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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band.

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Einfluß ihrer Leistungen auf Künstler und Publicum verfolgt wird, ist die schönste
Beschämung für alles Geklatsch vom Künstlerneide. Nirgends tritt in einer
Weise, die man tadeln könnte, der Einfluß persönlicher Verhältnisse aus die
Kritik hervor, und wo ein solcher überhaupt stattgefunden hat, ist es Schu¬
mann selbst, der darauf hinweist. Dieselbe Unbefangenheit, die nur die Sache
im Auge hat, zeigt sich auch im Tadel, den Schumann auch mit strengem
Ernst auszusprechen sich nicht scheut, mit vollem Recht am meisten da, wo er
Talent wahrzunehmen glaubt, das richtiger Leitung bedürfe. Gegen das ab¬
solut Verfehlte, das flach Triviale und handwerksmäßig Gemeine wendet er
lieber Humor und Spott, meist treffend und mitunter mit überraschender Wir¬
kung; zum Zorn erregt wird er nur, wo die Sittlichkeit der Kunst verletzt wird,
wie von Meyerbeer. Als einen charakteristischen Zug kann man noch her¬
vorheben, daß Schumann mit einer Ausnahme, die dabei nicht in Betracht
kommt,' über seine Compositionen sich nicht ausgesprochen und es mit rich¬
tiger "Einsicht -- auch wol aus echtem Künstlerstolz -- verschmäht hat, das
Publicum von einer andern Seite her für seine musikalischen Leistungen zu
interessiren, als durch welche sie auf dasselbe wirken sollten.

Wenn demnach die sittlichen Grundlagen der Kritik, die allgemeinen An¬
sichten über das Wesen der Kunst und die durch die Zeit bedingten Bedürf¬
nisse ihrer Entwicklung, wie sie bei Schumann zur Geltung kommen, der all¬
gemeinsten Achtung und Zustimmung gewiß sind, so laßt sich damit sehr wohl
vereinigen, daß gewisse Seiten seiner Individualität mitunter die Objectivität
seines Urtheils trüben. Sehr bestimmt tritt, mich in der Einkleidung und Form,
ein Einfluß Jean Pauls, wol auch E. T. A. Hoffmanns, hervor,' der nicht
immer günstig gewirkt und etwas Phantastisches hineingebracht hat, ein
wie absichtliches Verschmähen einer Entwicklung und Durchbildung der Gedan¬
ken und Vorstellungen zu .vollkommner Klarheit. Dahin gehört die seltsame
Fiction der Davidsbündler, die Zerlegung deS referirenden Kritikers in ver¬
schiedenen Personen Eusebius, Florestan, Raro :c., welche die verschiedenen
Phasen und Seilen des Urtheils in absichtlich einseitiger Uebertreibung darstellen
-- was denn doch nur ein Nothbehelf ist, um die letzte schließliche Verarbeitung
jener verschiedenen Momente zu einem Totalurtheil >zu ersparen, -- überhaupt
die Neigung einen humoristischen Einfall auszuspinnen, anstatt der Sache un¬
mittelbar auf den Leib zu gehen.

Allen, welche den Komponisten Schumann kennen und lieben, wird es
eine interessante Aufgabe sein, ihn im Zusammenhange seiner > schriftstellerischen
Leistungen sich zu vergegenwärtigen. Allerdings gehören diese, wesentlich zum
Verständniß seiner gesammK'N künstlerischen Natur und geben auch über den
Componisten überraschende Aufschlüsse. Nicht nur sind Ansichten und Maxi¬
men, welche ihn bei seinen Compositionen geleitet und bestimmt, Zu-


Einfluß ihrer Leistungen auf Künstler und Publicum verfolgt wird, ist die schönste
Beschämung für alles Geklatsch vom Künstlerneide. Nirgends tritt in einer
Weise, die man tadeln könnte, der Einfluß persönlicher Verhältnisse aus die
Kritik hervor, und wo ein solcher überhaupt stattgefunden hat, ist es Schu¬
mann selbst, der darauf hinweist. Dieselbe Unbefangenheit, die nur die Sache
im Auge hat, zeigt sich auch im Tadel, den Schumann auch mit strengem
Ernst auszusprechen sich nicht scheut, mit vollem Recht am meisten da, wo er
Talent wahrzunehmen glaubt, das richtiger Leitung bedürfe. Gegen das ab¬
solut Verfehlte, das flach Triviale und handwerksmäßig Gemeine wendet er
lieber Humor und Spott, meist treffend und mitunter mit überraschender Wir¬
kung; zum Zorn erregt wird er nur, wo die Sittlichkeit der Kunst verletzt wird,
wie von Meyerbeer. Als einen charakteristischen Zug kann man noch her¬
vorheben, daß Schumann mit einer Ausnahme, die dabei nicht in Betracht
kommt,' über seine Compositionen sich nicht ausgesprochen und es mit rich¬
tiger "Einsicht — auch wol aus echtem Künstlerstolz — verschmäht hat, das
Publicum von einer andern Seite her für seine musikalischen Leistungen zu
interessiren, als durch welche sie auf dasselbe wirken sollten.

Wenn demnach die sittlichen Grundlagen der Kritik, die allgemeinen An¬
sichten über das Wesen der Kunst und die durch die Zeit bedingten Bedürf¬
nisse ihrer Entwicklung, wie sie bei Schumann zur Geltung kommen, der all¬
gemeinsten Achtung und Zustimmung gewiß sind, so laßt sich damit sehr wohl
vereinigen, daß gewisse Seiten seiner Individualität mitunter die Objectivität
seines Urtheils trüben. Sehr bestimmt tritt, mich in der Einkleidung und Form,
ein Einfluß Jean Pauls, wol auch E. T. A. Hoffmanns, hervor,' der nicht
immer günstig gewirkt und etwas Phantastisches hineingebracht hat, ein
wie absichtliches Verschmähen einer Entwicklung und Durchbildung der Gedan¬
ken und Vorstellungen zu .vollkommner Klarheit. Dahin gehört die seltsame
Fiction der Davidsbündler, die Zerlegung deS referirenden Kritikers in ver¬
schiedenen Personen Eusebius, Florestan, Raro :c., welche die verschiedenen
Phasen und Seilen des Urtheils in absichtlich einseitiger Uebertreibung darstellen
— was denn doch nur ein Nothbehelf ist, um die letzte schließliche Verarbeitung
jener verschiedenen Momente zu einem Totalurtheil >zu ersparen, — überhaupt
die Neigung einen humoristischen Einfall auszuspinnen, anstatt der Sache un¬
mittelbar auf den Leib zu gehen.

Allen, welche den Komponisten Schumann kennen und lieben, wird es
eine interessante Aufgabe sein, ihn im Zusammenhange seiner > schriftstellerischen
Leistungen sich zu vergegenwärtigen. Allerdings gehören diese, wesentlich zum
Verständniß seiner gesammK'N künstlerischen Natur und geben auch über den
Componisten überraschende Aufschlüsse. Nicht nur sind Ansichten und Maxi¬
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97779/319>, abgerufen am 03.07.2024.