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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band.

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vor dem Zelt in Turtokan ihm in die Hand gegeben hat, wird er schwerlich
benutzt haben.

Sie kennen nun sein Aeu-ßeres; die schlanke Gestalt mit den schnellen und
dennoch würdevollen, gemessenen Bewegungen, dieser markirte Kopf mit dem
grauen Haar und schneeweißen Bart, der aber sonst, im GestchtsauSdruck und
in dem hellen Feuer, welches aus den grauen unter buschigen Brauen sich
bewegenden Augen spricht, so wenig dem Greisenhaupte ähnelt, wird ziemlich
klar Ihnen vorschweben. Von dem Innern des Generalissimus dagegen hatte
ich noch nicht Gelegenheit genommen, ausführlicher zu reden. Ich will den
Versuch machen, Ihnen einen Einblick in dasselbe zu geben, so weit es in
meinen Kräften steht, denn die Kenntniß eines Charakters ist immer nur eine
bedingte; wenige Menschen geben sich den andern ganz so wie sie sind, und es
ist insbesondere die Art hervorragender Männer, in dieser Hinsicht eine starke
Reserve zu bewahren.

Omer Pascha macht den Eindruck eines Geistes von nicht gewöhnlicher
Intelligenz. Es gibt gewisse Züge im menschlichen Gesicht, welche mit einer
gewissen Sicherheit Schlüsse auf ihre Kapacität machen lassen. Auch der tür¬
kische Generalissimus hat dergleichen, und sie reden sehr zu seinen Gunsten.
Am mindesten wird man ableugnen können, daß er ein Mann ist, der viel
gedacht hat. Wen seine Stirn und namentlich die Art, wie sein Auge dann
und wann im Gespräch leuchtet, darüber im Zweifel lassen könnte, würde aus
der Unterhaltung selbst die festeste Ueberzeugung dafür gewinnen. Sein Rai-
sonnement ist logisch, wo er'berathschlagt, geschieht es mit Umsicht, und läßt
er sich auf Beweisführungen ein, so ist er dermaßen Herr seiner Gründe und
schätzt, bei Anordnung derselben, den Werth derselben'so richtig ab, daß man
deutlich erkennt, er improvisire nicht, sondern habe den Gegenstand schon oft
und reiflich erwogen.

Was das Wissen Omer Paschas anlangt, so unterliegt es keiner Frage,
daß es in dieser Hinsicht jedem türkischen Chef im höchsten Maße überlegen,
ja vielleicht ganz unvergleichbar ist. Nichtsdestoweniger sind seine positiven
Kenntnisse von europäischem Standpunkte aus beurtheilt, nicht sehr groß. Auch
seine Freunde werden einräumen, daß er auf wahre Gründlichkeit keinen
Anspruch zu machen hat. In heutiger Zeit ist es die erste Frage, die über
den Werth eines Generals zu erheben ist: ob er eine klare Uebersicht der Mittel
seiner Kunst, mit anderen Worten, der Kriegführung hat. Die Armee, als
Instrument des Krieges, kann selbstredend gut oder schlecht gehandhabt werden;
wer sie mit Virtuosität zu führen wußte, wie ein Friedrich, ein Napoleon, hatte
allemal feste Grundsätze, beten Bildung wiederum nur im Wege des Erkennens
aller möglichen Methoden denkbar ist. Besitzt dagegen der osmanische Genera¬
lissimus Principien, so hat er sie nach dem Eindruck, den ich aus seinen'Reden


vor dem Zelt in Turtokan ihm in die Hand gegeben hat, wird er schwerlich
benutzt haben.

Sie kennen nun sein Aeu-ßeres; die schlanke Gestalt mit den schnellen und
dennoch würdevollen, gemessenen Bewegungen, dieser markirte Kopf mit dem
grauen Haar und schneeweißen Bart, der aber sonst, im GestchtsauSdruck und
in dem hellen Feuer, welches aus den grauen unter buschigen Brauen sich
bewegenden Augen spricht, so wenig dem Greisenhaupte ähnelt, wird ziemlich
klar Ihnen vorschweben. Von dem Innern des Generalissimus dagegen hatte
ich noch nicht Gelegenheit genommen, ausführlicher zu reden. Ich will den
Versuch machen, Ihnen einen Einblick in dasselbe zu geben, so weit es in
meinen Kräften steht, denn die Kenntniß eines Charakters ist immer nur eine
bedingte; wenige Menschen geben sich den andern ganz so wie sie sind, und es
ist insbesondere die Art hervorragender Männer, in dieser Hinsicht eine starke
Reserve zu bewahren.

Omer Pascha macht den Eindruck eines Geistes von nicht gewöhnlicher
Intelligenz. Es gibt gewisse Züge im menschlichen Gesicht, welche mit einer
gewissen Sicherheit Schlüsse auf ihre Kapacität machen lassen. Auch der tür¬
kische Generalissimus hat dergleichen, und sie reden sehr zu seinen Gunsten.
Am mindesten wird man ableugnen können, daß er ein Mann ist, der viel
gedacht hat. Wen seine Stirn und namentlich die Art, wie sein Auge dann
und wann im Gespräch leuchtet, darüber im Zweifel lassen könnte, würde aus
der Unterhaltung selbst die festeste Ueberzeugung dafür gewinnen. Sein Rai-
sonnement ist logisch, wo er'berathschlagt, geschieht es mit Umsicht, und läßt
er sich auf Beweisführungen ein, so ist er dermaßen Herr seiner Gründe und
schätzt, bei Anordnung derselben, den Werth derselben'so richtig ab, daß man
deutlich erkennt, er improvisire nicht, sondern habe den Gegenstand schon oft
und reiflich erwogen.

Was das Wissen Omer Paschas anlangt, so unterliegt es keiner Frage,
daß es in dieser Hinsicht jedem türkischen Chef im höchsten Maße überlegen,
ja vielleicht ganz unvergleichbar ist. Nichtsdestoweniger sind seine positiven
Kenntnisse von europäischem Standpunkte aus beurtheilt, nicht sehr groß. Auch
seine Freunde werden einräumen, daß er auf wahre Gründlichkeit keinen
Anspruch zu machen hat. In heutiger Zeit ist es die erste Frage, die über
den Werth eines Generals zu erheben ist: ob er eine klare Uebersicht der Mittel
seiner Kunst, mit anderen Worten, der Kriegführung hat. Die Armee, als
Instrument des Krieges, kann selbstredend gut oder schlecht gehandhabt werden;
wer sie mit Virtuosität zu führen wußte, wie ein Friedrich, ein Napoleon, hatte
allemal feste Grundsätze, beten Bildung wiederum nur im Wege des Erkennens
aller möglichen Methoden denkbar ist. Besitzt dagegen der osmanische Genera¬
lissimus Principien, so hat er sie nach dem Eindruck, den ich aus seinen'Reden


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97779/268>, abgerufen am 22.12.2024.