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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band.

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zuerst zur Anwendung kommen kann, da aus dem Zusammenhange erhellt,
daß die von Oestreich an Rußland zu richtende Aufforderung als die erste und
unmittelbarste Konsequenz des Vertrags betrachtet wurde. In diesem Falle
wird sich nun die Interpretation um die Fragen drehen: -I) welche Zusicherungen
Rußlands als "vollständig beruhigend" angesehen werden können; 2) ob beide
contrahirende Theile diese Zusicherungen für vollständig beruhigend halten
müssen, wenn die Vertragsbestimmung ausgeführt werden soll; 3) ob die von
dem einen Theile zu ergreifenden "Maßregeln" wirklich in' einem offensiven
Vorgehen bestehen dürfen. In Betreff der beiden letzten Punkte gibt die Logik
und eine einfache Combination der Vertragsbestimmungen allerdings eine aus¬
reichende Antwort, wenn sie auch von der russenfreundlichen Partei bestritten
werden wird; aber der erste Punkt besitzt eine um so größere Dehnbarkeit, und
er ist leider der Ausgangs Punkt.

Anm. d. Red. -- Nur eins erlaube" wir uns zu bemerken: alle Ausstellungen, die
unser geehrter Korrespondent an dem Vertrage macht, zugestände", ist es doch immer besser,
daß er so wie er ist, abgeschlossen vorliegt, als wenn gar kein Vertrag zu Stande gekommen
wäre. Unbestimmt wie er ist, engagirt er doch die beiden Regierungen nach einer bestimmten
Richtung hin, und ist immer ein Schritt ans. der Bahn gegen Nußland. Auf das Unlogische
in der Einleitung kommt nicht viel an, dergleichen findet sich in der wirksamsten Verträgen,
weil jede der verschiedenen Parteien ihre specielle Auffassung angebracht sehen will. Und vor
allem: die Eventualität, Oestreich mit den Westmächten, Preußen mit Rußland gehen zu sehen,
war doch nnter allen möglichen Aussichten die schlimmste.




Wochenbericht.
Theater.

-- Die neuliche 'wohlgelungene Ausführung des Don Juan aus
dem Leipziger Theater veranlaßt uns zu einigen Bemerkungen, die wir um so we¬
niger zurückhalten, da sie uicht blos eine locale Anwendung haben. Es ist nämlich
bei uns wie auch wol bei den meiste" übrigen Theatern die fortdauernde Klage der
Directionen und der mit ihnen verbündeten Journalisten, das Publicum habe eine.n
schlechten Geschmack, und es sei ein ganz zweckloser Versuch, ihm classische Stücke
vorführen zu wollen, da es in dieselben nicht hineingehe. Es findet hier das Ver¬
hältniß statt, das auch sonst im Leben häufig wiederkehrt; man schiebt seine
eignen schlechten, Neigungen irgend einem andern in die Schuhe, der sich nicht ver¬
antworten kann. Das Publicum-- wir sprechen natürlich von denjenigen Städten, die an
der Heerstraße der Civilisation liegen -- ist an sich weder gut noch schlecht; es ist
überall launenhaft und wankelmüthig; geneigt, dem ersten besten starken Eindruck
blindlings zu folgen und einem laut und wiederholt ausgesprochenen Urtheil äußerst
zugänglich;, aber es ist ebenso bildungsfähig als bildungsbedürstig und wird, wenn
eine feste, kundige und wohlmeinende Hand es führt, nach einigem Widerstreben
nicht blos immer folgen, sondern es wird für die Leitung auch dankbar sein. Als
ein Beispiel weisen wir nur auf Weimar hin, wo durch die Energie des Dirigenten


Grenzboten. II. >8!>i. öl)

zuerst zur Anwendung kommen kann, da aus dem Zusammenhange erhellt,
daß die von Oestreich an Rußland zu richtende Aufforderung als die erste und
unmittelbarste Konsequenz des Vertrags betrachtet wurde. In diesem Falle
wird sich nun die Interpretation um die Fragen drehen: -I) welche Zusicherungen
Rußlands als „vollständig beruhigend" angesehen werden können; 2) ob beide
contrahirende Theile diese Zusicherungen für vollständig beruhigend halten
müssen, wenn die Vertragsbestimmung ausgeführt werden soll; 3) ob die von
dem einen Theile zu ergreifenden „Maßregeln" wirklich in' einem offensiven
Vorgehen bestehen dürfen. In Betreff der beiden letzten Punkte gibt die Logik
und eine einfache Combination der Vertragsbestimmungen allerdings eine aus¬
reichende Antwort, wenn sie auch von der russenfreundlichen Partei bestritten
werden wird; aber der erste Punkt besitzt eine um so größere Dehnbarkeit, und
er ist leider der Ausgangs Punkt.

Anm. d. Red. — Nur eins erlaube» wir uns zu bemerken: alle Ausstellungen, die
unser geehrter Korrespondent an dem Vertrage macht, zugestände», ist es doch immer besser,
daß er so wie er ist, abgeschlossen vorliegt, als wenn gar kein Vertrag zu Stande gekommen
wäre. Unbestimmt wie er ist, engagirt er doch die beiden Regierungen nach einer bestimmten
Richtung hin, und ist immer ein Schritt ans. der Bahn gegen Nußland. Auf das Unlogische
in der Einleitung kommt nicht viel an, dergleichen findet sich in der wirksamsten Verträgen,
weil jede der verschiedenen Parteien ihre specielle Auffassung angebracht sehen will. Und vor
allem: die Eventualität, Oestreich mit den Westmächten, Preußen mit Rußland gehen zu sehen,
war doch nnter allen möglichen Aussichten die schlimmste.




Wochenbericht.
Theater.

— Die neuliche 'wohlgelungene Ausführung des Don Juan aus
dem Leipziger Theater veranlaßt uns zu einigen Bemerkungen, die wir um so we¬
niger zurückhalten, da sie uicht blos eine locale Anwendung haben. Es ist nämlich
bei uns wie auch wol bei den meiste» übrigen Theatern die fortdauernde Klage der
Directionen und der mit ihnen verbündeten Journalisten, das Publicum habe eine.n
schlechten Geschmack, und es sei ein ganz zweckloser Versuch, ihm classische Stücke
vorführen zu wollen, da es in dieselben nicht hineingehe. Es findet hier das Ver¬
hältniß statt, das auch sonst im Leben häufig wiederkehrt; man schiebt seine
eignen schlechten, Neigungen irgend einem andern in die Schuhe, der sich nicht ver¬
antworten kann. Das Publicum— wir sprechen natürlich von denjenigen Städten, die an
der Heerstraße der Civilisation liegen — ist an sich weder gut noch schlecht; es ist
überall launenhaft und wankelmüthig; geneigt, dem ersten besten starken Eindruck
blindlings zu folgen und einem laut und wiederholt ausgesprochenen Urtheil äußerst
zugänglich;, aber es ist ebenso bildungsfähig als bildungsbedürstig und wird, wenn
eine feste, kundige und wohlmeinende Hand es führt, nach einigem Widerstreben
nicht blos immer folgen, sondern es wird für die Leitung auch dankbar sein. Als
ein Beispiel weisen wir nur auf Weimar hin, wo durch die Energie des Dirigenten


Grenzboten. II. >8!>i. öl)
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97779/400>, abgerufen am 29.06.2024.