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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band.

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Mit stummer Freude huldige der Feier,
Die lautlos, lautlos durch zwei Leben zieht.
Kein Wort, kein Wink. Durch schüchterne Verhüllung
Seht euch geehrt, ihr Götter der Erfüllung!

Da werde ein anderer daraus klug! -- Wir werden bei der Behandlung
einer Sage, die aus christlichen und heidnischen Stoffen gemischt ist, es dem
Dichter in keiner Weise verübeln, wenn er-vo" der. Heerstraße abgeht und'die
liebenswürdige Teufelinne anbetet, statt sie zu verfluchen, aber dann mußte er sich
auch im übrigen dafür entscheiden, der ganzen Sage die Wendung zu 'geben,
die für einen solchen Ausgang paßt. Aber wenn er noch in der vorletzten Ro¬
manze schildert, wie der Held im Fieberwahn der Leidenschaft seine sterbenskranke
Mutter im Stich laßt, und anch keine Erinnerungszeichen weiter sendet, so daß
diese vor Gram den Verstand verliert, so find wir ans einen so idyllischen Aus¬
gang nicht vorbereitet. Und wenn wir etwa annehmen wollte", der Dichter habe
in heidnischer Manier unsren ganzen sittlichen Vorstellungen den Krieg erklären
wollen, so stimmt dazu wieder die übrige Haltung nicht, die zwar sehr romantisch,
aber durchaus nicht frivol ist. -- Wenn der Dichter sein unbestreitbares Talent
zu einem gedeihlichen Ziel führe" will, so muß er zunächst bei jedem neuen
poetischen Unternehmen sich über Haltung und Komposition eine" bestimmten
Plan machen. --


Der treue Eckart, Epos in zwölf Gesängen von Joseph Pape. Münster,
Cqzin. -- / V ,^>^

I" diesem Gedicht, welches den Umfang von 382 enggedruckten Seiten hat,
ist von Compvsitio" noch viel weniger die Rede als im vorigen. Herr Pape hat
sich als talentvoller Balladendichter bekannt gemacht, und er hat dieses Talent
auch in dem gegenwärtige" Versuch wieder bewährt. Es find darin eine ganze
Reihe von Geschichten und Sagen in Balladenform behandelt in der Uhlandschen
Weise, die "indes zu wünsche" übrig' lasse"; aber zu der epischen Breite reicht der
Umfang seiner Begabung nicht aus. Dem Gedicht fehlt alle Einheit und alles
Interesse, und dafür kann der Leser durch de" im allgemeinen gut getroffenen
Nibelungenton nicht entschädigt werden. Der Gegenstand ist wenigstens vorzugs¬
weise der Freiheitskampf der Sachse" gege" Kaiser Heinrich IV., aber dieser wird
von so verschiedenen Gesichtspunkten beleuchtet, die Ereignisse werden so breit und
massenhaft durcheiuandergeworfe", daß es bei dem besten Willen ""möglich ist,
sich aus diesem Chaos ein anschauliches Bild zu entnehmen. Außerdem weiß man
"icht recht, ob mau es mit einem historischen oder einem romantische" Epos zu
thun hat. Die Grundlage bilden wirkliche historische Ereignisse, welche die Frei¬
heit der Dichterphantasie fortwährend einenge", aber an historische Treue oder an
historische Charakteristik ist doch nicht zu denken. .Hätte Herr Pape aus diesem
Cyclus sich einen bescheidene" lose verwebten Nomanzenkranz gebildet, so würde


Mit stummer Freude huldige der Feier,
Die lautlos, lautlos durch zwei Leben zieht.
Kein Wort, kein Wink. Durch schüchterne Verhüllung
Seht euch geehrt, ihr Götter der Erfüllung!

Da werde ein anderer daraus klug! — Wir werden bei der Behandlung
einer Sage, die aus christlichen und heidnischen Stoffen gemischt ist, es dem
Dichter in keiner Weise verübeln, wenn er-vo» der. Heerstraße abgeht und'die
liebenswürdige Teufelinne anbetet, statt sie zu verfluchen, aber dann mußte er sich
auch im übrigen dafür entscheiden, der ganzen Sage die Wendung zu 'geben,
die für einen solchen Ausgang paßt. Aber wenn er noch in der vorletzten Ro¬
manze schildert, wie der Held im Fieberwahn der Leidenschaft seine sterbenskranke
Mutter im Stich laßt, und anch keine Erinnerungszeichen weiter sendet, so daß
diese vor Gram den Verstand verliert, so find wir ans einen so idyllischen Aus¬
gang nicht vorbereitet. Und wenn wir etwa annehmen wollte», der Dichter habe
in heidnischer Manier unsren ganzen sittlichen Vorstellungen den Krieg erklären
wollen, so stimmt dazu wieder die übrige Haltung nicht, die zwar sehr romantisch,
aber durchaus nicht frivol ist. — Wenn der Dichter sein unbestreitbares Talent
zu einem gedeihlichen Ziel führe» will, so muß er zunächst bei jedem neuen
poetischen Unternehmen sich über Haltung und Komposition eine» bestimmten
Plan machen. —


