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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band.

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sehr fein und eindringend. Byron ist es werth, daß man über eine oberflächliche
Lectüre hinausgeht und unter allen seinen Schriften ist vielleicht Ritter Harolds
Pilgerfahrt diejenige, bei welcher ein nachdenkliches Studium am meisten un¬
entbehrlich ist. Von diesem in seiner Anlage wunderlichen, aber in der Aus¬
führung außerordentlich schönen Gedicht liegen uns zuerst die beiden ersten
Gesänge vor, die beiden andern werden folgen. Außerdem ist der Marino
Falieri in die Sammlung mit aufgenommen, ein Drama, dessen Verständniß
der Beihilfe bei weitem weniger bedarf, und bei dem also das Uebermaß auf¬
fallender hervortritt. Wir wünschen von demselben Herausgeber eine Bearbeitung
des Don Juan, der wenigstens in einzelnen Partien zu dem vorzüglichsten
gehört, was Byron geleistet und dessen ungewöhnliche Kühnheiten eine Analyse
zuweilen sehr wünschenswert!) machen.

Wenn wir im Interesse der Poesie das Studium Byrons in der Ursprache
nur auf das lebhafteste bevorworten können, so müssen wir offen gestehen, daß
wir bei den Uebersetzungen des Dichters ins Deutsche nicht viel Heil finden
können. Bei den Bewunderern des Dichters, die ihn nur aus der Uebersetzung
kennen, müssen wir meistens an dem Geschmack oder- an der Aufrichtigkeit zwei¬
feln. Byron wirkt mit einer unwiderstehlichen Magie durch seine unbedingte
Herrschaft über die Sprache; mit einer hinreißenden Gewalt schafft er sowol
der starken gesteigerten Leidenschaft, als der zartesten, sinnigsten Empfindung
einen schönen und hochpoetischen Ausdruck. Diesen in einer fremden Sprache
nachzubilden, selbst in einer verwandten, wie es die deutsche unzweifelhaft ist,
fällt sehr schwer, da die englische Sprache durch die Kürze ihrer Worte und
die Freiheit ihrer Construction eine energische Gedrängtheit verstattet, die man
im Deutschen auslösen muß, wenn man nicht einen Theil des Inhalts opfern
will. Bei solchen Dichtern, die sich durch Mannigfaltigkeit und Größe der
Gestaltung oder durch Tiefe der Gedanken auszeichnen, geht durch eine solche
Bearbeitung weniger verloren. Man müßte z. B. schon sehr künstlich zu Werke
gehen, um den Shakespeare so zu übersetzen, daß nicht ein großer Theil seiner
außerordentlichen und ewigen Poesie übrigbliebe; aber bei Byron geht mit
dem Zauber der Sprache die Hauptsache verloren. Wir haben das bei allen
Uebersetzungsversuchen, die uns bekannt geworden sind, empfunden, wir müssen
es auch bei der treuen Bearbeitung des Giaur, die wir in der Ueberschrift an¬
geführt haben, wieder aussprechen. Wir haben zwei andere Uebersetzungen von
Böttcher und von Kurtz zu Rathe gezogen und können nicht sagen, daß in
dem neuen Versuch des Fräulein Friedmann ein Fortschritt liegt. Sie hat
offenbar die Böttchersche Uebersetzung vor Augen gehabt und von den Vor¬
zügen wie von den Fehlern derselben ziemlich viel beibehalten. Sie hat man¬
ches verbessert, dafür bleibt sie aber in vielen Stücken hinter ihrem Vorgänger
zurück.


sehr fein und eindringend. Byron ist es werth, daß man über eine oberflächliche
Lectüre hinausgeht und unter allen seinen Schriften ist vielleicht Ritter Harolds
Pilgerfahrt diejenige, bei welcher ein nachdenkliches Studium am meisten un¬
entbehrlich ist. Von diesem in seiner Anlage wunderlichen, aber in der Aus¬
führung außerordentlich schönen Gedicht liegen uns zuerst die beiden ersten
Gesänge vor, die beiden andern werden folgen. Außerdem ist der Marino
Falieri in die Sammlung mit aufgenommen, ein Drama, dessen Verständniß
der Beihilfe bei weitem weniger bedarf, und bei dem also das Uebermaß auf¬
fallender hervortritt. Wir wünschen von demselben Herausgeber eine Bearbeitung
des Don Juan, der wenigstens in einzelnen Partien zu dem vorzüglichsten
gehört, was Byron geleistet und dessen ungewöhnliche Kühnheiten eine Analyse
zuweilen sehr wünschenswert!) machen.

Wenn wir im Interesse der Poesie das Studium Byrons in der Ursprache
nur auf das lebhafteste bevorworten können, so müssen wir offen gestehen, daß
wir bei den Uebersetzungen des Dichters ins Deutsche nicht viel Heil finden
können. Bei den Bewunderern des Dichters, die ihn nur aus der Uebersetzung
kennen, müssen wir meistens an dem Geschmack oder- an der Aufrichtigkeit zwei¬
feln. Byron wirkt mit einer unwiderstehlichen Magie durch seine unbedingte
Herrschaft über die Sprache; mit einer hinreißenden Gewalt schafft er sowol
der starken gesteigerten Leidenschaft, als der zartesten, sinnigsten Empfindung
einen schönen und hochpoetischen Ausdruck. Diesen in einer fremden Sprache
nachzubilden, selbst in einer verwandten, wie es die deutsche unzweifelhaft ist,
fällt sehr schwer, da die englische Sprache durch die Kürze ihrer Worte und
die Freiheit ihrer Construction eine energische Gedrängtheit verstattet, die man
im Deutschen auslösen muß, wenn man nicht einen Theil des Inhalts opfern
will. Bei solchen Dichtern, die sich durch Mannigfaltigkeit und Größe der
Gestaltung oder durch Tiefe der Gedanken auszeichnen, geht durch eine solche
Bearbeitung weniger verloren. Man müßte z. B. schon sehr künstlich zu Werke
gehen, um den Shakespeare so zu übersetzen, daß nicht ein großer Theil seiner
außerordentlichen und ewigen Poesie übrigbliebe; aber bei Byron geht mit
dem Zauber der Sprache die Hauptsache verloren. Wir haben das bei allen
Uebersetzungsversuchen, die uns bekannt geworden sind, empfunden, wir müssen
es auch bei der treuen Bearbeitung des Giaur, die wir in der Ueberschrift an¬
geführt haben, wieder aussprechen. Wir haben zwei andere Uebersetzungen von
Böttcher und von Kurtz zu Rathe gezogen und können nicht sagen, daß in
dem neuen Versuch des Fräulein Friedmann ein Fortschritt liegt. Sie hat
offenbar die Böttchersche Uebersetzung vor Augen gehabt und von den Vor¬
zügen wie von den Fehlern derselben ziemlich viel beibehalten. Sie hat man¬
ches verbessert, dafür bleibt sie aber in vielen Stücken hinter ihrem Vorgänger
zurück.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97779/478>, abgerufen am 26.08.2024.