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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band.

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durch die besondere Festigkeit des Holzes möglich, infolge welcher eine Latte die
nämliche Stabilität wie ein dünner Balken hei uns besitzt. Daß nichtsdestoweniger
bei jedem Schritt eine starke Erschütterung entsteht und Fenster und ans den
Tischen Teller und Gläser klirren, versteht sich von selbst. Von dieser Bauart
macht-nur ein Theil der Häuser in Pera, die man, zum Unterschied von den
andern, Steinhäuser nennt, eine Ausnahme.

Deuten Sie sich- nun bei einer Kälte von 3--4. Grad im Freien den In¬
wohner eines solchen Holzhauses. Wenn der Fußboden nicht mit doppelten Tep¬
pichen, d. h. zuunterst nicht mit einer a"S Stroh geflochtenen, einen Finger
dicken Matte und darüber mit einer halb so starken Wolldecke überbreitet ist, wird
ein beständiger Luftzug von unten'nach oben bemüht sein, die etwas wärmere
Temperatur des Zimmers abzukühlen und mit der draußen herrschenden ins
Gleichgewicht zu setzen. Ein anderer Luftstrom findet an einer oder an mehren
Stellen der Zimmerwand, gemeiniglich in der unmittelbaren Nähe der Fenster-
verkleiduug seineu Eingang. Das Schwanken des, Hanfes macht, daß weder
Fenster noch Thüren dicht schließen, daß also Lücken vorhanden sind, welche eben¬
falls eine Communication zwischen der innern (Zimmer-) Lust und der äußern
befördern. Endlich sind die meisten Zimmerdecken undicht. Wohnt man in der
untern oder in einer mittleren Etage, so sind die daraus entstehenden Unan¬
nehmlichkeiten verhältnißmäßig noch leicht zu tragen; wohnt man dagegen zuoberst,
d. h. unmittelbar unter dem Dachboden, so ergießt sich bei Regenwetter oder
beim Schmelzen des Schnees ein sehr unerwünschter Strom in das Zimmer, wo
alsdann durch Aufstellung von Waschbecken und Schüsseln Vorkehrungen getroffen
werden müssen, um eine allgemeine Überschwemmung zu verhüten.

Unter der hiesigen armenischen, griechischen und türkischen Bevölkerung ist die
Meinung allgemein verbreitet, daß ein Ofen zum Erwärmen der Zimmer oder
vielmehr der darin Wohnenden nicht so praktisch wie ein Kohlenbecken sei, und
in Anbetracht der Bauart der Häuser ist man mit solcher Behauptung in vollem
Recht. Das Kohlenbecken' hat nämlich vor jeder andern Heizungsvorrichtnng
den Vortheil voraus, daß es transportirt werdeu kau". Für einen Armenier,
Türken und Griechen, mit einem Worte für den Orientalen ist dies aber ein Um¬
stand von der höchsten Wichtigkeit, denn für ihn ist persönliche bewegungslose Ruhe,
mithin eine Abhängigkeit des außer ihm Liegenden und die Accommodation desselben
nach seiner Stellung, Nonplusultra aller Comforts. Männer und Frauen sind
in dieser Hinsicht ein und desselben Geschmacks. Oder wie meinen Sie, daß'
eine griechische Dame der daMs volvs, also jener hiesigen Gesellschaftsschicht, die
zu den diplomatischen Kreisen Zutritt hat, ihre Vormittagsstunden nach gemachter
Toilette, während der jetzigen Jahreszeit und insbesondere in den gegenwärtigen
Tagen, wo nur in deu Mittagsstunden der Schnee ans den Dächern zum
Schmelzen kommt, zubringt? wie sie die Stunde erwartet, wo Visiten angemeldet


durch die besondere Festigkeit des Holzes möglich, infolge welcher eine Latte die
nämliche Stabilität wie ein dünner Balken hei uns besitzt. Daß nichtsdestoweniger
bei jedem Schritt eine starke Erschütterung entsteht und Fenster und ans den
Tischen Teller und Gläser klirren, versteht sich von selbst. Von dieser Bauart
macht-nur ein Theil der Häuser in Pera, die man, zum Unterschied von den
andern, Steinhäuser nennt, eine Ausnahme.

Deuten Sie sich- nun bei einer Kälte von 3—4. Grad im Freien den In¬
wohner eines solchen Holzhauses. Wenn der Fußboden nicht mit doppelten Tep¬
pichen, d. h. zuunterst nicht mit einer a»S Stroh geflochtenen, einen Finger
dicken Matte und darüber mit einer halb so starken Wolldecke überbreitet ist, wird
ein beständiger Luftzug von unten'nach oben bemüht sein, die etwas wärmere
Temperatur des Zimmers abzukühlen und mit der draußen herrschenden ins
Gleichgewicht zu setzen. Ein anderer Luftstrom findet an einer oder an mehren
Stellen der Zimmerwand, gemeiniglich in der unmittelbaren Nähe der Fenster-
verkleiduug seineu Eingang. Das Schwanken des, Hanfes macht, daß weder
Fenster noch Thüren dicht schließen, daß also Lücken vorhanden sind, welche eben¬
falls eine Communication zwischen der innern (Zimmer-) Lust und der äußern
befördern. Endlich sind die meisten Zimmerdecken undicht. Wohnt man in der
untern oder in einer mittleren Etage, so sind die daraus entstehenden Unan¬
nehmlichkeiten verhältnißmäßig noch leicht zu tragen; wohnt man dagegen zuoberst,
d. h. unmittelbar unter dem Dachboden, so ergießt sich bei Regenwetter oder
beim Schmelzen des Schnees ein sehr unerwünschter Strom in das Zimmer, wo
alsdann durch Aufstellung von Waschbecken und Schüsseln Vorkehrungen getroffen
werden müssen, um eine allgemeine Überschwemmung zu verhüten.

Unter der hiesigen armenischen, griechischen und türkischen Bevölkerung ist die
Meinung allgemein verbreitet, daß ein Ofen zum Erwärmen der Zimmer oder
vielmehr der darin Wohnenden nicht so praktisch wie ein Kohlenbecken sei, und
in Anbetracht der Bauart der Häuser ist man mit solcher Behauptung in vollem
Recht. Das Kohlenbecken' hat nämlich vor jeder andern Heizungsvorrichtnng
den Vortheil voraus, daß es transportirt werdeu kau». Für einen Armenier,
Türken und Griechen, mit einem Worte für den Orientalen ist dies aber ein Um¬
stand von der höchsten Wichtigkeit, denn für ihn ist persönliche bewegungslose Ruhe,
mithin eine Abhängigkeit des außer ihm Liegenden und die Accommodation desselben
nach seiner Stellung, Nonplusultra aller Comforts. Männer und Frauen sind
in dieser Hinsicht ein und desselben Geschmacks. Oder wie meinen Sie, daß'
eine griechische Dame der daMs volvs, also jener hiesigen Gesellschaftsschicht, die
zu den diplomatischen Kreisen Zutritt hat, ihre Vormittagsstunden nach gemachter
Toilette, während der jetzigen Jahreszeit und insbesondere in den gegenwärtigen
Tagen, wo nur in deu Mittagsstunden der Schnee ans den Dächern zum
Schmelzen kommt, zubringt? wie sie die Stunde erwartet, wo Visiten angemeldet


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97779/297>, abgerufen am 23.07.2024.