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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band.

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Höchst schmerzhaft war es sür ihn" während des Kongresses zu Aachen
von den fremden Geschäftsmännern, mit denen er in Verbindung trat, wieder¬
holt die schärfsten Urtheile über Preußen' zu hören, ohne ihnen ernsthaft wider¬
sprechen zu können, Auch als Humboldt ins Ministerium trat, mit dem er
in beständiger Verbindung geblieben war und mit dessen Ansichten er am
meisten zusammenstimmte, waren seine Hoffnungen nur gering, da er wohl sah,
wie beschränkt sein Wirkungskreis sein würde. Die Ermordung Kotzebues em¬
pörte ihn zwar wie jeden ehrlichen deutschen Mann, allein keinen Augenblick
ließ er sich durch dieses .vereinzelte Factum in jene Reaction hineinreißen,
die damals namentlich in Berlin alle Gemüther berauschte. Fortwährend blieb
sein Dichten und Trachten auf. das, was ihm für Deutschland unerläßlich
schien, auf die Herstellung ständischer Verfassungen gerichtet und er wußte
alles, was in seine Umgebung kam, mit sich fortzureißen, aber ohne daß es
ihm, gelang, an der entscheidenden Stelle seine Ueberzeugung geltend zu machen.
Nach dem Tode des Staatskanzlers dachte man einen Augenblick daran, ihn
an die Spitze der Regierung zu stellen, aber es wurde nichts daraus, im
Gegentheil wurde nun die Geistlosigkeit vollständig in den Besitz der Staats¬
verwaltung gesetzt. Bei allen diesen bittern Ersahrungen ist es ein schönes
Zeichen, daß Stein dem preußischen Staat immer treublieb, daß er sogar, wo
das Gefühl des Unmuths bei seinen Freunden wegen erlittener Kränkungen
zu laut wurde, sie dringend aufforderte, mit Preußen nicht zu brechen. Sehr
.schöne Züge enthalten die Briefe an .Görres (S/ II4) und an Niebuhr'
"S.. 801).

Da die Frage, ob eine constitutionelle Verfassung für den preußischen
Staat möglich und nützlich sei, noch immer zu den brennenden Tagesfragen
gehört, so halten wir es für wichtig, auf eine so große Autorität zurückzu¬
gehen und seine Ueberzeugungen wenigstens andeutungsweise mitzutheilen. --

(S. 733) -- DaS allgemein sich aussprechende Verlangen nach Verfassung
ist in Deutschland, und insbesondere bei den Bewohnern der preußischen Mo¬
narchie, nicht das Ergebniß des neuerungssüchtigen Zeitgeistes, sondern eine
Sehnsucht nach Wiederherstellung alter/wohlthätig sich erwiesen habender In¬
stitutionen, und Abneigung gegen Willkür und Eigenmacht . . . Wären aber
auch nie dergleichen vorhanden gewesen, so vergrößert sich die Nothwendigkeit der
Bildung ständischer Institutionen durch die besondere Lage der preußischen
Monarchie . . . Die relative Schwäche der preußischen Monarchie gegen die
Nachbarstaaten kann nur durch moralische Opfer an Gut und Blut in den un¬
vermeidlichen Zeiten der Gefahr ersetzt werden, und dieses Hingeben für das
Vatcrlano wird vornehmlich durch den Gemeingeist erzeugt, der aus der Theil¬
nahme am Gemeindewesen und Mitwirkung zu den Gemeindeangelegenheiten
entspringt. (November 1822). -- ,
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Höchst schmerzhaft war es sür ihn» während des Kongresses zu Aachen
von den fremden Geschäftsmännern, mit denen er in Verbindung trat, wieder¬
holt die schärfsten Urtheile über Preußen' zu hören, ohne ihnen ernsthaft wider¬
sprechen zu können, Auch als Humboldt ins Ministerium trat, mit dem er
in beständiger Verbindung geblieben war und mit dessen Ansichten er am
meisten zusammenstimmte, waren seine Hoffnungen nur gering, da er wohl sah,
wie beschränkt sein Wirkungskreis sein würde. Die Ermordung Kotzebues em¬
pörte ihn zwar wie jeden ehrlichen deutschen Mann, allein keinen Augenblick
ließ er sich durch dieses .vereinzelte Factum in jene Reaction hineinreißen,
die damals namentlich in Berlin alle Gemüther berauschte. Fortwährend blieb
sein Dichten und Trachten auf. das, was ihm für Deutschland unerläßlich
schien, auf die Herstellung ständischer Verfassungen gerichtet und er wußte
alles, was in seine Umgebung kam, mit sich fortzureißen, aber ohne daß es
ihm, gelang, an der entscheidenden Stelle seine Ueberzeugung geltend zu machen.
Nach dem Tode des Staatskanzlers dachte man einen Augenblick daran, ihn
an die Spitze der Regierung zu stellen, aber es wurde nichts daraus, im
Gegentheil wurde nun die Geistlosigkeit vollständig in den Besitz der Staats¬
verwaltung gesetzt. Bei allen diesen bittern Ersahrungen ist es ein schönes
Zeichen, daß Stein dem preußischen Staat immer treublieb, daß er sogar, wo
das Gefühl des Unmuths bei seinen Freunden wegen erlittener Kränkungen
zu laut wurde, sie dringend aufforderte, mit Preußen nicht zu brechen. Sehr
.schöne Züge enthalten die Briefe an .Görres (S/ II4) und an Niebuhr'
«S.. 801).

