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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band.

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annahm, daß es von den Soldaten ein den Meistbietenden versteigert wurde.
In Staaten dagegen, die ans einem sittlichen Ganzen hervorgegangen sind, hat
dieser Grundsatz nie bestanden, wie unumschränkt auch dem Anschein nach die
Negierung war. Es fand überall der zufälligen Persönlichkeit des. Regierenden
gegenüber eine Einschränkung durch die Sitte und die Tradition statt. Selbst
der unumschränkteste von allen modernen Staaten, der russische, hatte einen
bleibenden Inhalt, der über den Wechsel der Persönlichkeiten hinausging. Wo
es einmal ein Herrscher versuchte, dem Wesen und Charakter des Reichs ent¬
gegenzuhandeln, wurde er beseitigt. Die rohe und schreckliche Form, in der
das in früheren Zeiten geschah, hat sich gemäßigt, und im Jahre -I82S gab das
russische Kaiserhaus der Welt das erhabene Beispiel, daß die Persönlichkeit sich
dem Interesse des Ganzen freiwillig zu opfern wisse. Kaiser Alexander hatte
in seiner Weisheit erkannt, daß in der Person des nächsten Thronfolgers dem
Reich nicht die nöthige Garantie geboten war, in der alten Weise fortzube¬
stehen.; und diese Einsicht war auf den Geist des zunächst Betheiligten mächtig
genug, daß er zum Wohl seines Hauses freiwillig den persönlichen Ehrgeiz
beseitigte, der doch in seiner Lage so natürlich war.

Am wenigsten hat das Haus Oestreich, solange es in der Geschichte be¬
steht, diesem persönlichen Absolutismus gehuldigt. Seine Größe ist vorzugs¬
weise dadurch begründet, daß jeder einzelne seine Interessen und selbst seine
Ansichten den Staats- und Familientraditionen unterordnete. Daß der jedes¬
malige Herrscher den Staat nicht, als ein persönliches Eigenthum ansah, mit
dem man nach Willkür schalten und walten könne, sondern als ein Fideicommiß,
das im Geist und zum Nutzen des Hauses geleitet werden müsse. Die einzige
augenfällige Ausnahme von dieser Politik war Joseph II., und wenn er.auch
von den edelsten Absichten ausging, so überzeugte ihn doch bald die Erfahrung,
daß man nicht ungestraft von der geraden, geordneten Bahn der Politik abweiche.

Ein großes Beispiel von dieser Unterordnung der einzelnen Glieder des
Kaiserhauses Meer die Interessen der Gesammtheit war die Thronbesteigung
des gegenwärtigen Kaisers. Man versinnliche' sich die damalige Lage des
Reiches. Ein wilder Aufruhr verwüstete alle Theile des Landes. Die Ver- -
Hältnisse waren im Laufe eines Jahres in eine so wüste Unordnung gerathen,
daß keiner mehr wußte, wo die Obrigkeit, wo das Gesetz zu suchen sei. Unter
diesen Umständen vereinigten sich, ohne eigentlich amtlichen Beruf, einige treue
Diener der Monarchie, um die scheinbar verfallene wieder herzustellen. Einer
der ersten Schritte, die sie für nöthig hielten, war d>er Wechsel ^es Herrschers.
Kaiser Ferdinand war ein/wohlgesinnter Fürst und hätte in ruhigen. Zeiten
seine Stelle wohl ausgefüllt,, aber dem Sturm der Revolution war er nicht
gewachsen. Die Zeit erforderte einen geraden, festen Willen, der nicht nach
rechts und nicht nach links abwich und der noch nicht durch frühere Ardeae-
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annahm, daß es von den Soldaten ein den Meistbietenden versteigert wurde.
In Staaten dagegen, die ans einem sittlichen Ganzen hervorgegangen sind, hat
dieser Grundsatz nie bestanden, wie unumschränkt auch dem Anschein nach die
Negierung war. Es fand überall der zufälligen Persönlichkeit des. Regierenden
gegenüber eine Einschränkung durch die Sitte und die Tradition statt. Selbst
der unumschränkteste von allen modernen Staaten, der russische, hatte einen
bleibenden Inhalt, der über den Wechsel der Persönlichkeiten hinausging. Wo
es einmal ein Herrscher versuchte, dem Wesen und Charakter des Reichs ent¬
gegenzuhandeln, wurde er beseitigt. Die rohe und schreckliche Form, in der
das in früheren Zeiten geschah, hat sich gemäßigt, und im Jahre -I82S gab das
russische Kaiserhaus der Welt das erhabene Beispiel, daß die Persönlichkeit sich
dem Interesse des Ganzen freiwillig zu opfern wisse. Kaiser Alexander hatte
in seiner Weisheit erkannt, daß in der Person des nächsten Thronfolgers dem
Reich nicht die nöthige Garantie geboten war, in der alten Weise fortzube¬
stehen.; und diese Einsicht war auf den Geist des zunächst Betheiligten mächtig
genug, daß er zum Wohl seines Hauses freiwillig den persönlichen Ehrgeiz
beseitigte, der doch in seiner Lage so natürlich war.

Am wenigsten hat das Haus Oestreich, solange es in der Geschichte be¬
steht, diesem persönlichen Absolutismus gehuldigt. Seine Größe ist vorzugs¬
weise dadurch begründet, daß jeder einzelne seine Interessen und selbst seine
Ansichten den Staats- und Familientraditionen unterordnete. Daß der jedes¬
malige Herrscher den Staat nicht, als ein persönliches Eigenthum ansah, mit
dem man nach Willkür schalten und walten könne, sondern als ein Fideicommiß,
das im Geist und zum Nutzen des Hauses geleitet werden müsse. Die einzige
augenfällige Ausnahme von dieser Politik war Joseph II., und wenn er.auch
von den edelsten Absichten ausging, so überzeugte ihn doch bald die Erfahrung,
daß man nicht ungestraft von der geraden, geordneten Bahn der Politik abweiche.

Ein großes Beispiel von dieser Unterordnung der einzelnen Glieder des
Kaiserhauses Meer die Interessen der Gesammtheit war die Thronbesteigung
des gegenwärtigen Kaisers. Man versinnliche' sich die damalige Lage des
Reiches. Ein wilder Aufruhr verwüstete alle Theile des Landes. Die Ver- -
Hältnisse waren im Laufe eines Jahres in eine so wüste Unordnung gerathen,
daß keiner mehr wußte, wo die Obrigkeit, wo das Gesetz zu suchen sei. Unter
diesen Umständen vereinigten sich, ohne eigentlich amtlichen Beruf, einige treue
Diener der Monarchie, um die scheinbar verfallene wieder herzustellen. Einer
der ersten Schritte, die sie für nöthig hielten, war d>er Wechsel ^es Herrschers.
Kaiser Ferdinand war ein/wohlgesinnter Fürst und hätte in ruhigen. Zeiten
seine Stelle wohl ausgefüllt,, aber dem Sturm der Revolution war er nicht
gewachsen. Die Zeit erforderte einen geraden, festen Willen, der nicht nach
rechts und nicht nach links abwich und der noch nicht durch frühere Ardeae-
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97779/370>, abgerufen am 01.07.2024.