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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band.

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Verhältniß zu Wagner gehören seiner Seele an; daß er sie aber combinirte,
war ein Werk der Reflexion und konnte nicht gelingen.

Wie eine "dämonische" Natur ohne bösen Willen in das Schicksal un¬
schuldiger Wesen verderblich eingreift, das hatte er an sich selbst erfahren, wenn
das Glück auch ihm einen so trüben Ausgang ersparte, wie er ihn in Gret-
chens, in Clärchens, in Werthers Schicksal gezeichnet hat. Er hatte selbst als
naturphilosophischer und religionssüchtiger Faust den theologischen und ge¬
lehrten Wagnern gegenübergestanden und die Zwecklosigkeit und Nichtigkeit
ihres Treibens verspottet. Sein überströmendes, leidenschaftliches Gefühl wurde
häufig durch.mephistophelische Altklugheit, deren Wirkung er dann in seinem
Innern wiederfand, zurückgewiesen, und die Gespräche zwischen Faust und
Mephistopheles sind häufig der Widerklang eines Selbstgespräches. Nun ver¬
suchte er, das dämonische Gefühl, welches in dem Walten dieser Gegensätze
lag, durch übersinnliche Einflüsse zu motiviren. Die beiden Vorbilder, die ihn
neben seinen eignen Erlebnissen bei der Conception dieses Bildes vorschwebten,
Hamlet und Don Juan, stellten Jünglinge dar, deren Blüte durch greisen¬
hafte Reflexion oder durch Uebermaß der Leidenschaft früh geknickt war: ersuchte
diesen Widerspruch des Lebens dadurch zu vermitteln, daß er seinen Faust ein
doppeltes Leben führen läßt, ein langes Leben des Denkens und Grübelns
und eine neue verzauberte Jugend. Wenn es aber überhaupt mißlich ist, aus
einem Wunder ein dramatisches Motiv zu machen, so kann die Wirkung nur
dann erreicht werden, wenn das Wunder mit der vollsten Gläubigkeit und
Unmittelbarkeit unsrer Phantasie eingeprägt wird. Will man der Phantasie
der Zuhörer den Glauben an ein Wunder aufdrängen, so muß man sie nicht
durch ironische Reflexionen stören. Darin hatte es aber Goethe versehen. Dem
Leser wird es wol deutlich werden, daß hier nicht von einer bestimmten Person,
sondern von der Dichtung im allgemeinen die Rede ist, die sich aus den
scholastischen Grübeleien ihrer früheren Zeit in das frische Leben der Natur
und der Leidenschaft zurücksehnt; aber für den Zuhörer vor der Bühne sind
solche Betrachtungen nicht geeignet. Wir wollen nur auf einen bestimmten
Umstand aufmerksam machen. Eine Geschichte wie die zwischen Faust und
Gretchen kommt in der Welt häufig vor, wie Mephistopheles ganz richtig
bemerkt, obgleich es seltner ist, daß der Verführer sich bereits vor der Lust das
Bild seiner Sünde so lebhaft ausmalt. Hier nun soll diese Stimmung durch
den Vertrag mit dem Teufel motivirt werden. Faust hat sich verpflichtet, nie
Genüge zu finden; er kann daher dieses Genügen auch nicht in Gretchen
suchen; aber dieser Umstand hat sich unsrer Phantasie nicht in einer so be¬
stimmten Weise eingeprägt, daß wir ihn uns immer gegenwärtig erhalten
können. Faust spricht sich so häufig ganz wie unsereiner aus, er behandelt das
Verhältniß zu seinem diabolischen Bedienten so ganz als Kavalier und außerdem


Verhältniß zu Wagner gehören seiner Seele an; daß er sie aber combinirte,
war ein Werk der Reflexion und konnte nicht gelingen.

Wie eine „dämonische" Natur ohne bösen Willen in das Schicksal un¬
schuldiger Wesen verderblich eingreift, das hatte er an sich selbst erfahren, wenn
das Glück auch ihm einen so trüben Ausgang ersparte, wie er ihn in Gret-
chens, in Clärchens, in Werthers Schicksal gezeichnet hat. Er hatte selbst als
naturphilosophischer und religionssüchtiger Faust den theologischen und ge¬
lehrten Wagnern gegenübergestanden und die Zwecklosigkeit und Nichtigkeit
ihres Treibens verspottet. Sein überströmendes, leidenschaftliches Gefühl wurde
häufig durch.mephistophelische Altklugheit, deren Wirkung er dann in seinem
Innern wiederfand, zurückgewiesen, und die Gespräche zwischen Faust und
Mephistopheles sind häufig der Widerklang eines Selbstgespräches. Nun ver¬
suchte er, das dämonische Gefühl, welches in dem Walten dieser Gegensätze
lag, durch übersinnliche Einflüsse zu motiviren. Die beiden Vorbilder, die ihn
neben seinen eignen Erlebnissen bei der Conception dieses Bildes vorschwebten,
Hamlet und Don Juan, stellten Jünglinge dar, deren Blüte durch greisen¬
hafte Reflexion oder durch Uebermaß der Leidenschaft früh geknickt war: ersuchte
diesen Widerspruch des Lebens dadurch zu vermitteln, daß er seinen Faust ein
doppeltes Leben führen läßt, ein langes Leben des Denkens und Grübelns
und eine neue verzauberte Jugend. Wenn es aber überhaupt mißlich ist, aus
einem Wunder ein dramatisches Motiv zu machen, so kann die Wirkung nur
dann erreicht werden, wenn das Wunder mit der vollsten Gläubigkeit und
Unmittelbarkeit unsrer Phantasie eingeprägt wird. Will man der Phantasie
der Zuhörer den Glauben an ein Wunder aufdrängen, so muß man sie nicht
durch ironische Reflexionen stören. Darin hatte es aber Goethe versehen. Dem
Leser wird es wol deutlich werden, daß hier nicht von einer bestimmten Person,
sondern von der Dichtung im allgemeinen die Rede ist, die sich aus den
scholastischen Grübeleien ihrer früheren Zeit in das frische Leben der Natur
und der Leidenschaft zurücksehnt; aber für den Zuhörer vor der Bühne sind
solche Betrachtungen nicht geeignet. Wir wollen nur auf einen bestimmten
Umstand aufmerksam machen. Eine Geschichte wie die zwischen Faust und
Gretchen kommt in der Welt häufig vor, wie Mephistopheles ganz richtig
bemerkt, obgleich es seltner ist, daß der Verführer sich bereits vor der Lust das
Bild seiner Sünde so lebhaft ausmalt. Hier nun soll diese Stimmung durch
den Vertrag mit dem Teufel motivirt werden. Faust hat sich verpflichtet, nie
Genüge zu finden; er kann daher dieses Genügen auch nicht in Gretchen
suchen; aber dieser Umstand hat sich unsrer Phantasie nicht in einer so be¬
stimmten Weise eingeprägt, daß wir ihn uns immer gegenwärtig erhalten
können. Faust spricht sich so häufig ganz wie unsereiner aus, er behandelt das
Verhältniß zu seinem diabolischen Bedienten so ganz als Kavalier und außerdem


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97779/494>, abgerufen am 23.07.2024.