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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band.

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viele russische Fahrzeuge, auch einige, aber wenige, türkische zerstört worden und
ein russischer Kapack (Zweidecker) nach Stambul geführt worden, woraus ich
den Schluß zog, daß die Osmanen -- in einem großen Seetreffen geschlagen
sein müßten, was sich auch bald aus der nächsten Station bestätigte.

Die Stimmung und Gespräche der Griechen und Armenier sind, wie man
nicht leugnen kann, wesentlich anderer Natur. Sie sind eben Rajahs, Leute,
die in den Türken seither ihre Herrn zu erkennen hatten, und es hebt sie der
Gedanke, daß die Macht ihrer Gebieter demnächst einen Stoß erleiden wird,
der möglicherweise den Christen neue Rechte und eine unabhängige Stellung
verleiht. In solchen Strebungen und Herzenswünschen befangen, sieht die
große Masse das Nahen der Russen nicht ungern, denn sie ist nicht aufgeklärt
genug, um zu erkennen, daß die Besitznahme Stambuls durch den Zaren für
die Rajah nur die Bedeutung eines Herrschaftswechsels habe^n würde, und daß
die neuen Herren aus Norden nicht nur möglicher-, sondern wahrscheinlicherweise
die Zügel ihres Regiments weit straffer anziehen würden, wie gegenwärtig
die alten.

Am meisten Einsicht in die hier maßgebenden Verhältnisse findet man ohne
Frage und aus erklärlichen Gründen unter der hiesigen fränkischen Bevölkerung,
zu der man nicht nur die Schutzbefohlenen der verschiedenen Legationen, sondern
auch eingewanderte Europäer, die nunmehr türkische Unterthanen (Rajah) ge¬
worden sind, sodann europäisirte Armenier, Griechen, Juden u. s. w. zu rechnen
hat. Je mehr ihre Interessen, als die Träger hiesiger Cultur mit denen tür¬
kischer Civilisation im allgemeinen verflochten sind, desto mehr fühlen sie sich
bei der Frage über die Eristenz der Türkei, welche wiederum keine andere als
die ist: ob dieses Land russisch werden soll oder nicht, betheiligt. Der Franken
sind nur wenige, die eine Besitznahme Konstantinopels durch den Zar nicht
als einen höchst empfindlichen Stoß für das fernere Gedeihen ihres Wohl¬
standes erkennen würden. So wenig hat Nußland durch sein Odessa, welches
mit seinem Freihafen und mancherlei kostspieligen Anstalten für den Verkehr
den hiesigen Handelsstand verlocken sollte, in der That zu täuschen vermocht.

In diesem Augenblick liegt der Verkehr keineswegs so tief darnieder,
als man anzunehmen geneigt sein möchte. Der Hafen von Stambul ist
ungleich belebter, wie etwa im vergangenen Jahre um dieselbe Zeit, ja wie
vor zwei Jahren, auch wenn man die nur für den Truppen- und Kriegs¬
materialtransport bestimmten Fahrzeuge außer Rechnung läßt. Dies hat seinen
Grund in dem ungeheuren Consum einer'Hauptstadt, die durch die geringen,
in ihrer Nähe erhaltenen Fruchternten eben jetzt aus eine gesteigerte Zufuhr
aus der Ferne angewiesen ist, und derselben um so mehr bedarf, als sie Haupt¬
ausgangspunkt für die Verpflegung der bei 100,000 Mann starken bulgarischen
Armee und außerdem von mehr als 30,000 Mann Engländern und Franzosen ist.


viele russische Fahrzeuge, auch einige, aber wenige, türkische zerstört worden und
ein russischer Kapack (Zweidecker) nach Stambul geführt worden, woraus ich
den Schluß zog, daß die Osmanen — in einem großen Seetreffen geschlagen
sein müßten, was sich auch bald aus der nächsten Station bestätigte.

Die Stimmung und Gespräche der Griechen und Armenier sind, wie man
nicht leugnen kann, wesentlich anderer Natur. Sie sind eben Rajahs, Leute,
die in den Türken seither ihre Herrn zu erkennen hatten, und es hebt sie der
Gedanke, daß die Macht ihrer Gebieter demnächst einen Stoß erleiden wird,
der möglicherweise den Christen neue Rechte und eine unabhängige Stellung
verleiht. In solchen Strebungen und Herzenswünschen befangen, sieht die
große Masse das Nahen der Russen nicht ungern, denn sie ist nicht aufgeklärt
genug, um zu erkennen, daß die Besitznahme Stambuls durch den Zaren für
die Rajah nur die Bedeutung eines Herrschaftswechsels habe^n würde, und daß
die neuen Herren aus Norden nicht nur möglicher-, sondern wahrscheinlicherweise
die Zügel ihres Regiments weit straffer anziehen würden, wie gegenwärtig
die alten.

Am meisten Einsicht in die hier maßgebenden Verhältnisse findet man ohne
Frage und aus erklärlichen Gründen unter der hiesigen fränkischen Bevölkerung,
zu der man nicht nur die Schutzbefohlenen der verschiedenen Legationen, sondern
auch eingewanderte Europäer, die nunmehr türkische Unterthanen (Rajah) ge¬
worden sind, sodann europäisirte Armenier, Griechen, Juden u. s. w. zu rechnen
hat. Je mehr ihre Interessen, als die Träger hiesiger Cultur mit denen tür¬
kischer Civilisation im allgemeinen verflochten sind, desto mehr fühlen sie sich
bei der Frage über die Eristenz der Türkei, welche wiederum keine andere als
die ist: ob dieses Land russisch werden soll oder nicht, betheiligt. Der Franken
sind nur wenige, die eine Besitznahme Konstantinopels durch den Zar nicht
als einen höchst empfindlichen Stoß für das fernere Gedeihen ihres Wohl¬
standes erkennen würden. So wenig hat Nußland durch sein Odessa, welches
mit seinem Freihafen und mancherlei kostspieligen Anstalten für den Verkehr
den hiesigen Handelsstand verlocken sollte, in der That zu täuschen vermocht.

In diesem Augenblick liegt der Verkehr keineswegs so tief darnieder,
als man anzunehmen geneigt sein möchte. Der Hafen von Stambul ist
ungleich belebter, wie etwa im vergangenen Jahre um dieselbe Zeit, ja wie
vor zwei Jahren, auch wenn man die nur für den Truppen- und Kriegs¬
materialtransport bestimmten Fahrzeuge außer Rechnung läßt. Dies hat seinen
Grund in dem ungeheuren Consum einer'Hauptstadt, die durch die geringen,
in ihrer Nähe erhaltenen Fruchternten eben jetzt aus eine gesteigerte Zufuhr
aus der Ferne angewiesen ist, und derselben um so mehr bedarf, als sie Haupt¬
ausgangspunkt für die Verpflegung der bei 100,000 Mann starken bulgarischen
Armee und außerdem von mehr als 30,000 Mann Engländern und Franzosen ist.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97779/471>, abgerufen am 22.12.2024.