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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band.

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Winterbilder aus Stambul.

. Es ist ein Irrthum, wenn man meint, die Dauer des Winters sei hier be-
. deutend kürzer als im mittleren Deutschland. Allerdings fällt das Thermometer
^in Konstantinopel fast nie so tief, daß über den fließende"'Gewässern eine feste
Eisdecke erzeugt wird; wenn es dann und wann einmal vorkam, daß die so¬
genannten süße" Gewässer, d. h. jene beiden bei Ejub und Kul-Hana ins gol¬
dene Horn einmündenden Bäche froren, so geschah es gleichsam nur ausnahms-
weise; aber nichtsdestoweniger darf mau annehmen, daß die Jahreszeit, in welcher
hier Wege und Straßen ziemlich unprakticabel find, in den Zimmern ein Ofen
oder ein Kohlenbecken nicht füglich zu entbehren ist und der Pelz unter den
Kleidungsstücken des täglichen Anzuges eine Rolle spielt, ziemlich fünf Monate
lang, also so lange als bei uns der Winter währt. Was man aber am wenig¬
sten vermuthen mag, ist, daß jene kalte Jahreszeit weit empfindlicher auch von
Nordländern hier wcchrgenommeu wird, als bei uns Tage des strengsten Frostes.
Auch wird man sich diese Thatsache nicht eher erklären können, als.bis man sich
mit der Banart der hiesigen Häuser, mit ihrer innern Einrichtung, vertraut
gemacht hat.

Montesquieu hatte nicht unrecht, als er die Türken mit dem Namen eines
am Bospor campirendeu Volkes belegte. Wirklich ist Stambul keine Stadt in
in unsrem Sinne, von welchem Begriff man die Vorstellung großer, mehrstöckiger,
massiver Häuser nicht trennen kann, sondern ein Mittelding zwischen jener und
einem Zeltlager. Die leichte Bauart Londons ist bekannt genug. Man kaun,
wenn man aus Paris oder aus Berlin kommt, sich nicht genug über jene schmalen,
meist nnbeworfenen und nnabgeputzteu Backsteinmauern wundern, aus denen die
Hunderttausende von Häusern der Weltstadt, eins wie das andere, formirt sind.
Dennoch verhält sich ein Stambuler Kouak gegen einen solchen Bau wie ein
Kartenhaus. Man baut hier meistens ohne Fundament, wenn man unter solchem
eine haltbare Unterlage versteht, ohne Stein und Kalk, wesentlich aus Holz und
Lehm oder sonstiger fetter Erde, wozu für die innere Bekleidung der Zimmer
noch ein marmorhart werdender Abputz kommt. Seinen innern Halt findet ein
solches Haus in einem Rippwerk, um nicht zu sagen Balkeugerüst, aus meistens
sehr dünnen Latten, d. h. die unteren Etagen selbst haben hier nicht ganz die
Stabilität, welche bei nus in Deutschland und auch anderwärts die Dächer zu
haben pflegen. Was sonst unzulässig wäre, nämlich auf einen so leichten
Unterbau mehre Stockwerke zu stellen und dieselben wohnbar zu macheu, d. h. in
den Stand zu setzen, beim Hinundhergehen nicht der Tendenz der Schritte zu
folgen und in ein unaufhörliches Schwanken zu gerathen, das wird hier nnr


Grenzbote", II. 1854. 37
Winterbilder aus Stambul.

. Es ist ein Irrthum, wenn man meint, die Dauer des Winters sei hier be-
. deutend kürzer als im mittleren Deutschland. Allerdings fällt das Thermometer
^in Konstantinopel fast nie so tief, daß über den fließende»'Gewässern eine feste
Eisdecke erzeugt wird; wenn es dann und wann einmal vorkam, daß die so¬
genannten süße» Gewässer, d. h. jene beiden bei Ejub und Kul-Hana ins gol¬
dene Horn einmündenden Bäche froren, so geschah es gleichsam nur ausnahms-
weise; aber nichtsdestoweniger darf mau annehmen, daß die Jahreszeit, in welcher
hier Wege und Straßen ziemlich unprakticabel find, in den Zimmern ein Ofen
oder ein Kohlenbecken nicht füglich zu entbehren ist und der Pelz unter den
Kleidungsstücken des täglichen Anzuges eine Rolle spielt, ziemlich fünf Monate
lang, also so lange als bei uns der Winter währt. Was man aber am wenig¬
sten vermuthen mag, ist, daß jene kalte Jahreszeit weit empfindlicher auch von
Nordländern hier wcchrgenommeu wird, als bei uns Tage des strengsten Frostes.
Auch wird man sich diese Thatsache nicht eher erklären können, als.bis man sich
mit der Banart der hiesigen Häuser, mit ihrer innern Einrichtung, vertraut
gemacht hat.

