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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band.

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Versammlung war eigentlich nirgends vorhanden. Sie entstand erst, als man
sie mit Waffengewalt auseinandcrtrieb, und als so die Sache des Constitu-
tionalismus sich an ihr Schicksal zu knüpfen schien. -- Wer damals zum Theil
nur aus localen Gründen sich für die Nationalversammlung erklärte, hat seit¬
dem den Parteinamen Demokrat behalten, welche politische Ansichten er im
übrigen haben mochte. Und so ist -denn dieser durch einen einzelnen Act
bedingte Stichname geblieben, da die Menschen überhaupt lieber nach Worten,
als nach Begriffen gehen.

Wahrend also überall in den einzelnen Kammern die Opposition oder wie
sie später hieß, die Demokratie, das Glück hatte, eine feste Organisation zu
finden, während die eigentliche Reaction, die vorläufig in den gesetzgebenden
Versammlungen keine Stätte fand, sich theils im Junkerparlament, theils in
der Umgebung der Höfe sammelte, fand die Mittelpartei, ganz ihrem Wesen
zuwider, ihr Centrum in einem idealen, von der Wirklichkeit ganz fern lie¬
genden Ort. Es war ein ganz sonderbares Verhältniß. Eigentlich hatte alte
Welt erwartet, daß die Opposition, die ihrem Wesen nach ideell ist, in Frank¬
furt, die beiden andern Parteien dagegen in den einzelnen Kammern ihren
Halt finden würden; und es kam grade umgekehrt. In Frankfurt setzte sich
die Linke nicht durch, in den einzelnen Kammern gewann sie die Vorhand.
Erklärlich ist dies Verhältniß allerdings, wenn man die Vergangenheit dieser
beiden Parteien ins Auge faßt.

Die Mittelpartei hatte sich, abgesehen von ihren localen Voraussetzungen,
historisch in den Kammern der kleinern deutschen Staaten gebildet. Hier war
ein gewisser Umfang der Freiheit erreicht worden; es war also begreiflich, daß
die Gemäßigten sich mit demselben zufrieden gaben und ihren Idealismus, da
das politische Leben eines kleinen Staates einem gebildeten Geist keine frucht¬
bare Beschäftigung geben kann, auf die allgemeinen deutschen Verhältnisse
wandten. Die südwestdeutschen Liberalen haben die Idee des Frankfurter
Parlaments aufgebracht, weil der Umfang ihrer eignen kleinen Staaten ihrer
Thätigkeit nicht genügte. Wie unpraktisch diese Idee war, wird man jetzt
wol allgemein erkannt haben, da eine gesetzgebende Versammlung, die keine
Regierung sich gegenüber hat, auf die und durch die sie wirken kann, mit ihrer
Thätigkeit ins Blaue hinein arbeitet. Hätten sich in Frankfurt die Republikaner
versammelt, so wäre das vielleicht im schlimmen Sinn praktisch gewesen, es hätte
eine Fortsetzung der Revolution oder auch der Bürgerkrieg daraus hervorgehen
können. Aber man fand es allgemein für nöthig, die Oppositionsmünner nach
den Kammern zu schicken, wo die Mißbräuche der Polizei, der Steuern ab¬
gestellt werden sollten; nach Frankfurt dagegen die studirten Leute, die über
höhere Staatsangelegenheiten vortrefflich zu discutiren wußten und die diese
Fähigkeit bereits an den Tag gelegt. Das waren in den kleinen Staaten


Versammlung war eigentlich nirgends vorhanden. Sie entstand erst, als man
sie mit Waffengewalt auseinandcrtrieb, und als so die Sache des Constitu-
tionalismus sich an ihr Schicksal zu knüpfen schien. — Wer damals zum Theil
nur aus localen Gründen sich für die Nationalversammlung erklärte, hat seit¬
dem den Parteinamen Demokrat behalten, welche politische Ansichten er im
übrigen haben mochte. Und so ist -denn dieser durch einen einzelnen Act
bedingte Stichname geblieben, da die Menschen überhaupt lieber nach Worten,
als nach Begriffen gehen.

Wahrend also überall in den einzelnen Kammern die Opposition oder wie
sie später hieß, die Demokratie, das Glück hatte, eine feste Organisation zu
finden, während die eigentliche Reaction, die vorläufig in den gesetzgebenden
Versammlungen keine Stätte fand, sich theils im Junkerparlament, theils in
der Umgebung der Höfe sammelte, fand die Mittelpartei, ganz ihrem Wesen
zuwider, ihr Centrum in einem idealen, von der Wirklichkeit ganz fern lie¬
genden Ort. Es war ein ganz sonderbares Verhältniß. Eigentlich hatte alte
Welt erwartet, daß die Opposition, die ihrem Wesen nach ideell ist, in Frank¬
furt, die beiden andern Parteien dagegen in den einzelnen Kammern ihren
Halt finden würden; und es kam grade umgekehrt. In Frankfurt setzte sich
die Linke nicht durch, in den einzelnen Kammern gewann sie die Vorhand.
Erklärlich ist dies Verhältniß allerdings, wenn man die Vergangenheit dieser
beiden Parteien ins Auge faßt.

