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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band.

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Moment Geltung zu verschaffen gewußt. Eine Reihe von Jahren hindurch
hat Herr Bunsen zur Zufriedenheit seines Souveräns den preußischen Staat
in dem stammverwandten, politisch.und kirchlich befreundeten Lande vertreten,
welches für alle Gebildeten unsres Volkes das nächste Vorbild der Entwicklung
ist. Es scheint jetzt mit Preußen soweit gekommen zu sein, daß man diese
Momente ausscheiden zu müssen glaubt, um auf der einmal eingeschlagenen
Bahn ungestört weitergehen zu können. Möchten die Urheber dieser- unheil¬
vollen Richtung einmal ernsthaft in sich gehen und überlegen, was für ein
Spiel sie treiben. Immer mehr engt sich der Kreis derjenigen ein, die noch
mit ihrem Gemüthe' an dem Staatsleben theilnehmen. An willfährigen Die¬
nern hat es freilich keine Noth, aber was für ein Gewicht diese in die Wag¬
schale werfen, wenn einmal ein Augenblick der Krisis eintritt, darüber hat
der preußische Staat in diesem Jahrhundert schon zweimal die bittersten Erfah¬
rungen gemacht. --


llistoii'iz als Il>-rüpubliciue et'XnF> e töI'I'V o l et o Oam w el I, (1649 --1638).
I'ar 1?. Kul/ot. ?vino II. IZruxellLs 8c I^ip/ix, Kiesslinx Le Komp. --

Bei der Besprechung des ersten Bandes haben wir bereits bemerkt, daß
Guizot zur erschöpfenden Darstellung eines'gewaltigen, aber gemischten Cha¬
rakters wie Cromwell ein wesentliches Moment abging, jene innerliche Poesie,
die den Leidenschaften und stürmischen Erregungen der Menschen bis auf ihre
Quellen nachgeht. Guizot ist ein zu entschiedener Verstandesmensch, als daß
er den Wellenschlag des Gemüths bei einer Natur, die mächtiger ist als die
seinige, vollständig nachempfinden könnte. Es kommt noch ein zweiter Umstand
dazu: fein Interesse an den bürgerlichen und politischen Einrichtungen Eng¬
lands ist ein reflectirtes; er hat sich das Verständniß derselben erst durch ein
Lehrgebäude vermittelt, das bei der Aufnahme der Thatsachen nothwendig leüt
einer gewissen Auswahl verfahren muß. Sie sind ihm nicht lebendig in der
Fülle ihres geschichtlichen Werdens aufgegangen. Allein das Buch ist doch
außerordentlich lehrreich. Alles was eine gewissenhaft-unparteiische Forschung,
die sich bemüht, auch dem Fremdartigen gerecht zu werden, aus den vorhan¬
denen Documenten machen kann, ist hier geschehen. Musterhaft iM nament¬
lich die auswärtigen Angelegenheiten der Republik dargestellt, und da durch
die alten royalistischen Sympathien im Festlande noch immer die Ansicht ver¬
breitet ist, jenes Zwischenreich sei trotz einzelner großer Züge ein Reich des
Unrechts und der Thorheit gewesen, so wird die bedächtige und von Maximen
geleitete Kritik eines ruhigen und einsichtsvollen Schriftstellers viel dazu bei¬
tragen, diese Vorurtheile zu zerstreuen. Das Reich Cromwells war ein Licht¬
punkt in der dunkelsten und schmachvollsten Periode Englands; und wenn
auch jene gewaltsame Erhebung, welche bei der Ueberwindung des Widerstandes


Grenzboten, II. >86i. 48 .

Moment Geltung zu verschaffen gewußt. Eine Reihe von Jahren hindurch
hat Herr Bunsen zur Zufriedenheit seines Souveräns den preußischen Staat
in dem stammverwandten, politisch.und kirchlich befreundeten Lande vertreten,
welches für alle Gebildeten unsres Volkes das nächste Vorbild der Entwicklung
ist. Es scheint jetzt mit Preußen soweit gekommen zu sein, daß man diese
Momente ausscheiden zu müssen glaubt, um auf der einmal eingeschlagenen
Bahn ungestört weitergehen zu können. Möchten die Urheber dieser- unheil¬
vollen Richtung einmal ernsthaft in sich gehen und überlegen, was für ein
Spiel sie treiben. Immer mehr engt sich der Kreis derjenigen ein, die noch
mit ihrem Gemüthe' an dem Staatsleben theilnehmen. An willfährigen Die¬
nern hat es freilich keine Noth, aber was für ein Gewicht diese in die Wag¬
schale werfen, wenn einmal ein Augenblick der Krisis eintritt, darüber hat
der preußische Staat in diesem Jahrhundert schon zweimal die bittersten Erfah¬
rungen gemacht. —


llistoii'iz als Il>-rüpubliciue et'XnF> e töI'I'V o l et o Oam w el I, (1649 —1638).
I'ar 1?. Kul/ot. ?vino II. IZruxellLs 8c I^ip/ix, Kiesslinx Le Komp. —

Bei der Besprechung des ersten Bandes haben wir bereits bemerkt, daß
Guizot zur erschöpfenden Darstellung eines'gewaltigen, aber gemischten Cha¬
rakters wie Cromwell ein wesentliches Moment abging, jene innerliche Poesie,
die den Leidenschaften und stürmischen Erregungen der Menschen bis auf ihre
Quellen nachgeht. Guizot ist ein zu entschiedener Verstandesmensch, als daß
er den Wellenschlag des Gemüths bei einer Natur, die mächtiger ist als die
seinige, vollständig nachempfinden könnte. Es kommt noch ein zweiter Umstand
dazu: fein Interesse an den bürgerlichen und politischen Einrichtungen Eng¬
lands ist ein reflectirtes; er hat sich das Verständniß derselben erst durch ein
Lehrgebäude vermittelt, das bei der Aufnahme der Thatsachen nothwendig leüt
einer gewissen Auswahl verfahren muß. Sie sind ihm nicht lebendig in der
Fülle ihres geschichtlichen Werdens aufgegangen. Allein das Buch ist doch
außerordentlich lehrreich. Alles was eine gewissenhaft-unparteiische Forschung,
die sich bemüht, auch dem Fremdartigen gerecht zu werden, aus den vorhan¬
denen Documenten machen kann, ist hier geschehen. Musterhaft iM nament¬
lich die auswärtigen Angelegenheiten der Republik dargestellt, und da durch
die alten royalistischen Sympathien im Festlande noch immer die Ansicht ver¬
breitet ist, jenes Zwischenreich sei trotz einzelner großer Züge ein Reich des
Unrechts und der Thorheit gewesen, so wird die bedächtige und von Maximen
geleitete Kritik eines ruhigen und einsichtsvollen Schriftstellers viel dazu bei¬
tragen, diese Vorurtheile zu zerstreuen. Das Reich Cromwells war ein Licht¬
punkt in der dunkelsten und schmachvollsten Periode Englands; und wenn
auch jene gewaltsame Erhebung, welche bei der Ueberwindung des Widerstandes


Grenzboten, II. >86i. 48 .
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97779/384>, abgerufen am 22.12.2024.