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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band.

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Peter zu, daß sie Katharina sei; er Hort sie nicht, der Rausch hat sein Ohr
betäubt, sein Herz wird von der Stimme der Geliebten nicht gerührt. Erst als
sie fortgeführt ist -- ernannt er sich, eine dunkle Ahnung schwimmt in seinem
berauschten Geiste oben auf -- er macht eine heftige Anstrengung, wird vollends
nüchtern und befiehlt, daß die Hinrichtung unterbleibe. Gritzenko eilt auch her¬
bei. Der Verbrecher wurde nicht hingerichtet, aber als man ihn wieder vor
Peter zurückbringen wollte, sei er in deu Fluß gesprungen und sei schwimmend
entkommen. Ans seinem Gange zum Tode hatte der Recrut dem Gritzenko ein Papier
für Peter gegeben, mit dem Bedeuten, es dem Zaren zu schicken, der ihm dies
unfehlbar Glück bringen müsse. Es war die Liste der Verschworenen, die sie
dem dummen Gritzenko, der ohne sein Wissen die Verschwörung unterstützt, abge-
maust hatte. Die nahe Gefahr bringt Peter vollends zu sich und er beschließt,
mitten unter die Verschworenen zu gehen. Diese kommen alle bewaffnet und
schwören sich noch einmal zu, fest beieinander zu halten und beim Schalle des
heiligen Marsches (sie) gegen den Zaren zu marschieren. Peter, der sich zuerst
für einen der ihrigen ausgegeben hatte, verspricht ihnen, sie selbst zum Zaren zu
führe", ihnen denselben unbewaffnet zu überliefern. Er reißt seine Weste ans,
und ich bin der Zar rufend bietet er den Feinden die nackte Brust. Ueberrascht
sinken alle aus die Knie, zerknirscht vor Rene und verzweifelt um Vergebung
bittend. Der Führer entdeckt dem Zaren, daß große Gefahr nahe, da ein Ueber¬
fall mit den Schweden beredet sei. Schon hört man ferne Musik erschallen.
Peter beruhigt die Gemüther, indem er verkündet, daß dies zwei ans seinen
Befehl heranmarschierende russische Regimenter seien, mit denen sie nun alle beim
Klänge der marelie sirorvo gegen den Feind ziehen wollten. Das Orchester
stimmt den Dessaurowitscheffischken Marsch an. während die Pfeifer der einen und
die Trommeten der andern Regimenter jedes einen mit dem Dessauer verbündeten
Marsch aufspielen und der ganze Chor mitten darin singt. Auf diese Weise kam
das Finale zu Staude, welches Berlioz so in Entzücken versetzte, daß er vergeblich
nach einem neuen Epitheton suchte -- da lavuleux und colossal noch lange nicht
ausreichend schienen.

Der dritte Act spielt in Petersburg. Der Zar kann seine geliebte Katharine
nicht vergessen. Vergebens hat er in seinem Parke -eine Nachahmung des Dorfes,
in dem er sie kennen gelernt, aufbauen lassen. Das Bild des geliebten Mädchens
kommt ihm nicht aus dem Sinne. Grijzeukv, der noch immer Sergeant ist und
gern avancireu mochte, erzählt dem Zaren, dessen Verdruß über die Entweichung
des Recruten er erfahren hat, daß er nnr ganz ruhig sein möge -- die Disciplin
wäre gerächt. Er, Grchenko, habe nämlich dem flüchtigen Recruten eine so gut
gezielte Kugel nachgeschickt, daß er gewiß nicht davon zurückkomme. Peter befiehlt
dem überraschte", Sergeanten, daß er den Entflohenen innerhalb vierundzwanzig
Stunden wieder herbeizuschaffen habe, oder erschossen werde. Gritzenko macht


Grenzboten. II, -l8si', 3

Peter zu, daß sie Katharina sei; er Hort sie nicht, der Rausch hat sein Ohr
betäubt, sein Herz wird von der Stimme der Geliebten nicht gerührt. Erst als
sie fortgeführt ist — ernannt er sich, eine dunkle Ahnung schwimmt in seinem
berauschten Geiste oben auf — er macht eine heftige Anstrengung, wird vollends
nüchtern und befiehlt, daß die Hinrichtung unterbleibe. Gritzenko eilt auch her¬
bei. Der Verbrecher wurde nicht hingerichtet, aber als man ihn wieder vor
Peter zurückbringen wollte, sei er in deu Fluß gesprungen und sei schwimmend
entkommen. Ans seinem Gange zum Tode hatte der Recrut dem Gritzenko ein Papier
für Peter gegeben, mit dem Bedeuten, es dem Zaren zu schicken, der ihm dies
unfehlbar Glück bringen müsse. Es war die Liste der Verschworenen, die sie
dem dummen Gritzenko, der ohne sein Wissen die Verschwörung unterstützt, abge-
maust hatte. Die nahe Gefahr bringt Peter vollends zu sich und er beschließt,
mitten unter die Verschworenen zu gehen. Diese kommen alle bewaffnet und
schwören sich noch einmal zu, fest beieinander zu halten und beim Schalle des
heiligen Marsches (sie) gegen den Zaren zu marschieren. Peter, der sich zuerst
für einen der ihrigen ausgegeben hatte, verspricht ihnen, sie selbst zum Zaren zu
führe», ihnen denselben unbewaffnet zu überliefern. Er reißt seine Weste ans,
und ich bin der Zar rufend bietet er den Feinden die nackte Brust. Ueberrascht
sinken alle aus die Knie, zerknirscht vor Rene und verzweifelt um Vergebung
bittend. Der Führer entdeckt dem Zaren, daß große Gefahr nahe, da ein Ueber¬
fall mit den Schweden beredet sei. Schon hört man ferne Musik erschallen.
Peter beruhigt die Gemüther, indem er verkündet, daß dies zwei ans seinen
Befehl heranmarschierende russische Regimenter seien, mit denen sie nun alle beim
Klänge der marelie sirorvo gegen den Feind ziehen wollten. Das Orchester
stimmt den Dessaurowitscheffischken Marsch an. während die Pfeifer der einen und
die Trommeten der andern Regimenter jedes einen mit dem Dessauer verbündeten
Marsch aufspielen und der ganze Chor mitten darin singt. Auf diese Weise kam
das Finale zu Staude, welches Berlioz so in Entzücken versetzte, daß er vergeblich
nach einem neuen Epitheton suchte — da lavuleux und colossal noch lange nicht
ausreichend schienen.

