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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band.

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die bisherigen Kammermitglieder, die der überwiegenden Mehrzahl nach Ge¬
mäßigte waren, in Preußen die Deputaten des vereinigten Landtags, die zum
großen Theil dem Stande des großen Grundbesitzes oder der hohem Kauf¬
mannschaft angehörten und die mit ihrer Opposition nie daran gedacht hatten,
die aristokratisch-monarchische Grundlage des preußischen Staates zu verändern.
Der Wechselverkehr dieser beiden Elemente in Frankfurt brachte nun die so¬
genannte Gothaische Partei hervor, die theoretisch zu ganz vortrefflichen Resul¬
taten gelangte, praktisch aber nichts durchsetzen konnte, weil sie mit sammt der
von ihnen eingesetzten provisorischen Centralgewalt, dem Neichsministerium u. s. w.
auf den guten Willen der einzelnen Regierungen angewiesen war, der voraus¬
sichtlich nicht länger dauern konnte, als die Noth der Regierungen überhaupt.

Was nun diese Mittclpartei (denn sie stand in der Mitte zwischen denen,
die nichts verändern wollten und den Republikanern) wollte, stand zunächst in
gar keinem bestimmten Zusammenhang mit dem, was die Mittelpartei in ein¬
zelnen Staaten, mit dem, was die mittlere Schicht der Gesellschaft in den ein¬
zelnen Städten wollte. Aber die Partei war einmal solidarisch verbunden und
so waren es auch ihre Gegner. So war z. B. kein Grund abzusehen, warum
das sogenannte linke Centrum in Berlin sich nicht der Frankfurter Mittelpartei
hätte anschließen sollen. Aber diese Partei hatte im Gegensatz gegen die
Frankfurter Linke auch gegen die Berliner Linke Opposition gemacht und so
verflocht sich denn eine Opposition in die andere und es entstand daraus ein
Gewirr der Parteiungen, in dem Reminiscenzen und Hoffnungen so wunderlich
durcheinander gemischt sind, daß man sich nicht eher wird daraus wickeln können,
als bis man die ganze frühere Geschichte, die auf die augenblicklichen Ver¬
hältnisse doch keinen Einfluß mehr hat, aä acta gelegt haben wird. Ueberhaupt
haben wir uns ja selbst im Anfange der Bewegung -- natürlich im Sinne
des Herrn von Manteuffel -- Demokraten genannt, freilich konservative
Demokraten und statt diesen Namen noch länger eine Scheidewand der Parteien
bilden zu lassen, wollen wir lieber untersuchen, worin sich die wahre Demokratie
von der falschen unterscheidet?

Der Gegensatz gegen die Demokratie ist nicht die Monarchie, sondern die
Aristokratie. Die Demokratie im allgemeinsten Sinne ist das Bestreben, die
ausschließliche Berechtigung eines einzelnen Standes aufzuheben. In diesem
Sinne hat die Demokratie in Preußen, namentlich durch die Steinschen Re¬
formen, schon sehr bedeutende Fortschritte gemacht: der Stand der Ritterschaft
und der Offizierstand ist den ^ Bürgerlichen geöffnet so gut wie den Adeligen;
der erimirte Gerichtsstand hat bis auf wenige Ausnahmen aufgehört; in
der Städteverwaltung hat sich der Bürgerstand emancipirt. Es ist voraus¬
zusehen, daß, möge man es wollen oder nicht, die Demokratie in diesem Sinne
immer größere Fortschritte macht; denn der Adel hat in neuerer Zeit wohl


die bisherigen Kammermitglieder, die der überwiegenden Mehrzahl nach Ge¬
mäßigte waren, in Preußen die Deputaten des vereinigten Landtags, die zum
großen Theil dem Stande des großen Grundbesitzes oder der hohem Kauf¬
mannschaft angehörten und die mit ihrer Opposition nie daran gedacht hatten,
die aristokratisch-monarchische Grundlage des preußischen Staates zu verändern.
Der Wechselverkehr dieser beiden Elemente in Frankfurt brachte nun die so¬
genannte Gothaische Partei hervor, die theoretisch zu ganz vortrefflichen Resul¬
taten gelangte, praktisch aber nichts durchsetzen konnte, weil sie mit sammt der
von ihnen eingesetzten provisorischen Centralgewalt, dem Neichsministerium u. s. w.
auf den guten Willen der einzelnen Regierungen angewiesen war, der voraus¬
sichtlich nicht länger dauern konnte, als die Noth der Regierungen überhaupt.

