Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band.Mephistopheles ist der Gegensatz ins Schrankenlose getrieben und die beiden Mephistopheles ist der Gegensatz ins Schrankenlose getrieben und die beiden <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0493" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/98273"/> <p xml:id="ID_1589" prev="#ID_1588" next="#ID_1590"> Mephistopheles ist der Gegensatz ins Schrankenlose getrieben und die beiden<lb/> Charaktere sind daher durchaus unwirklich ; sie sind nur Abstractionen einer be¬<lb/> stimmten Seite des Charakters. Wir können uns davon am besten überzeugen,<lb/> wenn wir uns bemühen, bei der wirklichen Aufführung unbefangen zu bleiben.<lb/> Freilich setzt schon die Möglichkeit dieser Aufführung voraus, daß die Unbefan¬<lb/> genheit im Publicum gänzlich untergraben ist; denn ein wirkliches Interesse kann<lb/> die willkürliche Aufeinanderfolge verwirrter, fast zusammenhangloser Scenen,<lb/> von denen noch dazu die meisten, z. B. der erste Monolog mit dem, was dazu<lb/> gehört, die Pudelgeschichte,' die Promenade, Gretchen am Spinnrad, Gretchen<lb/> und der böse Geist, die Blocksbergscene u. s. w. ganz untheatralisch gedacht sind,<lb/> unmöglich erregen, und so wird die- nicht abzuleugnende Befriedigung des Pu-<lb/> blicums, soweit sie sich auf das Ganze erstreckt, nur durch eine Fertigkeit<lb/> im Reflectiren und Abstrahiren vermittelt, die jede echte dramatische Kunst unter¬<lb/> graben muß, weil der Theaterdichter sich nur in der lebendigen Wechselwirkung<lb/> mit einem unbefangenen Puvlicum bilden und entwickeln kann. Wie unper¬<lb/> sönlich und undramatisch die einzelnen Figuren gedacht sind, zeigt unter andern<lb/> der Tod Valentins. Wie diese Scene jetzt auf dem Theater dargestellt wird,<lb/> ist es ein feiger Mord; denn Faust fällt mit seinein Spießgesellen über einen<lb/> einzelnen Menschen her. Daß diese Scette, die Faust zu einem Schurken brand¬<lb/> markt, ungestraft vor unsrem Publicum aufgeführt werden darf, ist kein beson¬<lb/> deres Zeichen von der festen Sittlichkeit unsres Volks: in Paris würde so<lb/> etwas einen Sturm der Entrüstung erregen. Im Gedicht sieht die Sache nicht<lb/> so schlimm aus. Mephistopheles ist dem Dichter in diesem Augenblick nicht<lb/> eine reale, sondern eine imaginäre, allegorische Person: der Teufel, der ihm<lb/> böse Gedanken eingibt und seinen Arm fuhrt. Vor unsren Augen dagegen<lb/> sehen wir zwei Menschen, die einen dritten umbringen, nicht einen Zweikampf,<lb/> der zwar vor dem Gesetz und auch vor dem Gewissen strafbar macht, aber nicht<lb/> entehren kann. Das ist nur ein einzelnes Beispiel für das Bedenkliche einer<lb/> Vermischung allegorischer und realer Momente in einer Figur. Die gewand¬<lb/> testen Schauspieler haben sich vergebens abgequält, aus dem Mephistopheles ein<lb/> zusammenhängendes und abgerundetes Gemälde zu machen. Der Geist, der<lb/> stets verneint, ist nicht eine Persönlichkeit, sondern eine Abstraction: die Ab-<lb/> straction jener Altklugheit, die als nothwendiger Gegensatz gegen die Ueber-<lb/> schwenglichkeit des Gefühls in der Zeit lag, und von, der auch der Dichter sich<lb/> nicht frei fühlte. Der Dichter nimmt zwar von Zeit zu Zeit einen Anlauf,<lb/> theils durch das mittelalterliche Costüm, theils durch die Wendung jener Alt¬<lb/> klugheit nach der dämonischen Freude am, Verderben, dieser Altklugheit eine<lb/> bestimmtere Färbung zu geben. Aber so schön ihm das in einzelnen Momenten<lb/> gelingt, er fällt fortwährend aus der Rolle, und wir.werden am Ende zu der<lb/> Ueberzeugung gebracht, daß Faust gar nicht nöthig gehabt hätte, sich diesem</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0493]
Mephistopheles ist der Gegensatz ins Schrankenlose getrieben und die beiden
Charaktere sind daher durchaus unwirklich ; sie sind nur Abstractionen einer be¬
stimmten Seite des Charakters. Wir können uns davon am besten überzeugen,
wenn wir uns bemühen, bei der wirklichen Aufführung unbefangen zu bleiben.