Der treue Eckart, Epos in zwölf Gesängen von Joseph Pape. Münster,
Cqzin. — / V ,^>^

I» diesem Gedicht, welches den Umfang von 382 enggedruckten Seiten hat,
ist von Compvsitio» noch viel weniger die Rede als im vorigen. Herr Pape hat
sich als talentvoller Balladendichter bekannt gemacht, und er hat dieses Talent
auch in dem gegenwärtige» Versuch wieder bewährt. Es find darin eine ganze
Reihe von Geschichten und Sagen in Balladenform behandelt in der Uhlandschen
Weise, die »indes zu wünsche» übrig' lasse»; aber zu der epischen Breite reicht der
Umfang seiner Begabung nicht aus. Dem Gedicht fehlt alle Einheit und alles
Interesse, und dafür kann der Leser durch de» im allgemeinen gut getroffenen
Nibelungenton nicht entschädigt werden. Der Gegenstand ist wenigstens vorzugs¬
weise der Freiheitskampf der Sachse» gege» Kaiser Heinrich IV., aber dieser wird
von so verschiedenen Gesichtspunkten beleuchtet, die Ereignisse werden so breit und
massenhaft durcheiuandergeworfe», daß es bei dem besten Willen »»möglich ist,
sich aus diesem Chaos ein anschauliches Bild zu entnehmen. Außerdem weiß man
»icht recht, ob mau es mit einem historischen oder einem romantische» Epos zu
thun hat. Die Grundlage bilden wirkliche historische Ereignisse, welche die Frei¬
heit der Dichterphantasie fortwährend einenge», aber an historische Treue oder an
historische Charakteristik ist doch nicht zu denken. .Hätte Herr Pape aus diesem
Cyclus sich einen bescheidene» lose verwebten Nomanzenkranz gebildet, so würde


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[0226] Mit stummer Freude huldige der Feier, Die lautlos, lautlos durch zwei Leben zieht. Kein Wort, kein Wink. Durch schüchterne Verhüllung Seht euch geehrt, ihr Götter der Erfüllung! Da werde ein anderer daraus klug! — Wir werden bei der Behandlung einer Sage, die aus christlichen und heidnischen Stoffen gemischt ist, es dem Dichter in keiner Weise verübeln, wenn er-vo» der. Heerstraße abgeht und'die liebenswürdige Teufelinne anbetet, statt sie zu verfluchen, aber dann mußte er sich auch im übrigen dafür entscheiden, der ganzen Sage die Wendung zu 'geben, die für einen solchen Ausgang paßt. Aber wenn er noch in der vorletzten Ro¬ manze schildert, wie der Held im Fieberwahn der Leidenschaft seine sterbenskranke Mutter im Stich laßt, und anch keine Erinnerungszeichen weiter sendet, so daß diese vor Gram den Verstand verliert, so find wir ans einen so idyllischen Aus¬ gang nicht vorbereitet. Und wenn wir etwa annehmen wollte», der Dichter habe in heidnischer Manier unsren ganzen sittlichen Vorstellungen den Krieg erklären wollen, so stimmt dazu wieder die übrige Haltung nicht, die zwar sehr romantisch, aber durchaus nicht frivol ist. — Wenn der Dichter sein unbestreitbares Talent zu einem gedeihlichen Ziel führe» will, so muß er zunächst bei jedem neuen poetischen Unternehmen sich über Haltung und Komposition eine» bestimmten Plan machen. — Der treue Eckart, Epos in zwölf Gesängen von Joseph Pape. Münster, Cqzin. — / V ,^>^ I» diesem Gedicht, welches den Umfang von 382 enggedruckten Seiten hat, ist von Compvsitio» noch viel weniger die Rede als im vorigen. Herr Pape hat sich als talentvoller Balladendichter bekannt gemacht, und er hat dieses Talent auch in dem gegenwärtige» Versuch wieder bewährt. Es find darin eine ganze Reihe von Geschichten und Sagen in Balladenform behandelt in der Uhlandschen Weise, die »indes zu wünsche» übrig' lasse»; aber zu der epischen Breite reicht der Umfang seiner Begabung nicht aus. Dem Gedicht fehlt alle Einheit und alles Interesse, und dafür kann der Leser durch de» im allgemeinen gut getroffenen Nibelungenton nicht entschädigt werden. Der Gegenstand ist wenigstens vorzugs¬ weise der Freiheitskampf der Sachse» gege» Kaiser Heinrich IV., aber dieser wird von so verschiedenen Gesichtspunkten beleuchtet, die Ereignisse werden so breit und massenhaft durcheiuandergeworfe», daß es bei dem besten Willen »»möglich ist, sich aus diesem Chaos ein anschauliches Bild zu entnehmen. Außerdem weiß man »icht recht, ob mau es mit einem historischen oder einem romantische» Epos zu thun hat. Die Grundlage bilden wirkliche historische Ereignisse, welche die Frei¬ heit der Dichterphantasie fortwährend einenge», aber an historische Treue oder an historische Charakteristik ist doch nicht zu denken. .Hätte Herr Pape aus diesem Cyclus sich einen bescheidene» lose verwebten Nomanzenkranz gebildet, so würde

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97779/225>, abgerufen am 01.07.2024.