Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Endlich sind wir mitten zwischen' dem Leanderthurm und der Scrailspitze.
Letztere liegt rechts, ersterer links. Die Laubmassen, welche das alte Kaiser¬
schloß umhüllen, sind in diesem Jahre reicher wie jemals entfaltet, wie man
denn überhaupt seit mehren Decennien einen Frühling wie den gegenwärtigen
hier nicht erlebt hat. > Ich glaubte die Schläge der Nachtigall, die man hier
öfter am Tage vernimmt wie bei uns, aus dem dichten Cypressen- und Pinien-
Dickicht von Gut-Hane (Serail) zu mir herüberklingen zu hören. Schaumlos
ging die See und die sonst starke Brandung an dem Ufer, wo der Sommer¬
harem liegt, war nur ein leises Gemurmel,

Längs der mehr als tausend Meilen langen Linie, auf welcher Asien lind
Europa einander die Stirn weisen, am Ural selbstredend nicht, aber auch am
Kaukasus kaum, und ganz sicherlich nicht am Hellespont gibt es keinen zweiten
Punkt wie diesen, so strotzend von Schönheit und dabei grandios und maje¬
stätisch. Hier auf dieser Spitze ist es, wo Fourier, der Socialist, den Palast
des Omniarchen hingeträumt, der, alle Phalansterien des Erdenrundes am Faden
haltend, von dem Vorgebirge des Serails aus die Zügel der Welt führen
sollte. Hier, wenn irgend wo, ist der Mittelpunkt sür die Oberfläche unseres
Planeten gefunden.

Wir hatten nunmehr die Transportflotte erreicht, das englische Wasserl.ager
an der Ausmündung des Bosporus, im Gegensatze zu dem Landlager bei
Skutari. Die Briggs und Voloschiffe fesselten in. geringem Maße meine Auf¬
merksamkeit, aber mein ganzes Interesse wurde wach, als wir unter dem Bug
des unermeßlichen Schraubenschiffes "Victoria" mit seinen vier Masten hin¬
fuhren. Sicherlich nie zuvor hat ein schlankerer und riesigerer Bau sich aus
den Wogen der Propontis gewiegt, wie dieses Fahrzeug. Und wie manches
bewaffnete Schiff bot an dieser Stelle seine Brust der Strömung des Pontus
dar, die aus dem Bosporus vorbricht, von der Argo an, mit der Jason nach
Colchis steuerte und so zu sagen die Schifffahrt eröffnete, bis zu den riesigen
Propellerlinienschiffen, die wir jüngst noch passiren sahen. Die letzteren
übertrifft die Victoria wol um fünfzig Fuß an Länge, wenn nicht um mehr.

Die Communication zwischen der Transportflotte und dem asiatischen wie
dem europäischen Ufer wird durch kleine, schnellfahrende und nur wenig Tief¬
gang habende Dampfer bewirkt. Wie ein Kind neben der Mutter lag eines,
derselben dicht unter dem Nadkasten des Leviathans. Kaum reichten die Mast¬
spitzen über das Deck der Victoria.hinaus. Unser Kalk hatte Mühe, sich durch
die vielen in Bewegung begriffenen Schiffsbote, die Offiziere zum Frühstück an
Bord zu bringen schienen, hindurchzuarbeiten. Meistens geht es bei ähnlichen
Gelegenheiten nicht ohne einige Zusammenstöße ab, die nicht wenig gefährlich
sind, indem die schweren Barkassen und Kutter, auch wenn sie mit geringer
Schnelligkeit auf das Kalk treffen, dasselbe sehr leicht umwerfen oder einbrechen.


Endlich sind wir mitten zwischen' dem Leanderthurm und der Scrailspitze.
Letztere liegt rechts, ersterer links. Die Laubmassen, welche das alte Kaiser¬
schloß umhüllen, sind in diesem Jahre reicher wie jemals entfaltet, wie man
denn überhaupt seit mehren Decennien einen Frühling wie den gegenwärtigen
hier nicht erlebt hat. > Ich glaubte die Schläge der Nachtigall, die man hier
öfter am Tage vernimmt wie bei uns, aus dem dichten Cypressen- und Pinien-
Dickicht von Gut-Hane (Serail) zu mir herüberklingen zu hören. Schaumlos
ging die See und die sonst starke Brandung an dem Ufer, wo der Sommer¬
harem liegt, war nur ein leises Gemurmel,

Längs der mehr als tausend Meilen langen Linie, auf welcher Asien lind
Europa einander die Stirn weisen, am Ural selbstredend nicht, aber auch am
Kaukasus kaum, und ganz sicherlich nicht am Hellespont gibt es keinen zweiten
Punkt wie diesen, so strotzend von Schönheit und dabei grandios und maje¬
stätisch. Hier auf dieser Spitze ist es, wo Fourier, der Socialist, den Palast
des Omniarchen hingeträumt, der, alle Phalansterien des Erdenrundes am Faden
haltend, von dem Vorgebirge des Serails aus die Zügel der Welt führen
sollte. Hier, wenn irgend wo, ist der Mittelpunkt sür die Oberfläche unseres
Planeten gefunden.