Die Mittelpartei hatte sich, abgesehen von ihren localen Voraussetzungen,
historisch in den Kammern der kleinern deutschen Staaten gebildet. Hier war
ein gewisser Umfang der Freiheit erreicht worden; es war also begreiflich, daß
die Gemäßigten sich mit demselben zufrieden gaben und ihren Idealismus, da
das politische Leben eines kleinen Staates einem gebildeten Geist keine frucht¬
bare Beschäftigung geben kann, auf die allgemeinen deutschen Verhältnisse
wandten. Die südwestdeutschen Liberalen haben die Idee des Frankfurter
Parlaments aufgebracht, weil der Umfang ihrer eignen kleinen Staaten ihrer
Thätigkeit nicht genügte. Wie unpraktisch diese Idee war, wird man jetzt
wol allgemein erkannt haben, da eine gesetzgebende Versammlung, die keine
Regierung sich gegenüber hat, auf die und durch die sie wirken kann, mit ihrer
Thätigkeit ins Blaue hinein arbeitet. Hätten sich in Frankfurt die Republikaner
versammelt, so wäre das vielleicht im schlimmen Sinn praktisch gewesen, es hätte
eine Fortsetzung der Revolution oder auch der Bürgerkrieg daraus hervorgehen
können. Aber man fand es allgemein für nöthig, die Oppositionsmünner nach
den Kammern zu schicken, wo die Mißbräuche der Polizei, der Steuern ab¬
gestellt werden sollten; nach Frankfurt dagegen die studirten Leute, die über
höhere Staatsangelegenheiten vortrefflich zu discutiren wußten und die diese
Fähigkeit bereits an den Tag gelegt. Das waren in den kleinen Staaten


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[0453] Versammlung war eigentlich nirgends vorhanden. Sie entstand erst, als man sie mit Waffengewalt auseinandcrtrieb, und als so die Sache des Constitu- tionalismus sich an ihr Schicksal zu knüpfen schien. — Wer damals zum Theil nur aus localen Gründen sich für die Nationalversammlung erklärte, hat seit¬ dem den Parteinamen Demokrat behalten, welche politische Ansichten er im übrigen haben mochte. Und so ist -denn dieser durch einen einzelnen Act bedingte Stichname geblieben, da die Menschen überhaupt lieber nach Worten, als nach Begriffen gehen. Wahrend also überall in den einzelnen Kammern die Opposition oder wie sie später hieß, die Demokratie, das Glück hatte, eine feste Organisation zu finden, während die eigentliche Reaction, die vorläufig in den gesetzgebenden Versammlungen keine Stätte fand, sich theils im Junkerparlament, theils in der Umgebung der Höfe sammelte, fand die Mittelpartei, ganz ihrem Wesen zuwider, ihr Centrum in einem idealen, von der Wirklichkeit ganz fern lie¬ genden Ort. Es war ein ganz sonderbares Verhältniß. Eigentlich hatte alte Welt erwartet, daß die Opposition, die ihrem Wesen nach ideell ist, in Frank¬ furt, die beiden andern Parteien dagegen in den einzelnen Kammern ihren Halt finden würden; und es kam grade umgekehrt. In Frankfurt setzte sich die Linke nicht durch, in den einzelnen Kammern gewann sie die Vorhand. Erklärlich ist dies Verhältniß allerdings, wenn man die Vergangenheit dieser beiden Parteien ins Auge faßt. Die Mittelpartei hatte sich, abgesehen von ihren localen Voraussetzungen, historisch in den Kammern der kleinern deutschen Staaten gebildet. Hier war ein gewisser Umfang der Freiheit erreicht worden; es war also begreiflich, daß die Gemäßigten sich mit demselben zufrieden gaben und ihren Idealismus, da das politische Leben eines kleinen Staates einem gebildeten Geist keine frucht¬ bare Beschäftigung geben kann, auf die allgemeinen deutschen Verhältnisse wandten. Die südwestdeutschen Liberalen haben die Idee des Frankfurter Parlaments aufgebracht, weil der Umfang ihrer eignen kleinen Staaten ihrer Thätigkeit nicht genügte. Wie unpraktisch diese Idee war, wird man jetzt wol allgemein erkannt haben, da eine gesetzgebende Versammlung, die keine Regierung sich gegenüber hat, auf die und durch die sie wirken kann, mit ihrer Thätigkeit ins Blaue hinein arbeitet. Hätten sich in Frankfurt die Republikaner versammelt, so wäre das vielleicht im schlimmen Sinn praktisch gewesen, es hätte eine Fortsetzung der Revolution oder auch der Bürgerkrieg daraus hervorgehen können. Aber man fand es allgemein für nöthig, die Oppositionsmünner nach den Kammern zu schicken, wo die Mißbräuche der Polizei, der Steuern ab¬ gestellt werden sollten; nach Frankfurt dagegen die studirten Leute, die über höhere Staatsangelegenheiten vortrefflich zu discutiren wußten und die diese Fähigkeit bereits an den Tag gelegt. Das waren in den kleinen Staaten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97779/452>, abgerufen am 22.12.2024.