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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band.

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gleich unter den Jetzllebcndon umwandelnd, mich ihnen doch bis zu einem leid¬
lichen Verständnisse durchzusprechen und durchzudenken. Das weiß ich freilich von
vornherein, ich werde meistens das Gesicht meiner Zeit tragen. Das Gesicht
des Menschenalters von 1790 bis 1820: also eine Erscheinung, die über ein
Menschenalter hinter der Gegenwart liegt; aber ich hoffe, wenn Ehrlichkeit und
Wahrhaftigkeit mich nicht verlassen haben, der alte i"S Leben zurücklaufende Nuud-
waudler wird nicht blos von Gespenstern einer oben und verschollenen Vergangen¬
heit umschwirrt scheinen."

Wir wollen nun aufrichtig gestehen, daß in der darauffolgenden Darstellung
der deutschen und europäischen Zustände unser Interesse vorzugsweise ein sub¬
jektives ist. Eine wesentlich neue Beleuchtung der schwebende" Fragen, ein um¬
fangreicheres Detail der Thatsachen wird man darin nicht finden; aber das sub-
jective Interesse ist allerdings sehr groß. ES ist eine Freude zu sehen, wie
sicher und unsträflich der alte Mann in seinem Urtheil, wie fest und jünglings¬
frisch er in seiner Gesinnung ist. Es ist eine schöne Vermittlung zwischen der
alten Zeit und der neuen, und da wir bei der Verworrenheit und Unklarheit
unsrer Zustände nur zu sehr darauf hingewiesen sind, uns an die Denkmäler einer
glorwürdigen Vergangenheit anzuklammern, so wollen wir aufmerksam den Trost¬
sprüchen lauschen, die Arndt als einen Scheidcgruß uns zuruft.

"Wir siud in viele herrlichste Hoffnungen leicht hineingeschüttelt und noch
leichter und unsanfter wieder heransgeschütlelt worden, aber Geist wird immer
neuen Geist zeugen und sich aus dem schwebenden Elemente von bloßen Gefühlen
und Hoffnungen zur lichten Klarheit des Verstandes immer mehr durchdringen.
Wir haben bis jetzt nnr Anläufe gemacht und sind immer noch im stürmenden
Anlaufen begriffe", wo wir meist zurückgeschlagen werden. Gefühle und Zorn
siud blos für den ersten Anlauf gut; den letzten Sturm der Festung können Ein¬
sicht und Verstand allein durchführen. Ein Volk, das soviel Muth und Geist
hat als die Deutschen kaun als ein Raub schlechterer Volker nicht untergehen;
die Sehnsucht eines großen Volks nach Ehre, Macht und Majestät wird den
Tag ihrer Erfüllung erleben. Glaubet nur, haltet' fest und zusammen! -- El!
dn alter Schneekopf, was sollen nus diese Zurufe des Muti)eS, da du doch gleich
einem Jeremias der Klagelieder, der ans den zerbrochenen Mauern Jeru¬
salems und in dem Vorhofe des geplünderten und verwüstete" Tempels seine
Trauerlieder sa"g, uns mit so viele"! und reichem Januucr die Ohren betäubt
hat? Hast du keinen Geist fester Weissagung, so stecke die Flöte ein und schweige! --
Und darf ich mich so herausfordern lassen und weissage", wie die Narre" weis¬
sagen, das heißt, soll ich lügen? Nein! Es gibt nur einen Geist der Weissagung,
und das ist der Geist selbst. Dieser scheint dein Volke, das immer sogleich
neuestes hören will, oft tausend Siegel auf dem Mund zu haben, und siehe!
wie seine Stunde gekommen, tönt und klingt er, und die Leute verwundern sich.


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gleich unter den Jetzllebcndon umwandelnd, mich ihnen doch bis zu einem leid¬
lichen Verständnisse durchzusprechen und durchzudenken. Das weiß ich freilich von
vornherein, ich werde meistens das Gesicht meiner Zeit tragen. Das Gesicht
des Menschenalters von 1790 bis 1820: also eine Erscheinung, die über ein
Menschenalter hinter der Gegenwart liegt; aber ich hoffe, wenn Ehrlichkeit und
Wahrhaftigkeit mich nicht verlassen haben, der alte i»S Leben zurücklaufende Nuud-
waudler wird nicht blos von Gespenstern einer oben und verschollenen Vergangen¬
heit umschwirrt scheinen."

Wir wollen nun aufrichtig gestehen, daß in der darauffolgenden Darstellung
der deutschen und europäischen Zustände unser Interesse vorzugsweise ein sub¬
jektives ist. Eine wesentlich neue Beleuchtung der schwebende» Fragen, ein um¬
fangreicheres Detail der Thatsachen wird man darin nicht finden; aber das sub-
jective Interesse ist allerdings sehr groß. ES ist eine Freude zu sehen, wie
sicher und unsträflich der alte Mann in seinem Urtheil, wie fest und jünglings¬
frisch er in seiner Gesinnung ist. Es ist eine schöne Vermittlung zwischen der
alten Zeit und der neuen, und da wir bei der Verworrenheit und Unklarheit
unsrer Zustände nur zu sehr darauf hingewiesen sind, uns an die Denkmäler einer
glorwürdigen Vergangenheit anzuklammern, so wollen wir aufmerksam den Trost¬
sprüchen lauschen, die Arndt als einen Scheidcgruß uns zuruft.

„Wir siud in viele herrlichste Hoffnungen leicht hineingeschüttelt und noch
leichter und unsanfter wieder heransgeschütlelt worden, aber Geist wird immer
neuen Geist zeugen und sich aus dem schwebenden Elemente von bloßen Gefühlen
und Hoffnungen zur lichten Klarheit des Verstandes immer mehr durchdringen.
Wir haben bis jetzt nnr Anläufe gemacht und sind immer noch im stürmenden
Anlaufen begriffe», wo wir meist zurückgeschlagen werden. Gefühle und Zorn
siud blos für den ersten Anlauf gut; den letzten Sturm der Festung können Ein¬
sicht und Verstand allein durchführen. Ein Volk, das soviel Muth und Geist
hat als die Deutschen kaun als ein Raub schlechterer Volker nicht untergehen;
die Sehnsucht eines großen Volks nach Ehre, Macht und Majestät wird den
Tag ihrer Erfüllung erleben. Glaubet nur, haltet' fest und zusammen! — El!
dn alter Schneekopf, was sollen nus diese Zurufe des Muti)eS, da du doch gleich
einem Jeremias der Klagelieder, der ans den zerbrochenen Mauern Jeru¬
salems und in dem Vorhofe des geplünderten und verwüstete» Tempels seine
Trauerlieder sa»g, uns mit so viele»! und reichem Januucr die Ohren betäubt
hat? Hast du keinen Geist fester Weissagung, so stecke die Flöte ein und schweige! —
Und darf ich mich so herausfordern lassen und weissage», wie die Narre» weis¬
sagen, das heißt, soll ich lügen? Nein! Es gibt nur einen Geist der Weissagung,
und das ist der Geist selbst. Dieser scheint dein Volke, das immer sogleich
neuestes hören will, oft tausend Siegel auf dem Mund zu haben, und siehe!
wie seine Stunde gekommen, tönt und klingt er, und die Leute verwundern sich.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97779/66>, abgerufen am 22.07.2024.