Da die Frage, ob eine constitutionelle Verfassung für den preußischen
Staat möglich und nützlich sei, noch immer zu den brennenden Tagesfragen
gehört, so halten wir es für wichtig, auf eine so große Autorität zurückzu¬
gehen und seine Ueberzeugungen wenigstens andeutungsweise mitzutheilen. —

(S. 733) — DaS allgemein sich aussprechende Verlangen nach Verfassung
ist in Deutschland, und insbesondere bei den Bewohnern der preußischen Mo¬
narchie, nicht das Ergebniß des neuerungssüchtigen Zeitgeistes, sondern eine
Sehnsucht nach Wiederherstellung alter/wohlthätig sich erwiesen habender In¬
stitutionen, und Abneigung gegen Willkür und Eigenmacht . . . Wären aber
auch nie dergleichen vorhanden gewesen, so vergrößert sich die Nothwendigkeit der
Bildung ständischer Institutionen durch die besondere Lage der preußischen
Monarchie . . . Die relative Schwäche der preußischen Monarchie gegen die
Nachbarstaaten kann nur durch moralische Opfer an Gut und Blut in den un¬
vermeidlichen Zeiten der Gefahr ersetzt werden, und dieses Hingeben für das
Vatcrlano wird vornehmlich durch den Gemeingeist erzeugt, der aus der Theil¬
nahme am Gemeindewesen und Mitwirkung zu den Gemeindeangelegenheiten
entspringt. (November 1822). — ,
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[0251] Höchst schmerzhaft war es sür ihn» während des Kongresses zu Aachen von den fremden Geschäftsmännern, mit denen er in Verbindung trat, wieder¬ holt die schärfsten Urtheile über Preußen' zu hören, ohne ihnen ernsthaft wider¬ sprechen zu können, Auch als Humboldt ins Ministerium trat, mit dem er in beständiger Verbindung geblieben war und mit dessen Ansichten er am meisten zusammenstimmte, waren seine Hoffnungen nur gering, da er wohl sah, wie beschränkt sein Wirkungskreis sein würde. Die Ermordung Kotzebues em¬ pörte ihn zwar wie jeden ehrlichen deutschen Mann, allein keinen Augenblick ließ er sich durch dieses .vereinzelte Factum in jene Reaction hineinreißen, die damals namentlich in Berlin alle Gemüther berauschte. Fortwährend blieb sein Dichten und Trachten auf. das, was ihm für Deutschland unerläßlich schien, auf die Herstellung ständischer Verfassungen gerichtet und er wußte alles, was in seine Umgebung kam, mit sich fortzureißen, aber ohne daß es ihm, gelang, an der entscheidenden Stelle seine Ueberzeugung geltend zu machen. Nach dem Tode des Staatskanzlers dachte man einen Augenblick daran, ihn an die Spitze der Regierung zu stellen, aber es wurde nichts daraus, im Gegentheil wurde nun die Geistlosigkeit vollständig in den Besitz der Staats¬ verwaltung gesetzt. Bei allen diesen bittern Ersahrungen ist es ein schönes Zeichen, daß Stein dem preußischen Staat immer treublieb, daß er sogar, wo das Gefühl des Unmuths bei seinen Freunden wegen erlittener Kränkungen zu laut wurde, sie dringend aufforderte, mit Preußen nicht zu brechen. Sehr .schöne Züge enthalten die Briefe an .Görres (S/ II4) und an Niebuhr' «S.. 801). Da die Frage, ob eine constitutionelle Verfassung für den preußischen Staat möglich und nützlich sei, noch immer zu den brennenden Tagesfragen gehört, so halten wir es für wichtig, auf eine so große Autorität zurückzu¬ gehen und seine Ueberzeugungen wenigstens andeutungsweise mitzutheilen. — (S. 733) — DaS allgemein sich aussprechende Verlangen nach Verfassung ist in Deutschland, und insbesondere bei den Bewohnern der preußischen Mo¬ narchie, nicht das Ergebniß des neuerungssüchtigen Zeitgeistes, sondern eine Sehnsucht nach Wiederherstellung alter/wohlthätig sich erwiesen habender In¬ stitutionen, und Abneigung gegen Willkür und Eigenmacht . . . Wären aber auch nie dergleichen vorhanden gewesen, so vergrößert sich die Nothwendigkeit der Bildung ständischer Institutionen durch die besondere Lage der preußischen Monarchie . . . Die relative Schwäche der preußischen Monarchie gegen die Nachbarstaaten kann nur durch moralische Opfer an Gut und Blut in den un¬ vermeidlichen Zeiten der Gefahr ersetzt werden, und dieses Hingeben für das Vatcrlano wird vornehmlich durch den Gemeingeist erzeugt, der aus der Theil¬ nahme am Gemeindewesen und Mitwirkung zu den Gemeindeangelegenheiten entspringt. (November 1822). — , '' 31"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97779/250>, abgerufen am 01.07.2024.