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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band.

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Den neuesten Nachrichten nach sind die Russen über die Linie von Czcrnawvda-
Kustendsche noch nicht hinausgeschritten. Sie haben bei Ankunft dieses Briefes
außer Zweifel neuere Nachrichten von dort her, ich bemerke es indeß, um Ihnen
damit das Bereich uuserer augenblicklichen Kenntniß von den Dingen in Bulgarien
zu bezeichnen. Omer Pascha empfing jüngst einen französischen General in seinem
Lager, der an ihn abgesendet worden war, um ihn zu bestimmen, sich den Befehlen
des französischen Marschalls Se. Arnaud unterzuordnen. Nach dem, was Sie bereits
über Omer Pascha wissen, kann es Sie nicht befremden, daß dieser den Antrag rund
von der Hand gewiesen hat. Wenn mich mein Herr, der Sultan, dazu sollte ver¬
anlassen wollen, setzte er hinzu, so würde ich mit der Niederlegung meines Coa-.
mandns darauf erwidern. In keinem Fall kann ich einen Befehl dulden, der über
dem meinigen steht.

Wir sind jetzt inmitten der griechischen Ostern und das Leben auf den Straßen
ist infolge dessen ein außerordentlich bewegtes. Der große Campo, dieses weit-
gedehnte Leichenfeld ist, nach hiesigem Brauch, wo die Kirchhöfe die Plätze und
Märkte vertreten, Mittelpunkt des Festes/ Mau hat Buden und Zelte über den
Grabsteinen errichtet; hier springt ein Seiltänzer über frischen Gräbern ans dem
schwanken Tau, dort schneidet ein Bajazzo seine Grimassen, wo vor vierundzwan-
zig Stunden noch der todtenweihcnde Priester gestanden. Der, welcher- länger
hier weilte, nimmt keinen Anstoß an dieser Profanirung und Entweihung, aber
der Fremde denkt wol bei sich:


ich möcht' in dieser Stadt nicht sterben
die auf den Gräbern Hochzeit macht.

Bezeichnend sind die ungleich geringeren Vorsichtsmaßregeln, die aus Anlaß
des diesjährigen Ostern im Gegensatz zum vorjährigen vom Gouvernement ge¬
troffen worden sind. Und dennoch: wie weit günstiger und aufmunternder sind die
heutigen Umstände für eine Erhebung der griechischen Bevölkerung in der türki¬
schen Capitale, im Gegensatz zu den vorjährigen, was der Ueberzeugung nichts¬
destoweniger keinen Eintrag thut, daß auch heute jede Rebellion energisch und
blutig würde niedergeschlagen werden.

Man soll englisch-französischerseits jetzt zur Einsicht darüber gelangt sein,
daß die nach dem Orient beorderte Truppenmacht für den Zweck, welchen man
damit zu erreichen gedenkt, nicht groß genug ist. Bereits äußern sich höher ge¬
stellte Offiziere beider Armeen unverholen darüber. Soeben donnern die Kanonen
der Batterie von Toppana und als Gegengruß erklingen eherne Gewittcrschläge vom
Marmorameere her. Es 'scheint das Schranbenlinicnschisf "Napoleon" zu sein,
welches eben die Serailspitze passirt. -- >

Die Engländer und Franzosen sind in diesem Augenblick in der Weise ver-,
theilt, daß 10,000 Mann der ersteren in Skutari und 28,000 Mann der letzteren
in Gallipoli und Umgegend stehen. Alles in allem macht dies bereits eine Masse
von gegen vierzigtausend Mann, die, wenn sie in Varna ans Land gesetzt worden
wäre, unter allen Umständen auf die russischen Operationen bereits influiren und mög-


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Den neuesten Nachrichten nach sind die Russen über die Linie von Czcrnawvda-
Kustendsche noch nicht hinausgeschritten. Sie haben bei Ankunft dieses Briefes
außer Zweifel neuere Nachrichten von dort her, ich bemerke es indeß, um Ihnen
damit das Bereich uuserer augenblicklichen Kenntniß von den Dingen in Bulgarien
zu bezeichnen. Omer Pascha empfing jüngst einen französischen General in seinem
Lager, der an ihn abgesendet worden war, um ihn zu bestimmen, sich den Befehlen
des französischen Marschalls Se. Arnaud unterzuordnen. Nach dem, was Sie bereits
über Omer Pascha wissen, kann es Sie nicht befremden, daß dieser den Antrag rund
von der Hand gewiesen hat. Wenn mich mein Herr, der Sultan, dazu sollte ver¬
anlassen wollen, setzte er hinzu, so würde ich mit der Niederlegung meines Coa-.
mandns darauf erwidern. In keinem Fall kann ich einen Befehl dulden, der über
dem meinigen steht.

Wir sind jetzt inmitten der griechischen Ostern und das Leben auf den Straßen
ist infolge dessen ein außerordentlich bewegtes. Der große Campo, dieses weit-
gedehnte Leichenfeld ist, nach hiesigem Brauch, wo die Kirchhöfe die Plätze und
Märkte vertreten, Mittelpunkt des Festes/ Mau hat Buden und Zelte über den
Grabsteinen errichtet; hier springt ein Seiltänzer über frischen Gräbern ans dem
schwanken Tau, dort schneidet ein Bajazzo seine Grimassen, wo vor vierundzwan-
zig Stunden noch der todtenweihcnde Priester gestanden. Der, welcher- länger
hier weilte, nimmt keinen Anstoß an dieser Profanirung und Entweihung, aber
der Fremde denkt wol bei sich:


ich möcht' in dieser Stadt nicht sterben
die auf den Gräbern Hochzeit macht.

Bezeichnend sind die ungleich geringeren Vorsichtsmaßregeln, die aus Anlaß
des diesjährigen Ostern im Gegensatz zum vorjährigen vom Gouvernement ge¬
troffen worden sind. Und dennoch: wie weit günstiger und aufmunternder sind die
heutigen Umstände für eine Erhebung der griechischen Bevölkerung in der türki¬
schen Capitale, im Gegensatz zu den vorjährigen, was der Ueberzeugung nichts¬
destoweniger keinen Eintrag thut, daß auch heute jede Rebellion energisch und
blutig würde niedergeschlagen werden.

Man soll englisch-französischerseits jetzt zur Einsicht darüber gelangt sein,
daß die nach dem Orient beorderte Truppenmacht für den Zweck, welchen man
damit zu erreichen gedenkt, nicht groß genug ist. Bereits äußern sich höher ge¬
stellte Offiziere beider Armeen unverholen darüber. Soeben donnern die Kanonen
der Batterie von Toppana und als Gegengruß erklingen eherne Gewittcrschläge vom
Marmorameere her. Es 'scheint das Schranbenlinicnschisf „Napoleon" zu sein,
welches eben die Serailspitze passirt. — >

Die Engländer und Franzosen sind in diesem Augenblick in der Weise ver-,
theilt, daß 10,000 Mann der ersteren in Skutari und 28,000 Mann der letzteren
in Gallipoli und Umgegend stehen. Alles in allem macht dies bereits eine Masse
von gegen vierzigtausend Mann, die, wenn sie in Varna ans Land gesetzt worden
wäre, unter allen Umständen auf die russischen Operationen bereits influiren und mög-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97779/282>, abgerufen am 22.12.2024.