Wir hatten nunmehr die Transportflotte erreicht, das englische Wasserl.ager
an der Ausmündung des Bosporus, im Gegensatze zu dem Landlager bei
Skutari. Die Briggs und Voloschiffe fesselten in. geringem Maße meine Auf¬
merksamkeit, aber mein ganzes Interesse wurde wach, als wir unter dem Bug
des unermeßlichen Schraubenschiffes „Victoria" mit seinen vier Masten hin¬
fuhren. Sicherlich nie zuvor hat ein schlankerer und riesigerer Bau sich aus
den Wogen der Propontis gewiegt, wie dieses Fahrzeug. Und wie manches
bewaffnete Schiff bot an dieser Stelle seine Brust der Strömung des Pontus
dar, die aus dem Bosporus vorbricht, von der Argo an, mit der Jason nach
Colchis steuerte und so zu sagen die Schifffahrt eröffnete, bis zu den riesigen
Propellerlinienschiffen, die wir jüngst noch passiren sahen. Die letzteren
übertrifft die Victoria wol um fünfzig Fuß an Länge, wenn nicht um mehr.

Die Communication zwischen der Transportflotte und dem asiatischen wie
dem europäischen Ufer wird durch kleine, schnellfahrende und nur wenig Tief¬
gang habende Dampfer bewirkt. Wie ein Kind neben der Mutter lag eines,
derselben dicht unter dem Nadkasten des Leviathans. Kaum reichten die Mast¬
spitzen über das Deck der Victoria.hinaus. Unser Kalk hatte Mühe, sich durch
die vielen in Bewegung begriffenen Schiffsbote, die Offiziere zum Frühstück an
Bord zu bringen schienen, hindurchzuarbeiten. Meistens geht es bei ähnlichen
Gelegenheiten nicht ohne einige Zusammenstöße ab, die nicht wenig gefährlich
sind, indem die schweren Barkassen und Kutter, auch wenn sie mit geringer
Schnelligkeit auf das Kalk treffen, dasselbe sehr leicht umwerfen oder einbrechen.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0432" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/98212"/>
          <p xml:id="ID_1339"> Endlich sind wir mitten zwischen' dem Leanderthurm und der Scrailspitze.<lb/>
Letztere liegt rechts, ersterer links. Die Laubmassen, welche das alte Kaiser¬<lb/>
schloß umhüllen, sind in diesem Jahre reicher wie jemals entfaltet, wie man<lb/>
denn überhaupt seit mehren Decennien einen Frühling wie den gegenwärtigen<lb/>
hier nicht erlebt hat. &gt; Ich glaubte die Schläge der Nachtigall, die man hier<lb/>
öfter am Tage vernimmt wie bei uns, aus dem dichten Cypressen- und Pinien-<lb/>
Dickicht von Gut-Hane (Serail) zu mir herüberklingen zu hören. Schaumlos<lb/>
ging die See und die sonst starke Brandung an dem Ufer, wo der Sommer¬<lb/>
harem liegt, war nur ein leises Gemurmel,</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1340"> Längs der mehr als tausend Meilen langen Linie, auf welcher Asien lind<lb/>
Europa einander die Stirn weisen, am Ural selbstredend nicht, aber auch am<lb/>
Kaukasus kaum, und ganz sicherlich nicht am Hellespont gibt es keinen zweiten<lb/>
Punkt wie diesen, so strotzend von Schönheit und dabei grandios und maje¬<lb/>
stätisch. Hier auf dieser Spitze ist es, wo Fourier, der Socialist, den Palast<lb/>
des Omniarchen hingeträumt, der, alle Phalansterien des Erdenrundes am Faden<lb/>
haltend, von dem Vorgebirge des Serails aus die Zügel der Welt führen<lb/>
sollte. Hier, wenn irgend wo, ist der Mittelpunkt sür die Oberfläche unseres<lb/>
Planeten gefunden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1341"> Wir hatten nunmehr die Transportflotte erreicht, das englische Wasserl.ager<lb/>
an der Ausmündung des Bosporus, im Gegensatze zu dem Landlager bei<lb/>
Skutari. Die Briggs und Voloschiffe fesselten in. geringem Maße meine Auf¬<lb/>
merksamkeit, aber mein ganzes Interesse wurde wach, als wir unter dem Bug<lb/>
des unermeßlichen Schraubenschiffes &#x201E;Victoria" mit seinen vier Masten hin¬<lb/>
fuhren. Sicherlich nie zuvor hat ein schlankerer und riesigerer Bau sich aus<lb/>
den Wogen der Propontis gewiegt, wie dieses Fahrzeug. Und wie manches<lb/>
bewaffnete Schiff bot an dieser Stelle seine Brust der Strömung des Pontus<lb/>
dar, die aus dem Bosporus vorbricht, von der Argo an, mit der Jason nach<lb/>
Colchis steuerte und so zu sagen die Schifffahrt eröffnete, bis zu den riesigen<lb/>
Propellerlinienschiffen, die wir jüngst noch passiren sahen. Die letzteren<lb/>