Der dritte Act spielt in Petersburg. Der Zar kann seine geliebte Katharine
nicht vergessen. Vergebens hat er in seinem Parke -eine Nachahmung des Dorfes,
in dem er sie kennen gelernt, aufbauen lassen. Das Bild des geliebten Mädchens
kommt ihm nicht aus dem Sinne. Grijzeukv, der noch immer Sergeant ist und
gern avancireu mochte, erzählt dem Zaren, dessen Verdruß über die Entweichung
des Recruten er erfahren hat, daß er nnr ganz ruhig sein möge — die Disciplin
wäre gerächt. Er, Grchenko, habe nämlich dem flüchtigen Recruten eine so gut
gezielte Kugel nachgeschickt, daß er gewiß nicht davon zurückkomme. Peter befiehlt
dem überraschte», Sergeanten, daß er den Entflohenen innerhalb vierundzwanzig
Stunden wieder herbeizuschaffen habe, oder erschossen werde. Gritzenko macht


Grenzboten. II, -l8si', 3
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[0025] Peter zu, daß sie Katharina sei; er Hort sie nicht, der Rausch hat sein Ohr betäubt, sein Herz wird von der Stimme der Geliebten nicht gerührt. Erst als sie fortgeführt ist — ernannt er sich, eine dunkle Ahnung schwimmt in seinem berauschten Geiste oben auf — er macht eine heftige Anstrengung, wird vollends nüchtern und befiehlt, daß die Hinrichtung unterbleibe. Gritzenko eilt auch her¬ bei. Der Verbrecher wurde nicht hingerichtet, aber als man ihn wieder vor Peter zurückbringen wollte, sei er in deu Fluß gesprungen und sei schwimmend entkommen. Ans seinem Gange zum Tode hatte der Recrut dem Gritzenko ein Papier für Peter gegeben, mit dem Bedeuten, es dem Zaren zu schicken, der ihm dies unfehlbar Glück bringen müsse. Es war die Liste der Verschworenen, die sie dem dummen Gritzenko, der ohne sein Wissen die Verschwörung unterstützt, abge- maust hatte. Die nahe Gefahr bringt Peter vollends zu sich und er beschließt, mitten unter die Verschworenen zu gehen. Diese kommen alle bewaffnet und schwören sich noch einmal zu, fest beieinander zu halten und beim Schalle des heiligen Marsches (sie) gegen den Zaren zu marschieren. Peter, der sich zuerst für einen der ihrigen ausgegeben hatte, verspricht ihnen, sie selbst zum Zaren zu führe», ihnen denselben unbewaffnet zu überliefern. Er reißt seine Weste ans, und ich bin der Zar rufend bietet er den Feinden die nackte Brust. Ueberrascht sinken alle aus die Knie, zerknirscht vor Rene und verzweifelt um Vergebung bittend. Der Führer entdeckt dem Zaren, daß große Gefahr nahe, da ein Ueber¬ fall mit den Schweden beredet sei. Schon hört man ferne Musik erschallen. Peter beruhigt die Gemüther, indem er verkündet, daß dies zwei ans seinen Befehl heranmarschierende russische Regimenter seien, mit denen sie nun alle beim Klänge der marelie sirorvo gegen den Feind ziehen wollten. Das Orchester stimmt den Dessaurowitscheffischken Marsch an. während die Pfeifer der einen und die Trommeten der andern Regimenter jedes einen mit dem Dessauer verbündeten Marsch aufspielen und der ganze Chor mitten darin singt. Auf diese Weise kam das Finale zu Staude, welches Berlioz so in Entzücken versetzte, daß er vergeblich nach einem neuen Epitheton suchte — da lavuleux und colossal noch lange nicht ausreichend schienen. Der dritte Act spielt in Petersburg. Der Zar kann seine geliebte Katharine nicht vergessen. Vergebens hat er in seinem Parke -eine Nachahmung des Dorfes, in dem er sie kennen gelernt, aufbauen lassen. Das Bild des geliebten Mädchens kommt ihm nicht aus dem Sinne. Grijzeukv, der noch immer Sergeant ist und gern avancireu mochte, erzählt dem Zaren, dessen Verdruß über die Entweichung des Recruten er erfahren hat, daß er nnr ganz ruhig sein möge — die Disciplin wäre gerächt. Er, Grchenko, habe nämlich dem flüchtigen Recruten eine so gut gezielte Kugel nachgeschickt, daß er gewiß nicht davon zurückkomme. Peter befiehlt dem überraschte», Sergeanten, daß er den Entflohenen innerhalb vierundzwanzig Stunden wieder herbeizuschaffen habe, oder erschossen werde. Gritzenko macht Grenzboten. II, -l8si', 3

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97779/24>, abgerufen am 22.12.2024.