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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band.

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Hr. Kurtz: -- Ich kenn' Dich nicht, ich muß Dich hassen.
Doch Deine düstern Züge lassen
Mich etwas ahnen, dem die Zeit
Stets tieferes Gepräge leiht.

Byron: -- 1 Kuno U>g(! no^ 1 lo-ni-v rue",
IWI. >II til)- ImvilMVIttS I et'SVK
^'b"l. Uno fusil strengllien, not <zi>i"ve.

Hier hat es Hr. Kurtz durch seine Umschreibung wieder am besten getrof¬
fen, obgleich er noch weiter hätte umschreiben sollen, denn die letzte Zeile ist
nur halb ausgedrückt. Bei Frl. Friedmann versteht man das "doch" garnicht;
Byron sagt: "ich kenne dich nicht, aber ich merke schon an deinem Gesicht,
was an dir ist" u. s. w. Hr. Böttcher hat aus dem einfachen, bestimmten
Ausdruck einen unbestimmten Schwulst gemacht. --

Wir haben diese Stellen nur ausgewählt, weil sie kurz sind und doch ein
deutliches Bild davon geben, daß trotz der ungefähren Beibehaltung des Sinnes
durch die Veränderung der Form der Hauptreiz des Dichters verloren geht.
Andere Stellen, die viel bezeichnender sind, können wir ihrer Länge wegen nicht
anführen. Sogleich im Anfange die reizende Phantasie über die Liebe der Rose
zur Nachtigall, deren Nachbildung im Deutschen schon durch die Veränderung
des Geschlechtes sehr erschwert wird. Hier ist fast jede Zeile abgeschwächt.
Man vergleiche z. B. mit dem Originale die Stelle:


"Seltsam -- wo wie für Götter nur
Solch Wunderland erschuf Natur
Und diesem Paradies verlieh,
Was je entzückt die Phantasie --
Der Mensch mit seinem Qualgelüste
Es wild verheert zu einer Wüste."

Abgesehen von der falschen Construction (auf seltsam sollte daß folgen
oder es müßte nachher die directe Rede eintreten) ist hier in der ersten Zeile
durch die Häufung von W. und F. ein unerträglicher Mißlaut entstanden. --
So bleibt z. B. auch in dem Schluß dieses Abschnitts:


,,So reich gesegnet dieses Land,
So schändlich der Verheerer Hand!"

keine Spur von der Kraft des Originals. Noch mehr gilt das von dem
wunderbar schönen Vergleich Griechenlands mit einem eben verstorbenen schö¬
nen Weibe; die lange Periode und die Ungenauigkeit der Construction in dieser
Strophe werden im Originale durch kleine Feinheiten in der Verbindung ver¬
wischt, in jeder Uebersetzung aber tritt sie beleidigend hervor. Die Stelle könn-
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Hr. Kurtz: — Ich kenn' Dich nicht, ich muß Dich hassen.
Doch Deine düstern Züge lassen
Mich etwas ahnen, dem die Zeit
Stets tieferes Gepräge leiht.

Byron: — 1 Kuno U>g(! no^ 1 lo-ni-v rue«,
IWI. >II til)- ImvilMVIttS I et'SVK
^'b»l. Uno fusil strengllien, not <zi>i»ve.

Hier hat es Hr. Kurtz durch seine Umschreibung wieder am besten getrof¬
fen, obgleich er noch weiter hätte umschreiben sollen, denn die letzte Zeile ist
nur halb ausgedrückt. Bei Frl. Friedmann versteht man das „doch" garnicht;
Byron sagt: „ich kenne dich nicht, aber ich merke schon an deinem Gesicht,
was an dir ist" u. s. w. Hr. Böttcher hat aus dem einfachen, bestimmten
Ausdruck einen unbestimmten Schwulst gemacht. —

Wir haben diese Stellen nur ausgewählt, weil sie kurz sind und doch ein
deutliches Bild davon geben, daß trotz der ungefähren Beibehaltung des Sinnes
durch die Veränderung der Form der Hauptreiz des Dichters verloren geht.
Andere Stellen, die viel bezeichnender sind, können wir ihrer Länge wegen nicht
anführen. Sogleich im Anfange die reizende Phantasie über die Liebe der Rose
zur Nachtigall, deren Nachbildung im Deutschen schon durch die Veränderung
des Geschlechtes sehr erschwert wird. Hier ist fast jede Zeile abgeschwächt.
Man vergleiche z. B. mit dem Originale die Stelle:


„Seltsam — wo wie für Götter nur
Solch Wunderland erschuf Natur
Und diesem Paradies verlieh,
Was je entzückt die Phantasie —
Der Mensch mit seinem Qualgelüste
Es wild verheert zu einer Wüste."

