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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band.

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über die dürren und vegetationslosen Höhen des Okmeidan fahren. Da sitzt
man denn unter dem dichten Laubdach der die Wiese überschattenden Baume,
auf kleinen hölzernen, mit Binsenflechtwerk als Gesäß versehenen Schemeln,
raucht den Tschibuck (und zwar Männer und Frauen), hört den musicirenden
Zigeunerbanden zu und trinkt schwarzen türkischen Kaffee aus jenen kleinen
blauen, mit Henkeln und Untersätzen versehenen Tassen, die nicht türkisch und
nicht fränkisch, sondern ein Mittelding von beiden sind. Durch die Reihen
der die lange Allee entlang Sitzenden gehen Männer mit kleinen, zierlich ge¬
flochtenen Erdbeer- und Kirschkörben auf und nieder, aber der Preis von acht
Piastern für die ersteren und von vier für die letzteren ist noch zu hoch, als
daß sich viele Begehrende fänden. Verkäuferinnen sieht man nicht -- das ist
gegen den orientalischen Anstand, der indeß nicht soweit geht, daß nicht tür¬
kische Frauen auf dem weiter oberwärts durch die Brücke von der unteren Wiese
geschiedenen Rasenplatz sich ohne männliche Begleitung und mit weit zurück¬
genommenem Jaschmak (Schleier) lagern und als Seite Dirnen verkünden sollten.

Gewissermaßen im Gegensatz zu dem Thäte am binnenwärtigen Ende des
goldenen Horns steht der tiefe Einschnitt, welcher sich von der großen Straße
nach Bujukdere her zum Bosporus hinabsenkt. Er ist ungleich schmaler, von
Gärten anstatt der duftigen Wiese erfüllt und wird nur von einem vollsprudeln¬
den Quell bewässert. Gestern war hier der Sammelplatz einer nicht eben aus¬
gewählten , aber in ihrer bunten Zusammenwürfelung nicht uninteressanter
perotischen Gesellschaft. Griechen, Armenier und aus Frankistan stammende,
hier ansässig gewordene Kaufleute saßen in traulichen Gruppen beisammen.
Kinder, in Begleitung ihrer Bonnen und Wärterinnen, trieben dazwischen ihre
Spiele. Die Mütter hatten von dienstbaren Geistern einen frugalen Imbiß
mitbringen lassen -- kurz, es entfaltete sich rings um mich her eine Scene,
ich möchte sagen deutscher Gemüthlichkeit, wie man sie hier äußerst selten zu
beobachten Gelegenheit hat. Selbstredend sehlte nicht der türkische schlau¬
blickende Schekirtschi (Zuckerbäcker), der von seinem auf dem Kopf ruhenden
hölzernen Tabaret für übertriebene Preise allerhand Süßigkeiten an die Kleinen
verkaufte; desgleichen nicht der Ghortschi oder Sauermilchhändler, mit seinen
in diesem theueren Jahre gar zu winzig kleinen irdenen Schalen.

Sie sehen, daß ein Festtag hier, weit hinten in der Türkei, ziemlich auf
dasselbe hinauskommt, wie bei uns im civilisirten Europa. Ob die Türken
in Zukunft hier weiter regieren werden oder nicht, das eine steht fest, daß der
Asstmilationsproceß, in den der Occident dieses Land versetzt hat, immer
raschere Fortschritte machen und wenn die Moscheen und Minarets nicht daran
erinnern möchten, man, ehe zehn Jahre vergehen, Mühe haben wird, die'
unterscheidenden Merkmale zwischen Oft und West festzustellen.


über die dürren und vegetationslosen Höhen des Okmeidan fahren. Da sitzt
man denn unter dem dichten Laubdach der die Wiese überschattenden Baume,
auf kleinen hölzernen, mit Binsenflechtwerk als Gesäß versehenen Schemeln,
raucht den Tschibuck (und zwar Männer und Frauen), hört den musicirenden
Zigeunerbanden zu und trinkt schwarzen türkischen Kaffee aus jenen kleinen
blauen, mit Henkeln und Untersätzen versehenen Tassen, die nicht türkisch und
nicht fränkisch, sondern ein Mittelding von beiden sind. Durch die Reihen
der die lange Allee entlang Sitzenden gehen Männer mit kleinen, zierlich ge¬
flochtenen Erdbeer- und Kirschkörben auf und nieder, aber der Preis von acht
Piastern für die ersteren und von vier für die letzteren ist noch zu hoch, als
daß sich viele Begehrende fänden. Verkäuferinnen sieht man nicht — das ist
gegen den orientalischen Anstand, der indeß nicht soweit geht, daß nicht tür¬
kische Frauen auf dem weiter oberwärts durch die Brücke von der unteren Wiese
geschiedenen Rasenplatz sich ohne männliche Begleitung und mit weit zurück¬
genommenem Jaschmak (Schleier) lagern und als Seite Dirnen verkünden sollten.

