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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band.

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Neigung und Abneigung gegen Künstler und Kunstwerke, welche auf ihn ein¬
gewirkt haben, hier in einer Ausführlichkeit und Mannigfaltigkeit deutlich aus¬
gesprochen, wie es bei schaffenden Künstlern selten der Fall ist; nicht minder
anziehend ist es zu verfolgen, wie dieselbe künstlerische Organisation auf verschie¬
denen Gebieten mit verschiedenen Mitteln sich auszusprechen bestrebt ist, und
es liegt in der Natur der Sache, daß bei dem Schriftsteller vieles faßlicher,
greifbarer erscheint als bei dem Componisten.

Außer dem Interesse, welches diese Schriften für die Würdigung des
Verfassers gewähren, bieten sie noch ein anderes dar, indem sie einen Ueber¬
blick der wichtigen Erscheinungen in der musikalischen Entwicklung der Jahre
183i. bis 1843 geben. Zwar erschöpfend ist diese Uebersicht nicht, da sie we-
der die Gesammtheit der musikalischen Leistungen umfaßt, noch die verschiedenen
Gesichtspunkte verfolgt, um ein erschöpfendes Urtheil zu ermitteln. Allein in
den wesentlichsten Beziehungen ist die Auswahl der besprochenen Gegenstände
doch mit so viel Takt und Einsicht getroffen, daß das Totalbild, wenn auch
nicht vollständig, doch richtig ist. So mag die ausführliche und detaillirte Ver¬
folgung der Leistungen für das Clavier zum Theil in einer Vorliebe Schu¬
manns begründet sein und, zumal jetzt wo der größte Theil dieser Kompositionen
vergessen und begraben ist, unverhältnißmäßig erscheinen, allein wir erhalten
doch dadurch auch die richtige Vorstellung, wie sehr diese Richtung derzeit
überwog. Ebenso ist die genauere. Besprechung der musikalischen Zustände .
Leipzigs vollkommen dadurch gerechtfertigt, daß diese wirklich den besten Typus
für die musikalische Bildung Deutschlands abgeben konnten. Sodann aber ist
der Mann, dessen Stimme wir hier vernehmen, als Componist so entschieden
einer der bedeutendsten Factoren für die Leistungen und Ansichten der Gegen¬
wart, er ragt durch Gesinnung und Bildung so weit hervor, daß durch ihn jene
Periode kennen zu lernen das Interesse nur erhöhen kann.




Wochenbericht.
Berlin,

Die Entlassung Bonins und die plötzliche Abreise des
Prinzen von Preußen bilden natürlich noch immer das Tagesgespräch. Der ge¬
waltige Eindruck, den beide Ereignisse im ersten Augenblick hervorriefen, wird jetzt
zu nachhaltiger Wirkung verarbeitet. Ueberall steckt man die Köpfe zusammen,
fragt nach den nähern Umständen, hört mit Begier die verschiedenen Versionen, und
ohne Mitwirkung der hiesigen Presse haben sich die genauesten Details wie ein
Lauffeuer verbreitet. Wie der Graf Dohna zu Herrn v. Bonin und wie dieser zu
Herrn v. Manteuffel gesprochen, und wie Herr v. Bonin jenem geantwortet und
wie Herr v. Manteuffel geschwiegen hat: das alles ist stadtkundig und wird von


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Neigung und Abneigung gegen Künstler und Kunstwerke, welche auf ihn ein¬
gewirkt haben, hier in einer Ausführlichkeit und Mannigfaltigkeit deutlich aus¬
gesprochen, wie es bei schaffenden Künstlern selten der Fall ist; nicht minder
anziehend ist es zu verfolgen, wie dieselbe künstlerische Organisation auf verschie¬
denen Gebieten mit verschiedenen Mitteln sich auszusprechen bestrebt ist, und
es liegt in der Natur der Sache, daß bei dem Schriftsteller vieles faßlicher,
greifbarer erscheint als bei dem Componisten.

Außer dem Interesse, welches diese Schriften für die Würdigung des
Verfassers gewähren, bieten sie noch ein anderes dar, indem sie einen Ueber¬
blick der wichtigen Erscheinungen in der musikalischen Entwicklung der Jahre
183i. bis 1843 geben. Zwar erschöpfend ist diese Uebersicht nicht, da sie we-
der die Gesammtheit der musikalischen Leistungen umfaßt, noch die verschiedenen
Gesichtspunkte verfolgt, um ein erschöpfendes Urtheil zu ermitteln. Allein in
den wesentlichsten Beziehungen ist die Auswahl der besprochenen Gegenstände
doch mit so viel Takt und Einsicht getroffen, daß das Totalbild, wenn auch
nicht vollständig, doch richtig ist. So mag die ausführliche und detaillirte Ver¬
folgung der Leistungen für das Clavier zum Theil in einer Vorliebe Schu¬
manns begründet sein und, zumal jetzt wo der größte Theil dieser Kompositionen
vergessen und begraben ist, unverhältnißmäßig erscheinen, allein wir erhalten
doch dadurch auch die richtige Vorstellung, wie sehr diese Richtung derzeit
überwog. Ebenso ist die genauere. Besprechung der musikalischen Zustände .
Leipzigs vollkommen dadurch gerechtfertigt, daß diese wirklich den besten Typus
für die musikalische Bildung Deutschlands abgeben konnten. Sodann aber ist
der Mann, dessen Stimme wir hier vernehmen, als Componist so entschieden
einer der bedeutendsten Factoren für die Leistungen und Ansichten der Gegen¬
wart, er ragt durch Gesinnung und Bildung so weit hervor, daß durch ihn jene
Periode kennen zu lernen das Interesse nur erhöhen kann.




