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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band.

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Nicht ohne Interesse werden unsren Lesern einige Anekdoten sein, die uns
den Charakter dieses außerordentlichen Mannes versinnlichen, wenn sie auch in
keiner unmittelbaren Beziehung zum öffentlichen Leben 'stehen. Wir führen
wenigstens einige an. -- Im Jahre 1816 war er mehre Tage mit dem Gro߬
herzog von Weimar zusammen. Stein war sehr gesund und in der köstlichsten
Laune, der Herzog nach seiner gewöhnlichen Weise: der deutsche Fürst, über
jeden Zwang hinaus, und dann auch der Mann v,on Geist. Der Eindruck,
den er hinterließ, sür den oberflächlich Nehmenden und Betrachtenden
höchst liebenswürdig, er blieb der Herr in der Gesellschaft, und machte
doch jeden frei. Die beiden Herren gingen höchst ungezwungen, miteinander
um, fast wie alte Jugendgenossen; der hochgeborne Freiherr schien dem
Höhergebornen Fürsten auch äußerlich keinen. Augenblick unterlegen. Das
-war aber das Besondere, daß, wo von ernsten Gegenständen gesprochen, ja
wo nur, wie im leichten Gespräch geschieht, darüberhin gewinkt' oder gelächelt
ward, Stein immer der Fürst und der andere nicht wie der Diener, sondern
unter dem Diener erschien. Hierbei war auch das wunderlich, daß ihn immer
der Kitzel stachelte, Stein zum Zorn zu reizen und sich an seiner Heftigkeit
gleichsam zu ergötzen, denn er selbst blieb bei allen geschwindesten-EinHieben
-und Gegenhieben des Freiherrn in fürstlicher Gleichmütigkeit, gleich den Göt¬
tern Epikurs. Der Herzog kam untern andern auch auf Z. Werner zu sprechen;
er erzählte eine Menge anstößiger Geschichten von dem Dichter, welcher eine
Zeitlang unter seinen Augen in Weimar gelebt hatte, alles in seiner leichtfer¬
tigen und lockeren Weise, so daß Stein der Kamm schwoll. "Der arme dünn-
schalige Kerl," sagte der Herzog, "hatte sich eingebildet, er müsse in einer Art
leiblicher Seelenwanderung durch alle weiblichen Naturen den Durchgang
machen, bis er die finde, welche Gott recht eigentlich für ihn geschaffen habe.
Das war so seine dichterische Naturlehre." Stein fiel ein: "Sie sollten sagen, '
es war eine .fürstliche!" Der Herzog schloß mit der Nutzanwendung, daß
eigentlich jeder Mann Aehnliches durchgemacht habe; "und Sie," wandte er sich
zu Stein, "haben auch nicht wie ein Joseph gelebt!" "Wenn das wäre," er¬
widerte Stein, "so ginge es niemand etwas an; aber ich habe in meiner Ju¬
gend sittlich gelebt und immer einen Abscheu gegen schmuzige Gespräche gehabt,
und halte es nicht für passend, daß ein deutscher Fürst dergleichen vor jungen
Offizieren führe." Der Herzog verstummte. Es folgte eine Todtenstille. Nach
zwei Minuten fuhr der Herzog mit der Hand über das Gesicht, und setzte, als
sei nichts vorgefallen, die Unterhaltung fort. Den Anwesenden aber war heiß
und kalt geworden, und der Oberst von Ende gestand beim Nachhausegehen
seinem Begleiter, er wolle lieber das Feuer einer Batterie, als> solche Reden
aushalten. -- Eine andere Anekdote, die Uns noch besser gefällt. ^
Eines Sonnabends (1820) war er Rom) mit Bunsen zugleich zur Vor-