übertrifft die Victoria wol um fünfzig Fuß an Länge, wenn nicht um mehr.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1342"> Die Communication zwischen der Transportflotte und dem asiatischen wie<lb/>
dem europäischen Ufer wird durch kleine, schnellfahrende und nur wenig Tief¬<lb/>
gang habende Dampfer bewirkt. Wie ein Kind neben der Mutter lag eines,<lb/>
derselben dicht unter dem Nadkasten des Leviathans. Kaum reichten die Mast¬<lb/>
spitzen über das Deck der Victoria.hinaus. Unser Kalk hatte Mühe, sich durch<lb/>
die vielen in Bewegung begriffenen Schiffsbote, die Offiziere zum Frühstück an<lb/>
Bord zu bringen schienen, hindurchzuarbeiten. Meistens geht es bei ähnlichen<lb/>
Gelegenheiten nicht ohne einige Zusammenstöße ab, die nicht wenig gefährlich<lb/>
sind, indem die schweren Barkassen und Kutter, auch wenn sie mit geringer<lb/>
Schnelligkeit auf das Kalk treffen, dasselbe sehr leicht umwerfen oder einbrechen.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0432] Endlich sind wir mitten zwischen' dem Leanderthurm und der Scrailspitze. Letztere liegt rechts, ersterer links. Die Laubmassen, welche das alte Kaiser¬ schloß umhüllen, sind in diesem Jahre reicher wie jemals entfaltet, wie man denn überhaupt seit mehren Decennien einen Frühling wie den gegenwärtigen hier nicht erlebt hat. > Ich glaubte die Schläge der Nachtigall, die man hier öfter am Tage vernimmt wie bei uns, aus dem dichten Cypressen- und Pinien- Dickicht von Gut-Hane (Serail) zu mir herüberklingen zu hören. Schaumlos ging die See und die sonst starke Brandung an dem Ufer, wo der Sommer¬ harem liegt, war nur ein leises Gemurmel, Längs der mehr als tausend Meilen langen Linie, auf welcher Asien lind Europa einander die Stirn weisen, am Ural selbstredend nicht, aber auch am Kaukasus kaum, und ganz sicherlich nicht am Hellespont gibt es keinen zweiten Punkt wie diesen, so strotzend von Schönheit und dabei grandios und maje¬ stätisch. Hier auf dieser Spitze ist es, wo Fourier, der Socialist, den Palast des Omniarchen hingeträumt, der, alle Phalansterien des Erdenrundes am Faden haltend, von dem Vorgebirge des Serails aus die Zügel der Welt führen sollte. Hier, wenn irgend wo, ist der Mittelpunkt sür die Oberfläche unseres Planeten gefunden. Wir hatten nunmehr die Transportflotte erreicht, das englische Wasserl.ager an der Ausmündung des Bosporus, im Gegensatze zu dem Landlager bei Skutari. Die Briggs und Voloschiffe fesselten in. geringem Maße meine Auf¬ merksamkeit, aber mein ganzes Interesse wurde wach, als wir unter dem Bug des unermeßlichen Schraubenschiffes „Victoria" mit seinen vier Masten hin¬ fuhren. Sicherlich nie zuvor hat ein schlankerer und riesigerer Bau sich aus den Wogen der Propontis gewiegt, wie dieses Fahrzeug. Und wie manches bewaffnete Schiff bot an dieser Stelle seine Brust der Strömung des Pontus dar, die aus dem Bosporus vorbricht, von der Argo an, mit der Jason nach Colchis steuerte und so zu sagen die Schifffahrt eröffnete, bis zu den riesigen Propellerlinienschiffen, die wir jüngst noch passiren sahen. Die letzteren übertrifft die Victoria wol um fünfzig Fuß an Länge, wenn nicht um mehr. Die Communication zwischen der Transportflotte und dem asiatischen wie dem europäischen Ufer wird durch kleine, schnellfahrende und nur wenig Tief¬ gang habende Dampfer bewirkt. Wie ein Kind neben der Mutter lag eines, derselben dicht unter dem Nadkasten des Leviathans. Kaum reichten die Mast¬ spitzen über das Deck der Victoria.hinaus. Unser Kalk hatte Mühe, sich durch die vielen in Bewegung begriffenen Schiffsbote, die Offiziere zum Frühstück an Bord zu bringen schienen, hindurchzuarbeiten. Meistens geht es bei ähnlichen Gelegenheiten nicht ohne einige Zusammenstöße ab, die nicht wenig gefährlich sind, indem die schweren Barkassen und Kutter, auch wenn sie mit geringer Schnelligkeit auf das Kalk treffen, dasselbe sehr leicht umwerfen oder einbrechen.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97779
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97779/431
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97779/431>, abgerufen am 01.07.2024.