Wochenbericht.
Berlin,

Die Entlassung Bonins und die plötzliche Abreise des
Prinzen von Preußen bilden natürlich noch immer das Tagesgespräch. Der ge¬
waltige Eindruck, den beide Ereignisse im ersten Augenblick hervorriefen, wird jetzt
zu nachhaltiger Wirkung verarbeitet. Ueberall steckt man die Köpfe zusammen,
fragt nach den nähern Umständen, hört mit Begier die verschiedenen Versionen, und
ohne Mitwirkung der hiesigen Presse haben sich die genauesten Details wie ein
Lauffeuer verbreitet. Wie der Graf Dohna zu Herrn v. Bonin und wie dieser zu
Herrn v. Manteuffel gesprochen, und wie Herr v. Bonin jenem geantwortet und
wie Herr v. Manteuffel geschwiegen hat: das alles ist stadtkundig und wird von


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[0321] Neigung und Abneigung gegen Künstler und Kunstwerke, welche auf ihn ein¬ gewirkt haben, hier in einer Ausführlichkeit und Mannigfaltigkeit deutlich aus¬ gesprochen, wie es bei schaffenden Künstlern selten der Fall ist; nicht minder anziehend ist es zu verfolgen, wie dieselbe künstlerische Organisation auf verschie¬ denen Gebieten mit verschiedenen Mitteln sich auszusprechen bestrebt ist, und es liegt in der Natur der Sache, daß bei dem Schriftsteller vieles faßlicher, greifbarer erscheint als bei dem Componisten. Außer dem Interesse, welches diese Schriften für die Würdigung des Verfassers gewähren, bieten sie noch ein anderes dar, indem sie einen Ueber¬ blick der wichtigen Erscheinungen in der musikalischen Entwicklung der Jahre 183i. bis 1843 geben. Zwar erschöpfend ist diese Uebersicht nicht, da sie we- der die Gesammtheit der musikalischen Leistungen umfaßt, noch die verschiedenen Gesichtspunkte verfolgt, um ein erschöpfendes Urtheil zu ermitteln. Allein in den wesentlichsten Beziehungen ist die Auswahl der besprochenen Gegenstände doch mit so viel Takt und Einsicht getroffen, daß das Totalbild, wenn auch nicht vollständig, doch richtig ist. So mag die ausführliche und detaillirte Ver¬ folgung der Leistungen für das Clavier zum Theil in einer Vorliebe Schu¬ manns begründet sein und, zumal jetzt wo der größte Theil dieser Kompositionen vergessen und begraben ist, unverhältnißmäßig erscheinen, allein wir erhalten doch dadurch auch die richtige Vorstellung, wie sehr diese Richtung derzeit überwog. Ebenso ist die genauere. Besprechung der musikalischen Zustände . Leipzigs vollkommen dadurch gerechtfertigt, daß diese wirklich den besten Typus für die musikalische Bildung Deutschlands abgeben konnten. Sodann aber ist der Mann, dessen Stimme wir hier vernehmen, als Componist so entschieden einer der bedeutendsten Factoren für die Leistungen und Ansichten der Gegen¬ wart, er ragt durch Gesinnung und Bildung so weit hervor, daß durch ihn jene Periode kennen zu lernen das Interesse nur erhöhen kann. Wochenbericht. Berlin, Die Entlassung Bonins und die plötzliche Abreise des Prinzen von Preußen bilden natürlich noch immer das Tagesgespräch. Der ge¬ waltige Eindruck, den beide Ereignisse im ersten Augenblick hervorriefen, wird jetzt zu nachhaltiger Wirkung verarbeitet. Ueberall steckt man die Köpfe zusammen, fragt nach den nähern Umständen, hört mit Begier die verschiedenen Versionen, und ohne Mitwirkung der hiesigen Presse haben sich die genauesten Details wie ein Lauffeuer verbreitet. Wie der Graf Dohna zu Herrn v. Bonin und wie dieser zu Herrn v. Manteuffel gesprochen, und wie Herr v. Bonin jenem geantwortet und wie Herr v. Manteuffel geschwiegen hat: das alles ist stadtkundig und wird von - «renzboten. II. <«A4. j g

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97779/320>, abgerufen am 01.07.2024.