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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band.

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Als ich neulich in Skutari war, um mir das englische Lager zwischen
Hayder-Pascha und Kadiköj anzusehen, wurden eben an der Anlandestelle
(Harem-Stelle) zwei türkische Leichen ausgeschifft, um auf asiatischem Boden
unter den hohen altersgrauen Cypressen des Kirchhofes von Skutahr (Skutari)
beerdigt zu werden. Dieser Gebrauch ist alt, und schreibt sich bereits aus dem
ersten Decennium dieses Jahrhunderts her, seit welcher Zeit die Türken das
Grauen vor dem bevorstehenden Fall ihres großen Reiches beschlichen. Zu
keiner Zeit aber wurden mehr Todte vom großen Stambul her über die Meer¬
enge geführt, wie in den gegenwärtigen Tagen. Düster blickten die alten be-
turbanten Türken vor sich nieder, als sie die beiden vom irdischen Schauplatz
geschiedenen Glaubensgenossen aus dem Boote hoben und ihre aus leichten
Bretern gezimmerten offenen Särge den Schultern rüstiger Hanale (Lastträger)
übergaben. Als sie dem Kirchhofe zuwanderten, sprachen sie leise unter sich
vom Kriege (monarablzcl^), über die letzten Schlachten (KauKa) und daß die
Russen nunmehr immer näher rückten.

Dasselbe Thema beschäftigt die alten Osmanli, wenn sie Abends den
Kaffee schlürfend ihre gläsernen Wasserpfeifen mit den langen Rauchschläuchen
zur Seite, nachbarlich näher zusammenrücken, um das im Laufe des Tages
Gehörte miteinander auszutauschen. Es sind melancholische Gedanken, Ver¬
muthungen, Befürchtungen, die da zwischen ihnen gewechselt werden. Keiner
glaubt so recht von Herzensgrund noch an daS weitere Bestehen der türkischen
Dinge auf dieser Seite der Meerenge. Drüben in Anadoli meinen die meisten
sei ihre dereinstige Zuflucht, und wenn sie es nicht laut aussprechen, denken
sie es mindestens still bei sich.

Nicht ganz von solchen Ansichten wird das jüngere Geschlecht beherrscht.
Es ist ein ungewöhnliches Selbstvertrauen in dieser osmanischen Raye, und
wer noch selbst Kraft in sich fühlt, ist nicht geneigt, die Hoffnung aufzugeben.
Diese Classe ist am mindesten geneigt, den Berichten vom Kriegsschauplatze
Glauben zu schenken; zugleich ist sie der Boden, auf welchem die übertriebenen
Gerüchte von türkischen Siegen, vernichtenden Schlägen gegen die Russen u. s. w.
wuchern. Wenn heute Omer Pascha thatsächlich in Schumla steht, und Lüders
Vorposten bis Basardschik vorgeschoben sind, lassen diese Leute in ihren Kreisen
verkünden, daß ihr Liebling Ismael Pascha, der Müschir (Feldmarschall), i"
Bukarest eingerückt sei und -- den Fürsten Paskewitsch gefangen genommen
habe. Diejenigen unter ihnen, welche die Wahrheit kennen, glauben nichts¬
destoweniger der nationalen Sache einen Dienst zu erweisen, wenn sie sich be¬
mühen, sie möglichst zu umhüllen, und sie gehen so weit, sich einzubilden, auch
Franken' mit ihren Märchen täuschen zu können. Auf einer Reise in Rumelien
kam mir Mitte December der erste Bericht über die Schlacht von Sinope von
einem jungen Türken zu. Seiner Aussage nach waren bei dieser Gelegenheit


Als ich neulich in Skutari war, um mir das englische Lager zwischen
Hayder-Pascha und Kadiköj anzusehen, wurden eben an der Anlandestelle
(Harem-Stelle) zwei türkische Leichen ausgeschifft, um auf asiatischem Boden
unter den hohen altersgrauen Cypressen des Kirchhofes von Skutahr (Skutari)
beerdigt zu werden. Dieser Gebrauch ist alt, und schreibt sich bereits aus dem
ersten Decennium dieses Jahrhunderts her, seit welcher Zeit die Türken das
Grauen vor dem bevorstehenden Fall ihres großen Reiches beschlichen. Zu
keiner Zeit aber wurden mehr Todte vom großen Stambul her über die Meer¬
enge geführt, wie in den gegenwärtigen Tagen. Düster blickten die alten be-
turbanten Türken vor sich nieder, als sie die beiden vom irdischen Schauplatz
geschiedenen Glaubensgenossen aus dem Boote hoben und ihre aus leichten
Bretern gezimmerten offenen Särge den Schultern rüstiger Hanale (Lastträger)
übergaben. Als sie dem Kirchhofe zuwanderten, sprachen sie leise unter sich
vom Kriege (monarablzcl^), über die letzten Schlachten (KauKa) und daß die
Russen nunmehr immer näher rückten.

Dasselbe Thema beschäftigt die alten Osmanli, wenn sie Abends den
Kaffee schlürfend ihre gläsernen Wasserpfeifen mit den langen Rauchschläuchen
zur Seite, nachbarlich näher zusammenrücken, um das im Laufe des Tages
Gehörte miteinander auszutauschen. Es sind melancholische Gedanken, Ver¬
muthungen, Befürchtungen, die da zwischen ihnen gewechselt werden. Keiner
glaubt so recht von Herzensgrund noch an daS weitere Bestehen der türkischen
Dinge auf dieser Seite der Meerenge. Drüben in Anadoli meinen die meisten
sei ihre dereinstige Zuflucht, und wenn sie es nicht laut aussprechen, denken
sie es mindestens still bei sich.

Nicht ganz von solchen Ansichten wird das jüngere Geschlecht beherrscht.
Es ist ein ungewöhnliches Selbstvertrauen in dieser osmanischen Raye, und
wer noch selbst Kraft in sich fühlt, ist nicht geneigt, die Hoffnung aufzugeben.
Diese Classe ist am mindesten geneigt, den Berichten vom Kriegsschauplatze
Glauben zu schenken; zugleich ist sie der Boden, auf welchem die übertriebenen
Gerüchte von türkischen Siegen, vernichtenden Schlägen gegen die Russen u. s. w.
wuchern. Wenn heute Omer Pascha thatsächlich in Schumla steht, und Lüders
Vorposten bis Basardschik vorgeschoben sind, lassen diese Leute in ihren Kreisen
verkünden, daß ihr Liebling Ismael Pascha, der Müschir (Feldmarschall), i»
Bukarest eingerückt sei und — den Fürsten Paskewitsch gefangen genommen
habe. Diejenigen unter ihnen, welche die Wahrheit kennen, glauben nichts¬
destoweniger der nationalen Sache einen Dienst zu erweisen, wenn sie sich be¬
mühen, sie möglichst zu umhüllen, und sie gehen so weit, sich einzubilden, auch
Franken' mit ihren Märchen täuschen zu können. Auf einer Reise in Rumelien
kam mir Mitte December der erste Bericht über die Schlacht von Sinope von
einem jungen Türken zu. Seiner Aussage nach waren bei dieser Gelegenheit


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97779/470>, abgerufen am 03.07.2024.