Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band.gegen den Adel als einen glücklicher situirter Stand haben wir nie getheilt, da Die ncnesien Erscheinungen haben diesen Glauben sehr stark erschüttert. Wenn diese Voraussetzung sich nicht in den nächsten Tagen durch ein ecla- gegen den Adel als einen glücklicher situirter Stand haben wir nie getheilt, da Die ncnesien Erscheinungen haben diesen Glauben sehr stark erschüttert. Wenn diese Voraussetzung sich nicht in den nächsten Tagen durch ein ecla- <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0062" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/97842"/> <p xml:id="ID_162" prev="#ID_161"> gegen den Adel als einen glücklicher situirter Stand haben wir nie getheilt, da<lb/> wir glaubten, daß im Bürgerthum Kraft und Bildung genug vorhanden ist, um<lb/> ihm als vollkommen gleichberechtigtes und ebenbürtiges Moment entgegenzutreten<lb/> und daß also zum Neid keine Veranlassung vorliegt: im Gegentheil freuten wir<lb/> uns der Fortdauer der Namen und Geschlechter, die steh^ in deu großen Zeiten<lb/> Preußens berühmt gemacht haben, weil sie ein lebendiges Zeugniß für die Fort¬<lb/> dauer unserer Geschichte sind und weil das gesammte preußische Volk in jenen<lb/> Helden seine eignen Ahnen verehren konnte. Wir wurden auch nicht irre, als<lb/> nach Beendigung der Revolution der Adel in der Form des Junkerthums mit<lb/> einer blinden aber leicht erklärlichen Wuth sich in die Reaction warf und anch<lb/> die vernünftigsten Einrichtungen hätte vertilgen mögen, wenn sie nnr irgend eine<lb/> Beziehung ans jene ihm verhaßten Ereignisse hatten. Wir wurden selbst nicht irre,<lb/> als im April 48i9 und im December 1850 das Standesinteresse den Sieg über<lb/> das nationale Ehrgefühl, davon trug, denn In jenen beiden Fällen war das<lb/> Staudeöiuteresse ein sehr klares und die patriotische Empfindung hatte keinen<lb/> festen realen Boden. Wir haben immer bedauert, daß die freilich sehr langsame<lb/> und unschöne Entwicklung der preußischen Verfassungsformen durch jenes Ereigniß,<lb/> das sie scheinbar beschleunigen sollte, unterbrochen und aus ihrer natürlichen Bahn<lb/> abgeleitet wurde; aber wir waren der festen Ueberzeugung, daß schon die Formen<lb/> des constitutionellen Lebens, so klein vorläufig auch der durch sie gebotene reale<lb/> Inhalt war, ausreichen würden, dem Stande jene Bildung zu vermitteln, die<lb/> seinen eignen Interessen, seiner Stellung, seiner Geschichte entsprach.</p><lb/> <p xml:id="ID_163"> Die ncnesien Erscheinungen haben diesen Glauben sehr stark erschüttert.<lb/> Wenn im Anfang die Adelspartei sich um das Banner der Kreuzpeilung Scharte,<lb/> so wenig sie offenbar die darin ausgesprochenen Doctrinen verstand, so fanden<lb/> wir das begreiflich; aber jetzt hätte sie soweit gekommen sein müssen, sie wirklich<lb/> zu verstehen. Sie muß jetzt erkannt haben, daß man dieser Fahne nnr mit<lb/> Verleugnung alles preußischen Ehrgefühls, nur mit Hintansetzung aller realen<lb/> Interessen folgen kann; sie muß erkennen, daß die in der orientalischen Frage von<lb/> der Kreuzzeitung empfohlene Politik nicht blos gegen das Interesse und die Ehre<lb/> des preußischen Staats, sondern anch gegen das ganz »»mittelbare materielle<lb/> Interesse aller i» demselben vereinigten Stände gerichtet ist, »ut namentlich gegen<lb/> das Interesse des großen Grundbesitzes, der in der projectirten Verbindung mit<lb/> Rußland seinem vollständigen Ruin entgegengeht. Und trotzdem scheint die Adels¬<lb/> partei ihre angeblichen Führer, auch nachdem sie dieselben als Russen erkannt<lb/> hatte, nicht verlassen zu wollen.</p><lb/> <p xml:id="ID_164" next="#ID_165"> Wenn diese Voraussetzung sich nicht in den nächsten Tagen durch ein ecla-<lb/> tautes und wie wir gestehen müssen, höchst unwahrscheinliches Ereigniß widerlegt,<lb/> so müssen wir bekennen, daß wir uns in unserer Voraussetzung getäuscht haben,<lb/> daß der bisherigen Grundlage der preußischen Verfassung die Lebensfähigkeit ab-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0062]