Was nun diese Mittclpartei (denn sie stand in der Mitte zwischen denen,
die nichts verändern wollten und den Republikanern) wollte, stand zunächst in
gar keinem bestimmten Zusammenhang mit dem, was die Mittelpartei in ein¬
zelnen Staaten, mit dem, was die mittlere Schicht der Gesellschaft in den ein¬
zelnen Städten wollte. Aber die Partei war einmal solidarisch verbunden und
so waren es auch ihre Gegner. So war z. B. kein Grund abzusehen, warum
das sogenannte linke Centrum in Berlin sich nicht der Frankfurter Mittelpartei
hätte anschließen sollen. Aber diese Partei hatte im Gegensatz gegen die
Frankfurter Linke auch gegen die Berliner Linke Opposition gemacht und so
verflocht sich denn eine Opposition in die andere und es entstand daraus ein
Gewirr der Parteiungen, in dem Reminiscenzen und Hoffnungen so wunderlich
durcheinander gemischt sind, daß man sich nicht eher wird daraus wickeln können,
als bis man die ganze frühere Geschichte, die auf die augenblicklichen Ver¬
hältnisse doch keinen Einfluß mehr hat, aä acta gelegt haben wird. Ueberhaupt
haben wir uns ja selbst im Anfange der Bewegung — natürlich im Sinne
des Herrn von Manteuffel — Demokraten genannt, freilich konservative
Demokraten und statt diesen Namen noch länger eine Scheidewand der Parteien
bilden zu lassen, wollen wir lieber untersuchen, worin sich die wahre Demokratie
von der falschen unterscheidet?

Der Gegensatz gegen die Demokratie ist nicht die Monarchie, sondern die
Aristokratie. Die Demokratie im allgemeinsten Sinne ist das Bestreben, die
ausschließliche Berechtigung eines einzelnen Standes aufzuheben. In diesem
Sinne hat die Demokratie in Preußen, namentlich durch die Steinschen Re¬
formen, schon sehr bedeutende Fortschritte gemacht: der Stand der Ritterschaft
und der Offizierstand ist den ^ Bürgerlichen geöffnet so gut wie den Adeligen;
der erimirte Gerichtsstand hat bis auf wenige Ausnahmen aufgehört; in
der Städteverwaltung hat sich der Bürgerstand emancipirt. Es ist voraus¬
zusehen, daß, möge man es wollen oder nicht, die Demokratie in diesem Sinne
immer größere Fortschritte macht; denn der Adel hat in neuerer Zeit wohl


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[0454] die bisherigen Kammermitglieder, die der überwiegenden Mehrzahl nach Ge¬ mäßigte waren, in Preußen die Deputaten des vereinigten Landtags, die zum großen Theil dem Stande des großen Grundbesitzes oder der hohem Kauf¬ mannschaft angehörten und die mit ihrer Opposition nie daran gedacht hatten, die aristokratisch-monarchische Grundlage des preußischen Staates zu verändern. Der Wechselverkehr dieser beiden Elemente in Frankfurt brachte nun die so¬ genannte Gothaische Partei hervor, die theoretisch zu ganz vortrefflichen Resul¬ taten gelangte, praktisch aber nichts durchsetzen konnte, weil sie mit sammt der von ihnen eingesetzten provisorischen Centralgewalt, dem Neichsministerium u. s. w. auf den guten Willen der einzelnen Regierungen angewiesen war, der voraus¬ sichtlich nicht länger dauern konnte, als die Noth der Regierungen überhaupt. Was nun diese Mittclpartei (denn sie stand in der Mitte zwischen denen, die nichts verändern wollten und den Republikanern) wollte, stand zunächst in gar keinem bestimmten Zusammenhang mit dem, was die Mittelpartei in ein¬ zelnen Staaten, mit dem, was die mittlere Schicht der Gesellschaft in den ein¬ zelnen Städten wollte. Aber die Partei war einmal solidarisch verbunden und so waren es auch ihre Gegner. So war z. B. kein Grund abzusehen, warum das sogenannte linke Centrum in Berlin sich nicht der Frankfurter Mittelpartei hätte anschließen sollen. Aber diese Partei hatte im Gegensatz gegen die Frankfurter Linke auch gegen die Berliner Linke Opposition gemacht und so verflocht sich denn eine Opposition in die andere und es entstand daraus ein Gewirr der Parteiungen, in dem Reminiscenzen und Hoffnungen so wunderlich durcheinander gemischt sind, daß man sich nicht eher wird daraus wickeln können, als bis man die ganze frühere Geschichte, die auf die augenblicklichen Ver¬ hältnisse doch keinen Einfluß mehr hat, aä acta gelegt haben wird. Ueberhaupt haben wir uns ja selbst im Anfange der Bewegung — natürlich im Sinne des Herrn von Manteuffel — Demokraten genannt, freilich konservative Demokraten und statt diesen Namen noch länger eine Scheidewand der Parteien bilden zu lassen, wollen wir lieber untersuchen, worin sich die wahre Demokratie von der falschen unterscheidet? Der Gegensatz gegen die Demokratie ist nicht die Monarchie, sondern die Aristokratie. Die Demokratie im allgemeinsten Sinne ist das Bestreben, die ausschließliche Berechtigung eines einzelnen Standes aufzuheben. In diesem Sinne hat die Demokratie in Preußen, namentlich durch die Steinschen Re¬ formen, schon sehr bedeutende Fortschritte gemacht: der Stand der Ritterschaft und der Offizierstand ist den ^ Bürgerlichen geöffnet so gut wie den Adeligen; der erimirte Gerichtsstand hat bis auf wenige Ausnahmen aufgehört; in der Städteverwaltung hat sich der Bürgerstand emancipirt. Es ist voraus¬ zusehen, daß, möge man es wollen oder nicht, die Demokratie in diesem Sinne immer größere Fortschritte macht; denn der Adel hat in neuerer Zeit wohl

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97779/453>, abgerufen am 23.07.2024.