Gewissermaßen im Gegensatz zu dem Thäte am binnenwärtigen Ende des
goldenen Horns steht der tiefe Einschnitt, welcher sich von der großen Straße
nach Bujukdere her zum Bosporus hinabsenkt. Er ist ungleich schmaler, von
Gärten anstatt der duftigen Wiese erfüllt und wird nur von einem vollsprudeln¬
den Quell bewässert. Gestern war hier der Sammelplatz einer nicht eben aus¬
gewählten , aber in ihrer bunten Zusammenwürfelung nicht uninteressanter
perotischen Gesellschaft. Griechen, Armenier und aus Frankistan stammende,
hier ansässig gewordene Kaufleute saßen in traulichen Gruppen beisammen.
Kinder, in Begleitung ihrer Bonnen und Wärterinnen, trieben dazwischen ihre
Spiele. Die Mütter hatten von dienstbaren Geistern einen frugalen Imbiß
mitbringen lassen — kurz, es entfaltete sich rings um mich her eine Scene,
ich möchte sagen deutscher Gemüthlichkeit, wie man sie hier äußerst selten zu
beobachten Gelegenheit hat. Selbstredend sehlte nicht der türkische schlau¬
blickende Schekirtschi (Zuckerbäcker), der von seinem auf dem Kopf ruhenden
hölzernen Tabaret für übertriebene Preise allerhand Süßigkeiten an die Kleinen
verkaufte; desgleichen nicht der Ghortschi oder Sauermilchhändler, mit seinen
in diesem theueren Jahre gar zu winzig kleinen irdenen Schalen.

Sie sehen, daß ein Festtag hier, weit hinten in der Türkei, ziemlich auf
dasselbe hinauskommt, wie bei uns im civilisirten Europa. Ob die Türken
in Zukunft hier weiter regieren werden oder nicht, das eine steht fest, daß der
Asstmilationsproceß, in den der Occident dieses Land versetzt hat, immer
raschere Fortschritte machen und wenn die Moscheen und Minarets nicht daran
erinnern möchten, man, ehe zehn Jahre vergehen, Mühe haben wird, die'
unterscheidenden Merkmale zwischen Oft und West festzustellen.


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[0508] über die dürren und vegetationslosen Höhen des Okmeidan fahren. Da sitzt man denn unter dem dichten Laubdach der die Wiese überschattenden Baume, auf kleinen hölzernen, mit Binsenflechtwerk als Gesäß versehenen Schemeln, raucht den Tschibuck (und zwar Männer und Frauen), hört den musicirenden Zigeunerbanden zu und trinkt schwarzen türkischen Kaffee aus jenen kleinen blauen, mit Henkeln und Untersätzen versehenen Tassen, die nicht türkisch und nicht fränkisch, sondern ein Mittelding von beiden sind. Durch die Reihen der die lange Allee entlang Sitzenden gehen Männer mit kleinen, zierlich ge¬ flochtenen Erdbeer- und Kirschkörben auf und nieder, aber der Preis von acht Piastern für die ersteren und von vier für die letzteren ist noch zu hoch, als daß sich viele Begehrende fänden. Verkäuferinnen sieht man nicht — das ist gegen den orientalischen Anstand, der indeß nicht soweit geht, daß nicht tür¬ kische Frauen auf dem weiter oberwärts durch die Brücke von der unteren Wiese geschiedenen Rasenplatz sich ohne männliche Begleitung und mit weit zurück¬ genommenem Jaschmak (Schleier) lagern und als Seite Dirnen verkünden sollten. Gewissermaßen im Gegensatz zu dem Thäte am binnenwärtigen Ende des goldenen Horns steht der tiefe Einschnitt, welcher sich von der großen Straße nach Bujukdere her zum Bosporus hinabsenkt. Er ist ungleich schmaler, von Gärten anstatt der duftigen Wiese erfüllt und wird nur von einem vollsprudeln¬ den Quell bewässert. Gestern war hier der Sammelplatz einer nicht eben aus¬ gewählten , aber in ihrer bunten Zusammenwürfelung nicht uninteressanter perotischen Gesellschaft. Griechen, Armenier und aus Frankistan stammende, hier ansässig gewordene Kaufleute saßen in traulichen Gruppen beisammen. Kinder, in Begleitung ihrer Bonnen und Wärterinnen, trieben dazwischen ihre Spiele. Die Mütter hatten von dienstbaren Geistern einen frugalen Imbiß mitbringen lassen — kurz, es entfaltete sich rings um mich her eine Scene, ich möchte sagen deutscher Gemüthlichkeit, wie man sie hier äußerst selten zu beobachten Gelegenheit hat. Selbstredend sehlte nicht der türkische schlau¬ blickende Schekirtschi (Zuckerbäcker), der von seinem auf dem Kopf ruhenden hölzernen Tabaret für übertriebene Preise allerhand Süßigkeiten an die Kleinen verkaufte; desgleichen nicht der Ghortschi oder Sauermilchhändler, mit seinen in diesem theueren Jahre gar zu winzig kleinen irdenen Schalen. Sie sehen, daß ein Festtag hier, weit hinten in der Türkei, ziemlich auf dasselbe hinauskommt, wie bei uns im civilisirten Europa. Ob die Türken in Zukunft hier weiter regieren werden oder nicht, das eine steht fest, daß der Asstmilationsproceß, in den der Occident dieses Land versetzt hat, immer raschere Fortschritte machen und wenn die Moscheen und Minarets nicht daran erinnern möchten, man, ehe zehn Jahre vergehen, Mühe haben wird, die' unterscheidenden Merkmale zwischen Oft und West festzustellen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97779/507>, abgerufen am 23.07.2024.