gegen den Adel als einen glücklicher situirter Stand haben wir nie getheilt, da
wir glaubten, daß im Bürgerthum Kraft und Bildung genug vorhanden ist, um
ihm als vollkommen gleichberechtigtes und ebenbürtiges Moment entgegenzutreten
und daß also zum Neid keine Veranlassung vorliegt: im Gegentheil freuten wir
uns der Fortdauer der Namen und Geschlechter, die steh^ in deu großen Zeiten
Preußens berühmt gemacht haben, weil sie ein lebendiges Zeugniß für die Fort¬
dauer unserer Geschichte sind und weil das gesammte preußische Volk in jenen
Helden seine eignen Ahnen verehren konnte. Wir wurden auch nicht irre, als
nach Beendigung der Revolution der Adel in der Form des Junkerthums mit
einer blinden aber leicht erklärlichen Wuth sich in die Reaction warf und anch
die vernünftigsten Einrichtungen hätte vertilgen mögen, wenn sie nnr irgend eine
Beziehung ans jene ihm verhaßten Ereignisse hatten. Wir wurden selbst nicht irre,
als im April 48i9 und im December 1850 das Standesinteresse den Sieg über
das nationale Ehrgefühl, davon trug, denn In jenen beiden Fällen war das
Staudeöiuteresse ein sehr klares und die patriotische Empfindung hatte keinen
festen realen Boden. Wir haben immer bedauert, daß die freilich sehr langsame
und unschöne Entwicklung der preußischen Verfassungsformen durch jenes Ereigniß,
das sie scheinbar beschleunigen sollte, unterbrochen und aus ihrer natürlichen Bahn
abgeleitet wurde; aber wir waren der festen Ueberzeugung, daß schon die Formen
des constitutionellen Lebens, so klein vorläufig auch der durch sie gebotene reale
Inhalt war, ausreichen würden, dem Stande jene Bildung zu vermitteln, die
seinen eignen Interessen, seiner Stellung, seiner Geschichte entsprach.
Die ncnesien Erscheinungen haben diesen Glauben sehr stark erschüttert.
Wenn im Anfang die Adelspartei sich um das Banner der Kreuzpeilung Scharte,
so wenig sie offenbar die darin ausgesprochenen Doctrinen verstand, so fanden
wir das begreiflich; aber jetzt hätte sie soweit gekommen sein müssen, sie wirklich
zu verstehen. Sie muß jetzt erkannt haben, daß man dieser Fahne nnr mit
Verleugnung alles preußischen Ehrgefühls, nur mit Hintansetzung aller realen
Interessen folgen kann; sie muß erkennen, daß die in der orientalischen Frage von
der Kreuzzeitung empfohlene Politik nicht blos gegen das Interesse und die Ehre
des preußischen Staats, sondern anch gegen das ganz »»mittelbare materielle
Interesse aller i» demselben vereinigten Stände gerichtet ist, »ut namentlich gegen
das Interesse des großen Grundbesitzes, der in der projectirten Verbindung mit
Rußland seinem vollständigen Ruin entgegengeht. Und trotzdem scheint die Adels¬
partei ihre angeblichen Führer, auch nachdem sie dieselben als Russen erkannt
hatte, nicht verlassen zu wollen.
Wenn diese Voraussetzung sich nicht in den nächsten Tagen durch ein ecla-
tautes und wie wir gestehen müssen, höchst unwahrscheinliches Ereigniß widerlegt,
so müssen wir bekennen, daß wir uns in unserer Voraussetzung getäuscht haben,
daß der bisherigen Grundlage der preußischen Verfassung die Lebensfähigkeit ab-
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