Nicht ohne Interesse werden unsren Lesern einige Anekdoten sein, die uns
den Charakter dieses außerordentlichen Mannes versinnlichen, wenn sie auch in
keiner unmittelbaren Beziehung zum öffentlichen Leben 'stehen. Wir führen
wenigstens einige an. — Im Jahre 1816 war er mehre Tage mit dem Gro߬
herzog von Weimar zusammen. Stein war sehr gesund und in der köstlichsten
Laune, der Herzog nach seiner gewöhnlichen Weise: der deutsche Fürst, über
jeden Zwang hinaus, und dann auch der Mann v,on Geist. Der Eindruck,
den er hinterließ, sür den oberflächlich Nehmenden und Betrachtenden
höchst liebenswürdig, er blieb der Herr in der Gesellschaft, und machte
doch jeden frei. Die beiden Herren gingen höchst ungezwungen, miteinander
um, fast wie alte Jugendgenossen; der hochgeborne Freiherr schien dem
Höhergebornen Fürsten auch äußerlich keinen. Augenblick unterlegen. Das
-war aber das Besondere, daß, wo von ernsten Gegenständen gesprochen, ja
wo nur, wie im leichten Gespräch geschieht, darüberhin gewinkt' oder gelächelt
ward, Stein immer der Fürst und der andere nicht wie der Diener, sondern
unter dem Diener erschien. Hierbei war auch das wunderlich, daß ihn immer
der Kitzel stachelte, Stein zum Zorn zu reizen und sich an seiner Heftigkeit
gleichsam zu ergötzen, denn er selbst blieb bei allen geschwindesten-EinHieben
-und Gegenhieben des Freiherrn in fürstlicher Gleichmütigkeit, gleich den Göt¬
tern Epikurs. Der Herzog kam untern andern auch auf Z. Werner zu sprechen;
er erzählte eine Menge anstößiger Geschichten von dem Dichter, welcher eine
Zeitlang unter seinen Augen in Weimar gelebt hatte, alles in seiner leichtfer¬
tigen und lockeren Weise, so daß Stein der Kamm schwoll. „Der arme dünn-
schalige Kerl," sagte der Herzog, „hatte sich eingebildet, er müsse in einer Art
leiblicher Seelenwanderung durch alle weiblichen Naturen den Durchgang
machen, bis er die finde, welche Gott recht eigentlich für ihn geschaffen habe.
Das war so seine dichterische Naturlehre." Stein fiel ein: „Sie sollten sagen, '
es war eine .fürstliche!" Der Herzog schloß mit der Nutzanwendung, daß
eigentlich jeder Mann Aehnliches durchgemacht habe; „und Sie," wandte er sich
zu Stein, „haben auch nicht wie ein Joseph gelebt!" „Wenn das wäre," er¬
widerte Stein, „so ginge es niemand etwas an; aber ich habe in meiner Ju¬
gend sittlich gelebt und immer einen Abscheu gegen schmuzige Gespräche gehabt,
und halte es nicht für passend, daß ein deutscher Fürst dergleichen vor jungen
Offizieren führe." Der Herzog verstummte. Es folgte eine Todtenstille. Nach
zwei Minuten fuhr der Herzog mit der Hand über das Gesicht, und setzte, als
sei nichts vorgefallen, die Unterhaltung fort. Den Anwesenden aber war heiß
und kalt geworden, und der Oberst von Ende gestand beim Nachhausegehen
seinem Begleiter, er wolle lieber das Feuer einer Batterie, als> solche Reden
aushalten. — Eine andere Anekdote, die Uns noch besser gefällt. ^
Eines Sonnabends (1820) war er Rom) mit Bunsen zugleich zur Vor-


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[0256] Nicht ohne Interesse werden unsren Lesern einige Anekdoten sein, die uns den Charakter dieses außerordentlichen Mannes versinnlichen, wenn sie auch in keiner unmittelbaren Beziehung zum öffentlichen Leben 'stehen. Wir führen wenigstens einige an. — Im Jahre 1816 war er mehre Tage mit dem Gro߬ herzog von Weimar zusammen. Stein war sehr gesund und in der köstlichsten Laune, der Herzog nach seiner gewöhnlichen Weise: der deutsche Fürst, über jeden Zwang hinaus, und dann auch der Mann v,on Geist. Der Eindruck, den er hinterließ, sür den oberflächlich Nehmenden und Betrachtenden höchst liebenswürdig, er blieb der Herr in der Gesellschaft, und machte doch jeden frei. Die beiden Herren gingen höchst ungezwungen, miteinander um, fast wie alte Jugendgenossen; der hochgeborne Freiherr schien dem Höhergebornen Fürsten auch äußerlich keinen. Augenblick unterlegen. Das -war aber das Besondere, daß, wo von ernsten Gegenständen gesprochen, ja wo nur, wie im leichten Gespräch geschieht, darüberhin gewinkt' oder gelächelt ward, Stein immer der Fürst und der andere nicht wie der Diener, sondern unter dem Diener erschien. Hierbei war auch das wunderlich, daß ihn immer der Kitzel stachelte, Stein zum Zorn zu reizen und sich an seiner Heftigkeit gleichsam zu ergötzen, denn er selbst blieb bei allen geschwindesten-EinHieben -und Gegenhieben des Freiherrn in fürstlicher Gleichmütigkeit, gleich den Göt¬ tern Epikurs. Der Herzog kam untern andern auch auf Z. Werner zu sprechen; er erzählte eine Menge anstößiger Geschichten von dem Dichter, welcher eine Zeitlang unter seinen Augen in Weimar gelebt hatte, alles in seiner leichtfer¬ tigen und lockeren Weise, so daß Stein der Kamm schwoll. „Der arme dünn- schalige Kerl," sagte der Herzog, „hatte sich eingebildet, er müsse in einer Art leiblicher Seelenwanderung durch alle weiblichen Naturen den Durchgang machen, bis er die finde, welche Gott recht eigentlich für ihn geschaffen habe. Das war so seine dichterische Naturlehre." Stein fiel ein: „Sie sollten sagen, ' es war eine .fürstliche!" Der Herzog schloß mit der Nutzanwendung, daß eigentlich jeder Mann Aehnliches durchgemacht habe; „und Sie," wandte er sich zu Stein, „haben auch nicht wie ein Joseph gelebt!" „Wenn das wäre," er¬ widerte Stein, „so ginge es niemand etwas an; aber ich habe in meiner Ju¬ gend sittlich gelebt und immer einen Abscheu gegen schmuzige Gespräche gehabt, und halte es nicht für passend, daß ein deutscher Fürst dergleichen vor jungen Offizieren führe." Der Herzog verstummte. Es folgte eine Todtenstille. Nach zwei Minuten fuhr der Herzog mit der Hand über das Gesicht, und setzte, als sei nichts vorgefallen, die Unterhaltung fort. Den Anwesenden aber war heiß und kalt geworden, und der Oberst von Ende gestand beim Nachhausegehen seinem Begleiter, er wolle lieber das Feuer einer Batterie, als> solche Reden aushalten. — Eine andere Anekdote, die Uns noch besser gefällt. ^ Eines Sonnabends (1820) war er Rom) mit Bunsen zugleich zur Vor-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97779/255>, abgerufen am 22.12.2024.