeiten beschäftigt, sehr erhebliche Einwendungen machen lassen, so gibt das noch vielmehr vom literarhistorischen Roman. ES wird dem historischen Novellisten leichter werden, Männer, die sich im militärischen oder im Staatsleben ausgezeichnet haben, im Dialog so zu charakterisiren, daß unser historisches Wissen nicht beleidigt wird: denn bei diesen kommt es mehr darauf an, was sie gethan, als was sie gesprochen haben, und dem Dichter wird in letzterer Beziehung eine gewisse Freiheit zugestanden werden können, nament¬ lich wenn es sich um Personen handelt, die unserem Gedächtniß uicht detaillirt überliefert sind. Anders ist es mit Dichtern und Schriftstellern. Bei ihnen erschöpft sich fast das ganze Interesse in ihren Werken, die uns vorliegen, die wir vergleichen können, von denen wir keine Abweichung dulden, und so bleibt dem Romanschreiber dann nur die-Wahl, sich entweder knechtisch seinen Quellen anzuschließen,- was jede freie poetische Schöpfung unmöglich macht, oder uns unter bekannten Namen fremde Personen einzuführen. Diejenigen, welche der Literaturgeschichte wirklich im Detail mächtig sind, werden durch eine solche halb novellistische Darstellung niemals befriedigt werden und für'die übrigen wird durch das literarhistorische Costüm nicht der geringste Reiz hinzugefügt. Herr Müller scheint für den gegenwärtigen Roman, der sich mit den Hamburger Literatur- und Theaterzuständen seit dem Jahre -I 77i beschäftigt, recht umfassende Studien gemacht zu haben, warum hat er dieselben nicht zu einer' literarhistorischen Monographie benutzt? Innere Wahrheit und Uebereinstimmung ist nicht erreicht worden, nicht einmal im Stil ist der Ton der Zeit wiedergegeben. Hören wir z. B., wie der berühmte Eckhof sich S. 38 über die Heldin des Romans ausspricht: „So sehr ich die kleine Ackermann als geniale Künstlerin schätze, so mehr noch beuge ich mich vor ihrer genialen Weiblichkeit. Ich habe kein Wort dafür, aber in diesem Mädchen ruht etwas wie dämonische Gewalt, womit sie es uns anthut..... Die Seele, diese wunderbare, tiefe, aller innigen und gewaltigen Gluten volle Seele,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97779/95>, abgerufen am 03.07.2024.