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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band.

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geben. Er führt zu dem Zweck zuerst jedes der vier aufgestellten Bilder er¬
klärend vor Augen, läßt dann die anderthalbtausendjährige Geschichte sich darin
spiegeln, welche uns von jener Urzeit trennt, und beleuchtet hierauf unsre eigne
Gegenwart mit dem ausgesprochenen Zwecke, aus jenem Bilde eine praktische
Anwendung für die Verbesserung unserer Zustände- zu gewinnen. Die Grund¬
lage dieses Abschnittes sind zwei urkundliche Texte: das Kirchen- und Haushund
der alten Christen und das Gesetzbuch der vornicänischen Kirche, wie beide
aus den Forschungen des ersten Bandes hervorgegangen sind. "Beide, sagt
Herr Bunsen in der Vorrede, sind nur einzelne Blätter, gerettet aus der Flut
der Zeit, Vermächtnisse von sieben Geschlechtern, welche die weltgeschichtlichen
Jahrbücher ihres stillen Lebens mit ihrem Blut geschrieben. Die Form, in
welcher sie zusammengestellt und uns überliefert worden, ist die einer Dichtung,
die später zum Betrüge wurde. Aber auch aus dieser Einkleidung und Ver¬
kleidung tritt das altehrwürdige Bild jener Urzeit uns verständlich vor die
Augen. Der wesentliche Inhalt ist eine kindliche Nachschrift zum Bibelbuch
und zugleich eine selbstständige Pro'be und Erfüllung der Bibel......Der
Inhalt der durch Christus gegebenen Offenbarung hat .seinen geschichtlichen
Grund nur in dem, was die Bibel enthält: der thatsächliche, weltgeschichtliche
Beweis der Wahrheit der biblischen Offenbarung liegt nur in der Kirche. Die
Kirche aber ist eben vor allem jene Gemeinde, deren stilles und erhabenes
Wirken in den ersten sieben Geschlechtern dieses Büchlein beurkundet".

"Es ist schwer zu sagen, fährt später Herr Bunsen fort, ob die Ordnungen
der altchristlichen Zeit, welche auf die Apostel zurückgeführt wurden, wichtiger
, sind durch das, was sie festsetzten, oder durch das, was sie ohne Verfügung
lassen. Die Ordnungen selbst sind von großer Bedeutung, nicht nur für die¬
jenigen Kirchen, welche ihre Lehre und Verfassung von der apostolischen Kirche
herleiten, sondern auch für die, welche ihre eignen Einrichtungen unmittelbar
aus den heiligen Urkunden mit christlicher Freiheit zu entwickeln den Beruf
fühlen. Jene Ordnungen zeigen den ersten, daß ihre eignen Formen nicht mit
dem Bewußtsein jener Zeit im Einklange stehen; sie beweisen den zweiten, daß
sie ihre Bekenntnisse nicht auf den Buchstaben der Bibel allein begründen können,
sondern auf uralte Sitte, die sie überkommen. Denn vieles, was sie diese drei
Jahrhunderte als biblisch vertheidigt haben, ist weder biblisch noch apostolisch,
die christliche Freiheit abgerechnet, von welcher sie dabei Gebrauch gemacht". --

Herr Bunsen wird im Laufe seiner Untersuchung zu der Erkenntniß ge¬
trieben , daß keine christliche Gesellschaft jenem Bilde apostolischer Wirklichkeit
entspricht; allein er sucht die Abweichung nur in Mißverständnissen und Ent¬
stellungen. "Es sind krankhafte Wahnbildungen zwischen uns und jene Väter
getreten und diese dunklen Flecke werden Brandflecke, wenn sie als Licht und
.lebenskräftig angesehen und geltend gemacht werden sollen, also wartet eine


geben. Er führt zu dem Zweck zuerst jedes der vier aufgestellten Bilder er¬
klärend vor Augen, läßt dann die anderthalbtausendjährige Geschichte sich darin
spiegeln, welche uns von jener Urzeit trennt, und beleuchtet hierauf unsre eigne
Gegenwart mit dem ausgesprochenen Zwecke, aus jenem Bilde eine praktische
Anwendung für die Verbesserung unserer Zustände- zu gewinnen. Die Grund¬
lage dieses Abschnittes sind zwei urkundliche Texte: das Kirchen- und Haushund
der alten Christen und das Gesetzbuch der vornicänischen Kirche, wie beide
aus den Forschungen des ersten Bandes hervorgegangen sind. „Beide, sagt
Herr Bunsen in der Vorrede, sind nur einzelne Blätter, gerettet aus der Flut
der Zeit, Vermächtnisse von sieben Geschlechtern, welche die weltgeschichtlichen
Jahrbücher ihres stillen Lebens mit ihrem Blut geschrieben. Die Form, in
welcher sie zusammengestellt und uns überliefert worden, ist die einer Dichtung,
die später zum Betrüge wurde. Aber auch aus dieser Einkleidung und Ver¬
kleidung tritt das altehrwürdige Bild jener Urzeit uns verständlich vor die
Augen. Der wesentliche Inhalt ist eine kindliche Nachschrift zum Bibelbuch
und zugleich eine selbstständige Pro'be und Erfüllung der Bibel......Der
Inhalt der durch Christus gegebenen Offenbarung hat .seinen geschichtlichen
Grund nur in dem, was die Bibel enthält: der thatsächliche, weltgeschichtliche
Beweis der Wahrheit der biblischen Offenbarung liegt nur in der Kirche. Die
Kirche aber ist eben vor allem jene Gemeinde, deren stilles und erhabenes
Wirken in den ersten sieben Geschlechtern dieses Büchlein beurkundet".

„Es ist schwer zu sagen, fährt später Herr Bunsen fort, ob die Ordnungen
der altchristlichen Zeit, welche auf die Apostel zurückgeführt wurden, wichtiger
, sind durch das, was sie festsetzten, oder durch das, was sie ohne Verfügung
lassen. Die Ordnungen selbst sind von großer Bedeutung, nicht nur für die¬
jenigen Kirchen, welche ihre Lehre und Verfassung von der apostolischen Kirche
herleiten, sondern auch für die, welche ihre eignen Einrichtungen unmittelbar
aus den heiligen Urkunden mit christlicher Freiheit zu entwickeln den Beruf
fühlen. Jene Ordnungen zeigen den ersten, daß ihre eignen Formen nicht mit
dem Bewußtsein jener Zeit im Einklange stehen; sie beweisen den zweiten, daß
sie ihre Bekenntnisse nicht auf den Buchstaben der Bibel allein begründen können,
sondern auf uralte Sitte, die sie überkommen. Denn vieles, was sie diese drei
Jahrhunderte als biblisch vertheidigt haben, ist weder biblisch noch apostolisch,
die christliche Freiheit abgerechnet, von welcher sie dabei Gebrauch gemacht". —

Herr Bunsen wird im Laufe seiner Untersuchung zu der Erkenntniß ge¬
trieben , daß keine christliche Gesellschaft jenem Bilde apostolischer Wirklichkeit
entspricht; allein er sucht die Abweichung nur in Mißverständnissen und Ent¬
stellungen. „Es sind krankhafte Wahnbildungen zwischen uns und jene Väter
getreten und diese dunklen Flecke werden Brandflecke, wenn sie als Licht und
.lebenskräftig angesehen und geltend gemacht werden sollen, also wartet eine


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97779/382>, abgerufen am 23.07.2024.