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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band.

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bearbeiteten Kalkstein loslöste, und mit dichten Wolken die unglücklichen
Menschen umhüllte, rief bald die furchtbarste Plage hervor, die ägyptische
Augenkrankheit, deren Wirkungen so schnell und furchtbar sind, daß derjenige,
der von ihr befallen wird, oft in 26 Stunden die Augen einbüßt. So schritt
das Werk langsam fort; im Jahr 18L1, als der berühmte Geolog Hommaire
de Hell Sebastopol besuchte, war noch nicht die Hälfte vollendet und schon
hatten die Arbeiten i> Millionen verschlungen. Die Art der Ausführung hat
den Beifall des Kaisers gesunden; sachverständige Personen haben indeß manche
Bedenken geäußert. Sie tadeln, daß man für ein so bedeutendes Werk kein
Solideres Material verwendet hat, als den mürben Kalkstein, der sich bequem
wie Holz mit Beil und Säge bearbeiten läßt, aber den Einwirkungen des
Wassers und der Temperatur so geringen Widerstand leistet, daß die aus einem
ganz ähnlichen Material errichteten Häuser Odessas schon nach -15 bis 20
Jahren den Anblick verwitternder Ruinen gewähren; nur zu den Ecken der
Wände hat man Granit oder Porphyr verwendet, und auch diese Verschieden¬
artigkeit des Materials scheint Sachverständigen in hohem Grade bedenklich.

Da Ebbe und Flut auf dem schwarzen Meere wenig oder gar nicht be¬
merklich sind, hatte es eine besondere Schwierigkeit, die Reservoirs mit Wasser
zu speisen. Die schlimmste Plage der Schiffe in den Gewässern Sebastopols
ist der gefährliche Schiffsbohrwurm (tereäo nao-üis), der sich hier in unglaub¬
licher Meuge findet und die durchschnittliche Lebensdauer der russischen Kriegs¬
schiffe aus acht Jahre verkürzt, während die englischen und französischen wenigstens
doppelt so lange dem Wasser trotzen. Vorzüglich' um diesem kleinen, aber ver¬
derblichen Feinde zu entgehen, entschloß man sich, die Tschernoi-Netschka (tatar.
Bijuk-Ufer), einen ziemlich wasserreichen Bach, der in das Innere der Bat von
Sebastopol mündet, hierher zu leiten. Obgleich dieses Werk bei den großen
Schwierigkeiten, die sich ihm entgegenstellten, wohl erwogen sein wollte, über¬
zeugte man sich doch erst, als es bereits halb vollendet war, daß das trübe Wasser
des Bachs der Lieblingsaufenthalt des gefürchteten Bohrwurms ist. Nach mehr¬
jährigen Anstrengungen wurde das bedeutende Werk vollendet: ein Kanal von
2'/s Meilen Länge, dessen Bett in den Felsen gehauen werden mußte. Drei¬
mal ist man genöthigt gewesen, ihn über Nävius, welche das Plateau durch¬
furchen, durch Aquäducte zu führen, die auf Bogen ruhen und zusammen eine
Längenentwicklung von fast 1000 Fuß besitzen; und zweimal mußte man in
vorliegenden Höhen Tunnel aushöhlen, an deren einem man von- den ent¬
gegengesetzten Seiten aus allein 1ö Monate lang gearbeitet hat. Der Punkt,
an dem man den Bach abgeleitet hat, liegt 62 englische Fuß über dem Niveau
der großen Bucht, die Docks 30 Fuß über der Bai, der Kanal hat demnach auf
seine Länge von 18 Werst ein Gefälle von 32 Fuß. An seinem Rande sind
11 Wachthäuser errichtet/in der geschmackvollen Form achteckiger Pavillons.


bearbeiteten Kalkstein loslöste, und mit dichten Wolken die unglücklichen
Menschen umhüllte, rief bald die furchtbarste Plage hervor, die ägyptische
Augenkrankheit, deren Wirkungen so schnell und furchtbar sind, daß derjenige,
der von ihr befallen wird, oft in 26 Stunden die Augen einbüßt. So schritt
das Werk langsam fort; im Jahr 18L1, als der berühmte Geolog Hommaire
de Hell Sebastopol besuchte, war noch nicht die Hälfte vollendet und schon
hatten die Arbeiten i> Millionen verschlungen. Die Art der Ausführung hat
den Beifall des Kaisers gesunden; sachverständige Personen haben indeß manche
Bedenken geäußert. Sie tadeln, daß man für ein so bedeutendes Werk kein
Solideres Material verwendet hat, als den mürben Kalkstein, der sich bequem
wie Holz mit Beil und Säge bearbeiten läßt, aber den Einwirkungen des
Wassers und der Temperatur so geringen Widerstand leistet, daß die aus einem
ganz ähnlichen Material errichteten Häuser Odessas schon nach -15 bis 20
Jahren den Anblick verwitternder Ruinen gewähren; nur zu den Ecken der
Wände hat man Granit oder Porphyr verwendet, und auch diese Verschieden¬
artigkeit des Materials scheint Sachverständigen in hohem Grade bedenklich.

Da Ebbe und Flut auf dem schwarzen Meere wenig oder gar nicht be¬
merklich sind, hatte es eine besondere Schwierigkeit, die Reservoirs mit Wasser
zu speisen. Die schlimmste Plage der Schiffe in den Gewässern Sebastopols
ist der gefährliche Schiffsbohrwurm (tereäo nao-üis), der sich hier in unglaub¬
licher Meuge findet und die durchschnittliche Lebensdauer der russischen Kriegs¬
schiffe aus acht Jahre verkürzt, während die englischen und französischen wenigstens
doppelt so lange dem Wasser trotzen. Vorzüglich' um diesem kleinen, aber ver¬
derblichen Feinde zu entgehen, entschloß man sich, die Tschernoi-Netschka (tatar.
Bijuk-Ufer), einen ziemlich wasserreichen Bach, der in das Innere der Bat von
Sebastopol mündet, hierher zu leiten. Obgleich dieses Werk bei den großen
Schwierigkeiten, die sich ihm entgegenstellten, wohl erwogen sein wollte, über¬
zeugte man sich doch erst, als es bereits halb vollendet war, daß das trübe Wasser
des Bachs der Lieblingsaufenthalt des gefürchteten Bohrwurms ist. Nach mehr¬
jährigen Anstrengungen wurde das bedeutende Werk vollendet: ein Kanal von
2'/s Meilen Länge, dessen Bett in den Felsen gehauen werden mußte. Drei¬
mal ist man genöthigt gewesen, ihn über Nävius, welche das Plateau durch¬
furchen, durch Aquäducte zu führen, die auf Bogen ruhen und zusammen eine
Längenentwicklung von fast 1000 Fuß besitzen; und zweimal mußte man in
vorliegenden Höhen Tunnel aushöhlen, an deren einem man von- den ent¬
gegengesetzten Seiten aus allein 1ö Monate lang gearbeitet hat. Der Punkt,
an dem man den Bach abgeleitet hat, liegt 62 englische Fuß über dem Niveau
der großen Bucht, die Docks 30 Fuß über der Bai, der Kanal hat demnach auf
seine Länge von 18 Werst ein Gefälle von 32 Fuß. An seinem Rande sind
11 Wachthäuser errichtet/in der geschmackvollen Form achteckiger Pavillons.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97779/293>, abgerufen am 23.07.2024.