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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band.

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ohne Zuthun ihres Bewußtseins als Reminiscenzen an früher Empfangenes
bei ihnen gebildet haben. --

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Die französischen Revolutionstribunale und das Geschwornengericht von
Adolph Buchner. Erlangen, Ente. --

Das kleine, Werk hat nicht den Zweck, wie man etwa aus dem Titel ver¬
muthen könnte, mit Anwendung der aus den Erfahrungen des Revolutions¬
tribunals gewonnenen Resultate, ein Gutachten über das Institut der Geschwor¬
nen überhaupt abzugeben, sondern es enthält wesentlich eine historische Monogra¬
phie, wenn auch mit ^etwas rechtswissenschaftlicher Tendenz. Der Verfasser
sucht nachzuweisen, welche Mißgriffe in der Auffassung des Geschworneninstituts
die französischen Revolutionsmänner verleitet haben, einen Gerichtshof einzu¬
setzen, der das sinnlose und gefügige Werkzeug einer rohen Tyrannei wurde.
Wenn auch der Hauptgrund in der Erschütterung aller sittlichen Begriffe liegt,
die von einem Revolutionszeitalter nicht zu trennen ist^ weil das Alte seinen
Glauben verloren und das Neue noch keine feste Form gewonnen hat, so waltet
dabei allerdings noch ein Mißverständniß ob, in welches Lr^ verfallen man
noch heute allzu geneigt ist. Man liebt es auf ganz unbestimmte Weise, die
Geschwornen als eine'Schutzwehr der Freiheit gegen die Uebergriffe der Ty¬
rannei und ihre sogenannte moralische Ueberzeugung als eine' höhere Form des
Rechtsbewußtseins gegenüber der Form des richterlichen Urtheils aufzufassen. Diese
Ansicht ist falsch und verleitet zu den verderblichsten Konsequenzen. Denn die
sogenannte moralische Ueberzeugung nimmt ihren Inhalt aus den wechselnden
Strömungen der öffentlichen Meinung, und wenn sie nicht an sehr strenge
Formen gebunden ist, so artet.sie leicht in bloße Willkür aus. Das Institut
der Geschwornen ist einerseits ein unentbehrliches Rechtsmittel zur Feststellung
des Beweises, seitdem die Folter abgeschafft ist; andrerseits ein Mittel, den
Inhalt des geschriebenen Rechts mit dem Bewußtsein des Volks in ununter¬
brochener lebendiger Wechselwirkung zu erhalten. So sehr man also auch
wünschen mag, grade in den sogenannten politischen Processen die Sache aus
den Händen gelehrter, dem Leben entfremdeter Richter in die Hände warmfüh¬
lender Privatleute zu spielen, so nehmen wir doch keinen Anstand, zu erklären,
daß bei der neuen Einführung von Geschwornen politische Processe die aller-
schlechteste Vorbereitung sind. Denn hier sind die Begriffe nothwendig unklar
und schwankend: und wenn das Institut der Geschwornen Boden gewinnen
soll, so muß die Vorschule sehr bestimmte, unzweifelhafte Rechtsbestimmungen
durchmachen. Wir sind gewiß von der übergroßen Härte in politischen Pro¬
cessen fest überzeugt, aber solange die Gesetze eristiren, müssen sie auch aus¬
geführt werden; denn Leichtsinn den Gesetzen gegenüber ist schlimmer, als
das mit dem einzelnen Falle verknüpfte Unheil. Um gegen jene Härte eine


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ohne Zuthun ihres Bewußtseins als Reminiscenzen an früher Empfangenes
bei ihnen gebildet haben. —

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Die französischen Revolutionstribunale und das Geschwornengericht von
Adolph Buchner. Erlangen, Ente. —

