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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band.

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schwachen Fundamente aufführt. Das souveräne Volk hat sich zuerst den
Socialisten angeschlossen, um sich dann mit Jubel das strenge Joch des Kai¬
sers auslegen zu 'lassen. Es würde auch den Bourbons zugejauchzt haben,
wenn sie mit einem Gefolge von Kapuzinern und Jesuiten in Frankreich ein¬
gezogen wären; denn das Jauchzen ist an sich eine angenehme Beschäftigung,
wenn eine ungeordnete Menge sich erwartungsvoll zusammendrängt, und je¬
des neue Schauspiel kitzelt die Neugierde und gibt der Phantasie einen an¬
genehmen Schwung/-- Und doch finden sich noch immer Träumer, die auf diese
gedankenlose Abstraction ihre Hoffnung gründen. Zu diesen Träumern gehört,
auch noch Herr Michelet. Er hat gegenwärtig aus seiner Revolutionsgeschichte
eine Art von Auszug gemacht, in dem er die sämmtlichen darin vorkommenden
weiblichen Portraits zusammenstellt, sie weiter ausführt und unter einem ge¬
meinsamen Gesichtspunkt betrachtet. "Im Jahre 1848" -- sagt er im Nach¬
wort, "deutete ich auf die Initiative hin, welche unter den neuen Umständen
das Weib zu ergreifen berechtigt war. Ein neuer Staat konnte nicht gegrün¬
det werden ohne die sittliche Reform der Familie, und. die erschütterte Familie
konnte sich nur um den Herd des.neuen von der Revolution gegründeten Altars
zusammenfinden. Niemand ist am Staat mehr betheiligt, als die Frauen, weil
niemand.das Gewicht des öffentlichen Unglücks mehr empfindet. Die Maurer
geben ihr Leben und ihren Schweiß, die Weiber geben ihre Kinder, sie legen
den gewichtigsten Einsatz in das Hazardspiel des Staats, sie haben also vor
allem das Recht und die Pflicht, sich in die Geschicke des Vaterlandes ein¬
weihen zu lassen." -- "Vergleicht einmal," fährt er dann fort, "das. Leben
eurer Mütter mit dem eurigen, ihr volles und starkes Leben, fruchtbar an
Werken und edlen Leidenschaften und betrachtet dann, wenn ihr es könnt, die
Nichtigkeit, die Langeweile und die Erschlaffung, in der eure Tage dahinfließen.
Der Grund dieses Unterschiedes liegt darin, daß jene die Starken und, die
Lebendigen liebten, während ihr die Todten'liebt. Lebendige nenne ich die¬
jenigen, deren Thaten und Werke die Welt verjüngen, welche die Bewegung
hervorrufen, sie durch.ihre Thätigkeit beleben und auf ihr segeln, die mit gewal¬
tigem Athemzug das Segel des Jahrhunderts antreiben, auf dem das Wort
"Vorwärts" geschrieben ist. Und Todte, nenne ich die unfruchtbaren Menschen,
die euch mit 20 Jahren durch ihre Frivolität belustigen, die euch mit 40 Jah¬
ren in die Pfade einer frommen Intrigue einführen, die euch mit Kleinlich¬
keiten nähren, mit Aufregung ohne Zweck, mit öder Langeweile." -- "Töchter
des langen Friedens, der sich seit 1815 hinschleppt, lernt wohl eure Lage
kennen; seht ihr dort hinten die schwarzen Wolken, die bereits zu bersten be¬
ginnen? Und unter euern Füßen vernehmt ihv wol das Krachen des Bodens,
das Grollen unterirdischer Vulcane, die Klagestimmen der Natur? Ach, dieser,
dumpfe Friede, der euch mit schmachtenden Träumen erfüllte, drückte wie ein


schwachen Fundamente aufführt. Das souveräne Volk hat sich zuerst den
Socialisten angeschlossen, um sich dann mit Jubel das strenge Joch des Kai¬
sers auslegen zu 'lassen. Es würde auch den Bourbons zugejauchzt haben,
wenn sie mit einem Gefolge von Kapuzinern und Jesuiten in Frankreich ein¬
gezogen wären; denn das Jauchzen ist an sich eine angenehme Beschäftigung,
wenn eine ungeordnete Menge sich erwartungsvoll zusammendrängt, und je¬
des neue Schauspiel kitzelt die Neugierde und gibt der Phantasie einen an¬
genehmen Schwung/— Und doch finden sich noch immer Träumer, die auf diese
gedankenlose Abstraction ihre Hoffnung gründen. Zu diesen Träumern gehört,
auch noch Herr Michelet. Er hat gegenwärtig aus seiner Revolutionsgeschichte
eine Art von Auszug gemacht, in dem er die sämmtlichen darin vorkommenden
weiblichen Portraits zusammenstellt, sie weiter ausführt und unter einem ge¬
meinsamen Gesichtspunkt betrachtet. „Im Jahre 1848" — sagt er im Nach¬
wort, „deutete ich auf die Initiative hin, welche unter den neuen Umständen
das Weib zu ergreifen berechtigt war. Ein neuer Staat konnte nicht gegrün¬
det werden ohne die sittliche Reform der Familie, und. die erschütterte Familie
konnte sich nur um den Herd des.neuen von der Revolution gegründeten Altars
zusammenfinden. Niemand ist am Staat mehr betheiligt, als die Frauen, weil
niemand.das Gewicht des öffentlichen Unglücks mehr empfindet. Die Maurer
geben ihr Leben und ihren Schweiß, die Weiber geben ihre Kinder, sie legen
den gewichtigsten Einsatz in das Hazardspiel des Staats, sie haben also vor
allem das Recht und die Pflicht, sich in die Geschicke des Vaterlandes ein¬
weihen zu lassen." — „Vergleicht einmal," fährt er dann fort, „das. Leben
eurer Mütter mit dem eurigen, ihr volles und starkes Leben, fruchtbar an
Werken und edlen Leidenschaften und betrachtet dann, wenn ihr es könnt, die
Nichtigkeit, die Langeweile und die Erschlaffung, in der eure Tage dahinfließen.
Der Grund dieses Unterschiedes liegt darin, daß jene die Starken und, die
Lebendigen liebten, während ihr die Todten'liebt. Lebendige nenne ich die¬
jenigen, deren Thaten und Werke die Welt verjüngen, welche die Bewegung
hervorrufen, sie durch.ihre Thätigkeit beleben und auf ihr segeln, die mit gewal¬
tigem Athemzug das Segel des Jahrhunderts antreiben, auf dem das Wort
„Vorwärts" geschrieben ist. Und Todte, nenne ich die unfruchtbaren Menschen,
die euch mit 20 Jahren durch ihre Frivolität belustigen, die euch mit 40 Jah¬
ren in die Pfade einer frommen Intrigue einführen, die euch mit Kleinlich¬
keiten nähren, mit Aufregung ohne Zweck, mit öder Langeweile." — „Töchter
des langen Friedens, der sich seit 1815 hinschleppt, lernt wohl eure Lage
kennen; seht ihr dort hinten die schwarzen Wolken, die bereits zu bersten be¬
ginnen? Und unter euern Füßen vernehmt ihv wol das Krachen des Bodens,
das Grollen unterirdischer Vulcane, die Klagestimmen der Natur? Ach, dieser,
dumpfe Friede, der euch mit schmachtenden Träumen erfüllte, drückte wie ein


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97779/387>, abgerufen am 23.07.2024.