Montesquieu hatte nicht unrecht, als er die Türken mit dem Namen eines
am Bospor campirendeu Volkes belegte. Wirklich ist Stambul keine Stadt in
in unsrem Sinne, von welchem Begriff man die Vorstellung großer, mehrstöckiger,
massiver Häuser nicht trennen kann, sondern ein Mittelding zwischen jener und
einem Zeltlager. Die leichte Bauart Londons ist bekannt genug. Man kaun,
wenn man aus Paris oder aus Berlin kommt, sich nicht genug über jene schmalen,
meist nnbeworfenen und nnabgeputzteu Backsteinmauern wundern, aus denen die
Hunderttausende von Häusern der Weltstadt, eins wie das andere, formirt sind.
Dennoch verhält sich ein Stambuler Kouak gegen einen solchen Bau wie ein
Kartenhaus. Man baut hier meistens ohne Fundament, wenn man unter solchem
eine haltbare Unterlage versteht, ohne Stein und Kalk, wesentlich aus Holz und
Lehm oder sonstiger fetter Erde, wozu für die innere Bekleidung der Zimmer
noch ein marmorhart werdender Abputz kommt. Seinen innern Halt findet ein
solches Haus in einem Rippwerk, um nicht zu sagen Balkeugerüst, aus meistens
sehr dünnen Latten, d. h. die unteren Etagen selbst haben hier nicht ganz die
Stabilität, welche bei nus in Deutschland und auch anderwärts die Dächer zu
haben pflegen. Was sonst unzulässig wäre, nämlich auf einen so leichten
Unterbau mehre Stockwerke zu stellen und dieselben wohnbar zu macheu, d. h. in
den Stand zu setzen, beim Hinundhergehen nicht der Tendenz der Schritte zu
folgen und in ein unaufhörliches Schwanken zu gerathen, das wird hier nnr


Grenzbote», II. 1854. 37
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[0297] Winterbilder aus Stambul. . Es ist ein Irrthum, wenn man meint, die Dauer des Winters sei hier be- . deutend kürzer als im mittleren Deutschland. Allerdings fällt das Thermometer ^in Konstantinopel fast nie so tief, daß über den fließende»'Gewässern eine feste Eisdecke erzeugt wird; wenn es dann und wann einmal vorkam, daß die so¬ genannten süße» Gewässer, d. h. jene beiden bei Ejub und Kul-Hana ins gol¬ dene Horn einmündenden Bäche froren, so geschah es gleichsam nur ausnahms- weise; aber nichtsdestoweniger darf mau annehmen, daß die Jahreszeit, in welcher hier Wege und Straßen ziemlich unprakticabel find, in den Zimmern ein Ofen oder ein Kohlenbecken nicht füglich zu entbehren ist und der Pelz unter den Kleidungsstücken des täglichen Anzuges eine Rolle spielt, ziemlich fünf Monate lang, also so lange als bei uns der Winter währt. Was man aber am wenig¬ sten vermuthen mag, ist, daß jene kalte Jahreszeit weit empfindlicher auch von Nordländern hier wcchrgenommeu wird, als bei uns Tage des strengsten Frostes. Auch wird man sich diese Thatsache nicht eher erklären können, als.bis man sich mit der Banart der hiesigen Häuser, mit ihrer innern Einrichtung, vertraut gemacht hat. Montesquieu hatte nicht unrecht, als er die Türken mit dem Namen eines am Bospor campirendeu Volkes belegte. Wirklich ist Stambul keine Stadt in in unsrem Sinne, von welchem Begriff man die Vorstellung großer, mehrstöckiger, massiver Häuser nicht trennen kann, sondern ein Mittelding zwischen jener und einem Zeltlager. Die leichte Bauart Londons ist bekannt genug. Man kaun, wenn man aus Paris oder aus Berlin kommt, sich nicht genug über jene schmalen, meist nnbeworfenen und nnabgeputzteu Backsteinmauern wundern, aus denen die Hunderttausende von Häusern der Weltstadt, eins wie das andere, formirt sind. Dennoch verhält sich ein Stambuler Kouak gegen einen solchen Bau wie ein Kartenhaus. Man baut hier meistens ohne Fundament, wenn man unter solchem eine haltbare Unterlage versteht, ohne Stein und Kalk, wesentlich aus Holz und Lehm oder sonstiger fetter Erde, wozu für die innere Bekleidung der Zimmer noch ein marmorhart werdender Abputz kommt. Seinen innern Halt findet ein solches Haus in einem Rippwerk, um nicht zu sagen Balkeugerüst, aus meistens sehr dünnen Latten, d. h. die unteren Etagen selbst haben hier nicht ganz die Stabilität, welche bei nus in Deutschland und auch anderwärts die Dächer zu haben pflegen. Was sonst unzulässig wäre, nämlich auf einen so leichten Unterbau mehre Stockwerke zu stellen und dieselben wohnbar zu macheu, d. h. in den Stand zu setzen, beim Hinundhergehen nicht der Tendenz der Schritte zu folgen und in ein unaufhörliches Schwanken zu gerathen, das wird hier nnr Grenzbote», II. 1854. 37

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97779/296>, abgerufen am 22.12.2024.