Das kleine, Werk hat nicht den Zweck, wie man etwa aus dem Titel ver¬
muthen könnte, mit Anwendung der aus den Erfahrungen des Revolutions¬
tribunals gewonnenen Resultate, ein Gutachten über das Institut der Geschwor¬
nen überhaupt abzugeben, sondern es enthält wesentlich eine historische Monogra¬
phie, wenn auch mit ^etwas rechtswissenschaftlicher Tendenz. Der Verfasser
sucht nachzuweisen, welche Mißgriffe in der Auffassung des Geschworneninstituts
die französischen Revolutionsmänner verleitet haben, einen Gerichtshof einzu¬
setzen, der das sinnlose und gefügige Werkzeug einer rohen Tyrannei wurde.
Wenn auch der Hauptgrund in der Erschütterung aller sittlichen Begriffe liegt,
die von einem Revolutionszeitalter nicht zu trennen ist^ weil das Alte seinen
Glauben verloren und das Neue noch keine feste Form gewonnen hat, so waltet
dabei allerdings noch ein Mißverständniß ob, in welches Lr^ verfallen man
noch heute allzu geneigt ist. Man liebt es auf ganz unbestimmte Weise, die
Geschwornen als eine'Schutzwehr der Freiheit gegen die Uebergriffe der Ty¬
rannei und ihre sogenannte moralische Ueberzeugung als eine' höhere Form des
Rechtsbewußtseins gegenüber der Form des richterlichen Urtheils aufzufassen. Diese
Ansicht ist falsch und verleitet zu den verderblichsten Konsequenzen. Denn die
sogenannte moralische Ueberzeugung nimmt ihren Inhalt aus den wechselnden
Strömungen der öffentlichen Meinung, und wenn sie nicht an sehr strenge
Formen gebunden ist, so artet.sie leicht in bloße Willkür aus. Das Institut
der Geschwornen ist einerseits ein unentbehrliches Rechtsmittel zur Feststellung
des Beweises, seitdem die Folter abgeschafft ist; andrerseits ein Mittel, den
Inhalt des geschriebenen Rechts mit dem Bewußtsein des Volks in ununter¬
brochener lebendiger Wechselwirkung zu erhalten. So sehr man also auch
wünschen mag, grade in den sogenannten politischen Processen die Sache aus
den Händen gelehrter, dem Leben entfremdeter Richter in die Hände warmfüh¬
lender Privatleute zu spielen, so nehmen wir doch keinen Anstand, zu erklären,
daß bei der neuen Einführung von Geschwornen politische Processe die aller-
schlechteste Vorbereitung sind. Denn hier sind die Begriffe nothwendig unklar
und schwankend: und wenn das Institut der Geschwornen Boden gewinnen
soll, so muß die Vorschule sehr bestimmte, unzweifelhafte Rechtsbestimmungen
durchmachen. Wir sind gewiß von der übergroßen Härte in politischen Pro¬
cessen fest überzeugt, aber solange die Gesetze eristiren, müssen sie auch aus¬
geführt werden; denn Leichtsinn den Gesetzen gegenüber ist schlimmer, als
das mit dem einzelnen Falle verknüpfte Unheil. Um gegen jene Härte eine


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[0393] ohne Zuthun ihres Bewußtseins als Reminiscenzen an früher Empfangenes bei ihnen gebildet haben. — ok''' u>)s>ej4K;'HHchAt5-''^!ni i^^^!-'' l >^ ' Die französischen Revolutionstribunale und das Geschwornengericht von Adolph Buchner. Erlangen, Ente. — Das kleine, Werk hat nicht den Zweck, wie man etwa aus dem Titel ver¬ muthen könnte, mit Anwendung der aus den Erfahrungen des Revolutions¬ tribunals gewonnenen Resultate, ein Gutachten über das Institut der Geschwor¬ nen überhaupt abzugeben, sondern es enthält wesentlich eine historische Monogra¬ phie, wenn auch mit ^etwas rechtswissenschaftlicher Tendenz. Der Verfasser sucht nachzuweisen, welche Mißgriffe in der Auffassung des Geschworneninstituts die französischen Revolutionsmänner verleitet haben, einen Gerichtshof einzu¬ setzen, der das sinnlose und gefügige Werkzeug einer rohen Tyrannei wurde. Wenn auch der Hauptgrund in der Erschütterung aller sittlichen Begriffe liegt, die von einem Revolutionszeitalter nicht zu trennen ist^ weil das Alte seinen Glauben verloren und das Neue noch keine feste Form gewonnen hat, so waltet dabei allerdings noch ein Mißverständniß ob, in welches Lr^ verfallen man noch heute allzu geneigt ist. Man liebt es auf ganz unbestimmte Weise, die Geschwornen als eine'Schutzwehr der Freiheit gegen die Uebergriffe der Ty¬ rannei und ihre sogenannte moralische Ueberzeugung als eine' höhere Form des Rechtsbewußtseins gegenüber der Form des richterlichen Urtheils aufzufassen. Diese Ansicht ist falsch und verleitet zu den verderblichsten Konsequenzen. Denn die sogenannte moralische Ueberzeugung nimmt ihren Inhalt aus den wechselnden Strömungen der öffentlichen Meinung, und wenn sie nicht an sehr strenge Formen gebunden ist, so artet.sie leicht in bloße Willkür aus. Das Institut der Geschwornen ist einerseits ein unentbehrliches Rechtsmittel zur Feststellung des Beweises, seitdem die Folter abgeschafft ist; andrerseits ein Mittel, den Inhalt des geschriebenen Rechts mit dem Bewußtsein des Volks in ununter¬ brochener lebendiger Wechselwirkung zu erhalten. So sehr man also auch wünschen mag, grade in den sogenannten politischen Processen die Sache aus den Händen gelehrter, dem Leben entfremdeter Richter in die Hände warmfüh¬ lender Privatleute zu spielen, so nehmen wir doch keinen Anstand, zu erklären, daß bei der neuen Einführung von Geschwornen politische Processe die aller- schlechteste Vorbereitung sind. Denn hier sind die Begriffe nothwendig unklar und schwankend: und wenn das Institut der Geschwornen Boden gewinnen soll, so muß die Vorschule sehr bestimmte, unzweifelhafte Rechtsbestimmungen durchmachen. Wir sind gewiß von der übergroßen Härte in politischen Pro¬ cessen fest überzeugt, aber solange die Gesetze eristiren, müssen sie auch aus¬ geführt werden; denn Leichtsinn den Gesetzen gegenüber ist schlimmer, als das mit dem einzelnen Falle verknüpfte Unheil. Um gegen jene Härte eine Grenzboten. II. ->8Li-. ' 49

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97779/392>, abgerufen am 22.12.2024.