Freilich setzt schon die Möglichkeit dieser Aufführung voraus, daß die Unbefan¬
genheit im Publicum gänzlich untergraben ist; denn ein wirkliches Interesse kann
die willkürliche Aufeinanderfolge verwirrter, fast zusammenhangloser Scenen,
von denen noch dazu die meisten, z. B. der erste Monolog mit dem, was dazu
gehört, die Pudelgeschichte,' die Promenade, Gretchen am Spinnrad, Gretchen
und der böse Geist, die Blocksbergscene u. s. w. ganz untheatralisch gedacht sind,
unmöglich erregen, und so wird die- nicht abzuleugnende Befriedigung des Pu-
blicums, soweit sie sich auf das Ganze erstreckt, nur durch eine Fertigkeit
im Reflectiren und Abstrahiren vermittelt, die jede echte dramatische Kunst unter¬
graben muß, weil der Theaterdichter sich nur in der lebendigen Wechselwirkung
mit einem unbefangenen Puvlicum bilden und entwickeln kann. Wie unper¬
sönlich und undramatisch die einzelnen Figuren gedacht sind, zeigt unter andern
der Tod Valentins. Wie diese Scene jetzt auf dem Theater dargestellt wird,
ist es ein feiger Mord; denn Faust fällt mit seinein Spießgesellen über einen
einzelnen Menschen her. Daß diese Scette, die Faust zu einem Schurken brand¬
markt, ungestraft vor unsrem Publicum aufgeführt werden darf, ist kein beson¬
deres Zeichen von der festen Sittlichkeit unsres Volks: in Paris würde so
etwas einen Sturm der Entrüstung erregen. Im Gedicht sieht die Sache nicht
so schlimm aus. Mephistopheles ist dem Dichter in diesem Augenblick nicht
eine reale, sondern eine imaginäre, allegorische Person: der Teufel, der ihm
böse Gedanken eingibt und seinen Arm fuhrt. Vor unsren Augen dagegen
sehen wir zwei Menschen, die einen dritten umbringen, nicht einen Zweikampf,
der zwar vor dem Gesetz und auch vor dem Gewissen strafbar macht, aber nicht
entehren kann. Das ist nur ein einzelnes Beispiel für das Bedenkliche einer
Vermischung allegorischer und realer Momente in einer Figur. Die gewand¬
testen Schauspieler haben sich vergebens abgequält, aus dem Mephistopheles ein
zusammenhängendes und abgerundetes Gemälde zu machen. Der Geist, der
stets verneint, ist nicht eine Persönlichkeit, sondern eine Abstraction: die Ab-
straction jener Altklugheit, die als nothwendiger Gegensatz gegen die Ueber-
schwenglichkeit des Gefühls in der Zeit lag, und von, der auch der Dichter sich
nicht frei fühlte. Der Dichter nimmt zwar von Zeit zu Zeit einen Anlauf,
theils durch das mittelalterliche Costüm, theils durch die Wendung jener Alt¬
klugheit nach der dämonischen Freude am, Verderben, dieser Altklugheit eine
bestimmtere Färbung zu geben. Aber so schön ihm das in einzelnen Momenten
gelingt, er fällt fortwährend aus der Rolle, und wir.werden am Ende zu der
Ueberzeugung gebracht, daß Faust gar nicht nöthig gehabt hätte, sich diesem
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