Abgesehen von der falschen Construction (auf seltsam sollte daß folgen
oder es müßte nachher die directe Rede eintreten) ist hier in der ersten Zeile
durch die Häufung von W. und F. ein unerträglicher Mißlaut entstanden. —
So bleibt z. B. auch in dem Schluß dieses Abschnitts:


,,So reich gesegnet dieses Land,
So schändlich der Verheerer Hand!"

keine Spur von der Kraft des Originals. Noch mehr gilt das von dem
wunderbar schönen Vergleich Griechenlands mit einem eben verstorbenen schö¬
nen Weibe; die lange Periode und die Ungenauigkeit der Construction in dieser
Strophe werden im Originale durch kleine Feinheiten in der Verbindung ver¬
wischt, in jeder Uebersetzung aber tritt sie beleidigend hervor. Die Stelle könn-
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[0483] Hr. Kurtz: — Ich kenn' Dich nicht, ich muß Dich hassen. Doch Deine düstern Züge lassen Mich etwas ahnen, dem die Zeit Stets tieferes Gepräge leiht. Byron: — 1 Kuno U>g(! no^ 1 lo-ni-v rue«, IWI. >II til)- ImvilMVIttS I et'SVK ^'b»l. Uno fusil strengllien, not <zi>i»ve. Hier hat es Hr. Kurtz durch seine Umschreibung wieder am besten getrof¬ fen, obgleich er noch weiter hätte umschreiben sollen, denn die letzte Zeile ist nur halb ausgedrückt. Bei Frl. Friedmann versteht man das „doch" garnicht; Byron sagt: „ich kenne dich nicht, aber ich merke schon an deinem Gesicht, was an dir ist" u. s. w. Hr. Böttcher hat aus dem einfachen, bestimmten Ausdruck einen unbestimmten Schwulst gemacht. — Wir haben diese Stellen nur ausgewählt, weil sie kurz sind und doch ein deutliches Bild davon geben, daß trotz der ungefähren Beibehaltung des Sinnes durch die Veränderung der Form der Hauptreiz des Dichters verloren geht. Andere Stellen, die viel bezeichnender sind, können wir ihrer Länge wegen nicht anführen. Sogleich im Anfange die reizende Phantasie über die Liebe der Rose zur Nachtigall, deren Nachbildung im Deutschen schon durch die Veränderung des Geschlechtes sehr erschwert wird. Hier ist fast jede Zeile abgeschwächt. Man vergleiche z. B. mit dem Originale die Stelle: „Seltsam — wo wie für Götter nur Solch Wunderland erschuf Natur Und diesem Paradies verlieh, Was je entzückt die Phantasie — Der Mensch mit seinem Qualgelüste Es wild verheert zu einer Wüste." Abgesehen von der falschen Construction (auf seltsam sollte daß folgen oder es müßte nachher die directe Rede eintreten) ist hier in der ersten Zeile durch die Häufung von W. und F. ein unerträglicher Mißlaut entstanden. — So bleibt z. B. auch in dem Schluß dieses Abschnitts: ,,So reich gesegnet dieses Land, So schändlich der Verheerer Hand!" keine Spur von der Kraft des Originals. Noch mehr gilt das von dem wunderbar schönen Vergleich Griechenlands mit einem eben verstorbenen schö¬ nen Weibe; die lange Periode und die Ungenauigkeit der Construction in dieser Strophe werden im Originale durch kleine Feinheiten in der Verbindung ver¬ wischt, in jeder Uebersetzung aber tritt sie beleidigend hervor. Die Stelle könn- ' 60

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97779/482>, abgerufen am 23.07.2024.