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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band.

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(S. 88--9) --Die Bildung einer Staatsverfassung halte ich für den preu¬
ßischen Staat für eine unerläßliche Bedingung seiner Erhaltung und Entwicklung.
Ihm fehlt.geographische Einheit, Volkseinheit, Religionseinheit, und diesen
Mängeln kann nur durch Bildung eines Vereinigungspunktes für alle diese'
fremdartigen Theile abgeholfen werden, einer Nationalanstalt, wo alle zusammen¬
treten und über die gemeinschaftlichen Angelegenheiten sich berathen. Dann
erst werden die Gesetze-Achtung und Ehrfurcht erhalten, und man wird nicht
mehr der Gefahr ausgesetzt sein, daß die Gesetzgebung den Händen dummdreister
ökonomisch-politischer Empiriker und Abentheurer unvertraut ist. -- Eine Nation,
wie die deutsche, die durch ihre ganze Geschichte den Charakter der Besonnen¬
heit und der Treue behauptet, die ihn in den letzten Jahren, auf eine so glän¬
zende Art bewiesen und ungeheure-Opfer gebracht, um" das Joch zu zerbrechen,
> das der Unverstand seiner Regenten ihnen zugezogen, diese verdient nicht den
Verdacht, daß sie das ihr bewiesene Vertrauen mit Undank, Untreue und Auf¬
ruhr erwidern werde. -- Es ist ein sonderbarer Widerspruch, in den die ver¬
sallen, welche der Meinung sind, der Deutsche sei noch nicht reif zu einer
Verfassung, da sie doch nicht verlegen sind, die Behörden zu bilden, denen die
Gesetzgebung und Staatsverwaltung anzuvertrauen; finden sich Menschen zu
Staatsbeamten in hinlänglicher Menge, warum sollen sich dann nicht Menschen
zu Abgeordneten in eine Ständeversammlung finden? (August -1816). --

(S. 168) -- Die wahren Widersacher der guten Sache sind das
Bcamtenheer. Diese wünschen, gut besoldet mit Bequemlichkeit, durch phil8ion8
pMKwatianes für das Leben gesichert, ihr geheimmßvolles Schreiberwerk fort¬
zutreiben ; sie ahnen es, daß durch - eine Repräsentativverfassung für sie eine
'wahre Verantwortlichkeit, nicht eine Scheinverantwortlichkeit wie jetzt gegen
ihre 70 Meilen entfernten, überladenen Obern, vorhanden sein wird, und daß
ihre Zahl sich verringern muß. (Januar 1818). --

(S. 648) -- Die Frage über Beamtenregierung oder Repräsentativverfassung
läßt sich folgendermaßen ausdrücken: ist die Regierung gut besoldeter, buch¬
gelehrter oder empirischer, interessenloser und ohne Eigenthum seiender Beamten
vorzuziehen einer Negierung, die bei der Gesetzgebung sich mit Menschen aus
allen Ständen, die durch eignes Interesse an das Interesse ihres Standes ge¬
bunden und darüber unterichtet sind, beräth? (Marx 1822). --

(S. 630) -- Das-zahllose Beamtenheer ist eine wahre Peitsche Gottes
für- Deutschland. Der noch nicht constituirte Theil wird regiert von Beamten,
denen das innere Leben des Staats und seiner Einwohner unbekannt ist, die
aus oberflächlichen Beobachtungen und geistlosen Acten darüber zu urtheilen
wagen, und überladen sind mit den verschiedenartigsten Geschäften. In einigen
deutschen Staaten hat sich dieser Beamtenkörper ganz in sich abgeschlossen,
durch Dienstpragmatiken, und bleibt nur noch die Erblichkeit der, Stellen crus-


(S. 88—9) —Die Bildung einer Staatsverfassung halte ich für den preu¬
ßischen Staat für eine unerläßliche Bedingung seiner Erhaltung und Entwicklung.
Ihm fehlt.geographische Einheit, Volkseinheit, Religionseinheit, und diesen
Mängeln kann nur durch Bildung eines Vereinigungspunktes für alle diese'
fremdartigen Theile abgeholfen werden, einer Nationalanstalt, wo alle zusammen¬
treten und über die gemeinschaftlichen Angelegenheiten sich berathen. Dann
erst werden die Gesetze-Achtung und Ehrfurcht erhalten, und man wird nicht
mehr der Gefahr ausgesetzt sein, daß die Gesetzgebung den Händen dummdreister
ökonomisch-politischer Empiriker und Abentheurer unvertraut ist. — Eine Nation,
wie die deutsche, die durch ihre ganze Geschichte den Charakter der Besonnen¬
heit und der Treue behauptet, die ihn in den letzten Jahren, auf eine so glän¬
zende Art bewiesen und ungeheure-Opfer gebracht, um" das Joch zu zerbrechen,
> das der Unverstand seiner Regenten ihnen zugezogen, diese verdient nicht den
Verdacht, daß sie das ihr bewiesene Vertrauen mit Undank, Untreue und Auf¬
ruhr erwidern werde. — Es ist ein sonderbarer Widerspruch, in den die ver¬
sallen, welche der Meinung sind, der Deutsche sei noch nicht reif zu einer
Verfassung, da sie doch nicht verlegen sind, die Behörden zu bilden, denen die
Gesetzgebung und Staatsverwaltung anzuvertrauen; finden sich Menschen zu
Staatsbeamten in hinlänglicher Menge, warum sollen sich dann nicht Menschen
zu Abgeordneten in eine Ständeversammlung finden? (August -1816). —

(S. 168) — Die wahren Widersacher der guten Sache sind das
Bcamtenheer. Diese wünschen, gut besoldet mit Bequemlichkeit, durch phil8ion8
pMKwatianes für das Leben gesichert, ihr geheimmßvolles Schreiberwerk fort¬
zutreiben ; sie ahnen es, daß durch - eine Repräsentativverfassung für sie eine
'wahre Verantwortlichkeit, nicht eine Scheinverantwortlichkeit wie jetzt gegen
ihre 70 Meilen entfernten, überladenen Obern, vorhanden sein wird, und daß
ihre Zahl sich verringern muß. (Januar 1818). —

(S. 648) — Die Frage über Beamtenregierung oder Repräsentativverfassung
läßt sich folgendermaßen ausdrücken: ist die Regierung gut besoldeter, buch¬
gelehrter oder empirischer, interessenloser und ohne Eigenthum seiender Beamten
vorzuziehen einer Negierung, die bei der Gesetzgebung sich mit Menschen aus
allen Ständen, die durch eignes Interesse an das Interesse ihres Standes ge¬
bunden und darüber unterichtet sind, beräth? (Marx 1822). —

(S. 630) — Das-zahllose Beamtenheer ist eine wahre Peitsche Gottes
für- Deutschland. Der noch nicht constituirte Theil wird regiert von Beamten,
denen das innere Leben des Staats und seiner Einwohner unbekannt ist, die
aus oberflächlichen Beobachtungen und geistlosen Acten darüber zu urtheilen
wagen, und überladen sind mit den verschiedenartigsten Geschäften. In einigen
deutschen Staaten hat sich dieser Beamtenkörper ganz in sich abgeschlossen,
durch Dienstpragmatiken, und bleibt nur noch die Erblichkeit der, Stellen crus-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97779/251>, abgerufen am 03.07.2024.